"The Motion"
(Short Run Exhibition)

Man könnte Automobile als kinetische Skulpturen deuten und mit Kategorien des Skulpturalen betrachten, bewerten. Es scheint mir das Auto aber viel mehr den Kategorien der Architektur verbunden. Da sich Menschen in ihrem Inneren aufhalten und daraus bestimmte Erwartungen an Funktionalität, an Komfort, an Prestigegewinn etc. ableiten.

Automobile haben eine bestimmte Kubatur, die entlang der technischen und ästhetischen Funktionen, aber auch entlang der Ansprüche an Repräsentation, an sozialen Implikationen gestaltet werden muß. Ettore Bugatti soll sinngemäß gesagt haben: "Ich verkaufe Ihnen einen Traum. Das Auto bekommen Sie dazugeschenkt."

Vitruv, der als erster Architekturtheoretiker unserer Kultur gilt, betonte vor allem diese drei Kriterien von Baukunst: Haltbarkeit, Zweckmäßigkeit und Schönheit. Der Wettstreit zwischen Konstruktion und Ästhetik, wie er in der Architektur ständig zu klären bleibt, wurde in der Automobilgeschichte mindestens nach Auslaufen des Ford Model T begonnen, ist also ab dem Ford Model A (Ende der 1920er-Jahre) beschreibbar. Sogar die Unterscheidung von Sakral- und Profanbau ließe sich in gewissem Maße auf die Automobilgeschichte übertragen. Denn ohne Zweifel sind die herausragenden Technologie- und Imageträger, in kleinen Stückzahlen hergestellt, viel mehr zum Bestaunen und Verehren, denn zum Fahren gemacht. (Koenigsegg, Pagani Zonda etc.) Ego-Booster, Fetisch von erheblicher Wirkungskraft.

Seit der Massenmobilisierung, die in Europa (nicht zufällig) mit der Ära des Faschismus beginnt, ist ein Anforderungsbündel immer drängender geworden, das einst der Adel seinen Architekten auferlegte, welches heute auch im Kleinbürgertum geträumt wird (Stichworte Schrebergarten, Häuschen im Grünen):

car1a.jpg (8512 Byte) Komfort, Privatsphäre und Bewegungsfreiheit.

In eben diesen Aspekten ist das Automobil ein (auch politisches) Kuriosum, das im öffentlichen Raum ein Stück mobiler Privatsphäre repräsentiert, die über Ausstattung und Fahrverhalten Expansionen erfährt. Das heißt: Fahrende expandieren über Design und Verhalten. (Beispiel: Toyota Warrior)

Je langsamer man in Graz nur mehr fahren kann, desto schneller müssen manche Automobile aussehn.

Hat ein anderes Werkzeug der Menschen, eine andere Maschine, das Antlitz der Erde in vergleichbarem Maße verändert? Städteplanung, versiegelte Flächen, Verbindungsrouten, Mobilität … Aber auch das völlige Zusammenbrechen von Mobilität, da man ja nicht im Stau steckt, sondern der Stau ist … all das hat enorme soziale, kulturelle und politische Konsequenzen.

Die "architektonische Skulptur" Automobil ist eine Prestigemaschine von einzigartiger Verbreitung. Dieser Maschinentypus hat eine kohärente Stilgeschichte wie auch Architektur oder verschiedene Kunstrichtungen. Aus mir etwas unklaren Gründen ist diese Stilgeschichte ein rotziges Stiefkind der Historiographie, profunde Arbeiten darüber wird man (mindestens in deutscher Sprache) kaum finden.

Gerade "heruntergekommenen Viertel" haben das Zeug, uns als eine Art Ausstellungsfläche einen Ausschnitt der automobilen Stilgeschichte durch mehrere Epochen zu zeigen. Man findet hier einerseits selten gewordene Fahrzeuge, die gerade noch massenhaft im Alltagsbetrieb waren. Aber ihre gegenwärtige Verwendung kommt einem Statement gleich, das den (noch?) nicht vollzogenen sozialen Aufstieg ausdrückt. Sie weisen einen als ärmlich aus. Ein wesentlicher Grund, warum diese Fahrzeuge aus "besseren Vierteln" meist verschwunden sind.

car1c.jpg (9090 Byte) Um dort bestenfalls nach geraumer Zeit, vereinzelt, als gepflegte und gut restaurierte "Youngtimer" wieder auftauchen.

Ein völlig anderes Statement. Denn wer sich ein 30 Jahre altes Fahzeug in einen Zustand wie einst im Schaufenster bringen läßt, demonstriert damit entweder große Leidenschaft oder noble Distanz zu Geld.

Zwischen den meist etwas ramponierten Meilensteinen der Alltagsgeschichte tauchen in den "abgewirtschafteten Vierteln" vereinzelt exklusive Prunkstücke auf. Sammlerstücke die man nicht einfach auf der Straße herumstehen läßt. Weil etwa die dafür nötigen Stellplätze in den inferioren Vierteln preisgünstig sind. Oder weil Subkulturen, aber auch neue Unternehmen, dort ihre Betriebsstandorte gewählt haben, wobei sie ihre Präsenz vor allem über das Präsentieren rarer Fahrzeuge ausdrücken.

Das untersuchte Viertel zeigt uns einen Querschnitt durch die Technologie- und Designgeschichte des Automobils, wodurch sich, wie angedeutet, auch Sozial- und Alltagsgeschichte abbildet. Es wird ein ahnungsloser Flaneur vielleicht nicht jederzeit erkennen, wovor er gerade steht ...

Martin Krusche
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