Input #12 Prekäre
Verhältnisse als Zuckerseiten des Lebens
(Künstlerinnen und die Creative Class)
Von Elisabeth Mayerhofer und Monika Mokre
1. Einleitung
KünstlerInnenbilder in unserer Gesellschaft sind vielfältig, widersprüchlich und von
wechselnden Mythen und Legenden geprägt (vgl. Schneider 2004). Diese Konstruktionen
des Künstlers (seltener: der Künstlerin) wirken sich
vermittelt über Institutionen und Produktionsweisen auf die Existenzbedingungen
real existierender KünstlerInnen aus und zwar, dies sei vorausgeschickt,
mehrheitlich ungünstig, insbesondere was den Status und damit die Verdienstmöglichkeiten
von Frauen in diesem Feld betrifft.
Doch KünstlerInnen sind nicht nur passive Objekte
gesellschaftlicher Zuschreibungen, sondern mindestens manche von ihnen haben auch den
Anspruch, in gesellschaftliche Verhältnisse einzugreifen und Betriebssysteme offen zu
legen, und nützen den ihnen zugeschriebenen Ausnahmestatus zu diesem Zweck.
Die Spannung zwischen verschiedenen
Diskriminierungszusammenhängen wie Geschlecht und/oder Nationalität, zwischen
Fremdsteuerung durch unterschiedliche Legendenbildungen und der Nutzung der Spielräume,
die sich aus diesen Formen der Überhöhung ergeben, ist Thema dieses Beitrags.
2. Ausgangslage
Reflexionen und insbesondere auch Selbstreflexionen zum Status von KünstlerInnen im 20.
und beginnenden 21. Jahrhundert sind geprägt vom übermächtigen Kunst- und Künstlerbild
des 18. und 19. Jahrhunderts und können als Pendelbewegung zwischen rabiater Ablehnung
der Vorstellung des aus sich selbst kreativ schaffenden Geniekünstlers und der (häufig
unterschwelligen) Affirmation dieser Legende gelesen werden. Die potenzielle Zuschreibung
hohen symbolischen Kapitals, das sich indes selten in finanzielles Kapital oder auch
gesellschaftliche Relevanz umsetzen lässt, kann von KünstlerInnen als fremdbestimmte
Bedingung der eigenen Möglichkeiten akzeptiert oder affirmativ oder subversiv
für eigene Zwecke verwendet werden. Der zweite Weg ist allerdings für männliche
Künstler deutlich leichter zu beschreiten als für Künstlerinnen, die im etablierten
Kunstfeld nach wie vor eine prekäre Rolle einnehmen (vgl. Mayerhofer 2002). Der kraftvoll
aus sich selbst heraus schöpfende Geniekünstler war und ist männlich, sogar
ausgesprochen männlich Virilität spielt für dieses Konzept eine wichtige Rolle.
Neue und Nebenkanons, die aus der Revolte gegen bestehende Kanons entwickelt wurden, haben
dauerhaft wenig an der rigiden Geschlechterhierarchie des Kunstbetriebs geändert.
Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass die Legende vom Geniekünstler für die
Mehrzahl von KünstlerInnen beiderlei Geschlechts wenig produktiv ist, da es per
definitionem nur eine geringe Anzahl von Geniekünstlern geben kann.
Seit knapp einem Jahrzehnt hat sich nun ein gänzlich
anderer Diskurs über künstlerische und kulturelle Aktivitäten entwickelt, der unter dem
Schlagwort Creative Industries firmiert. In Kürzestform lässt sich dieses
neue Kunstverständnis als doppelte Grenzüberschreitung (oder -verwischung) beschreiben:
Die Grenzen zwischen Hochkultur und Popularkultur werden - in Anlehnung an die
Cultural Studies - aufgehoben und die Grenzen zwischen Kunst und Ökonomie
werden entsprechend dem neoliberalen Zeitgeist der absoluten Hegemonie der
Ökonomie ebenfalls beseitigt.
Wie im Folgenden beschrieben wird, ist diese Entwicklung
nicht unproblematisch gerade auch für Künstler und Künstlerinnen. Doch zugleich
ist es auch wenig erstaunlich, dass es für viele KünstlerInnen durchaus attraktiv war
und ist, dass durch den Hype der Creative Industries ein neues Verständnis von
Kreativität möglich wurde, das die Aussicht auf gesellschaftliche und damit auch
ökonomische Anerkennung bietet. Kreativität als Wirtschaftsfaktor, Kultur als
Beschäftigungsmaßnahme ermöglichen zumindest auf den ersten Blick - ein
gänzlich neues künstlerisches Rollenbild, das den KünstlerInnen zwar den Ausnahmestatus
nimmt, dafür aber eine durchaus prominente Rolle innerhalb des gesellschaftlichen
Mainstreams bietet.
Die Creative Industries werden seit gut einem Jahrzehnt als
Erfolgsrezept für individuelle kreative Karrieren (so wie auch für den
Standortwettbewerb) propagiert. Die Geschichte dieses Hypes soll im Folgenden
nachgezeichnet und ihre Auswirkungen auf die Situation von KünstlerInnen empirisch belegt
werden.
3. Kunst und Arbeit: Die Entdeckung des
ökonomischen Potenzials der Kunst
In den 1990er Jahren wurden Kunst und Kultur verstärkt unter den Vorzeichen ihres
ökonomischen und Beschäftigungspotenzials gesehen. Dies ist im Zusammenhang mit dem
Aufkommen neuer Kommunikationstechnologien zu sehen, die zu dieser Zeit erstmals
flächendeckend zugänglich wurden. In dieselbe Zeit fällt auch die sogenannte New
Economy Bubble, die die hohen Erwartungen, die in den IKT-Sektor gesetzt wurden,
illustriert: Das Internet war soweit entwickelt, dass Privatpersonen breitflächig Zugang
hatten. Unternehmen wurden gegründet, ohne dass es noch entsprechende Businessmodelle
gab, wie in diesem neuen Umfeld Geld verdient werden konnte. Auf den Aktienmärkten wurde
investiert, dies nicht nur aus einer euphorischen Erwartungshaltung heraus, sondern auch
aus der Notwendigkeit heraus, in der Gründungsphase zu investieren und nicht erst dann,
wenn ein Unternehmen etabliert und die Aktien ihrem Wert entsprechend gehandelt werden und
geringere Gewinnmargen erwarten zu sind. Ein Großteil der Unternehmen überlebte nicht
aus verschiedenen Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll
die Blase fiel zusammen. Was jedoch blieb, war das Bewusstsein der Digitalisierung,
der Virtualisierung vieler Lebensbereiche.
Anhand der Ausbreitung digitaler Medien kann ein Phänomen,
das von physischen Gütern bereits bekannt war, noch deutlicher beobachtet werden: die
Kulturalisierung sämtlicher Waren und Dienstleistungen. Güter, die sich aufgrund
globalisierter Wirtschaftsstrukturen immer weniger voneinander unterscheiden, werden mit
einem symbolischen Mehrwert ausgestattet, um den für die Preisdifferenzierung nötigen
Distinktionswert zu erhalten. So unterscheiden sich beispielsweise manche Automarken nicht
mehr durch Verarbeitung oder Einzelteile, da sie alle unter dem Dach desselben
Großkonzerns produziert werden und auch diese wiederum ihre Basisteile von den wenigen
weltweit agierenden Zulieferern erhalten. Um diese an sich identischen Produkte dennoch an
verschiedene Zielgruppen zu verkaufen, müssen sie differenziert werden. Das tun sie durch
Unterschiede in Design und Endverarbeitung sowie vor allem durch
Werbekampagnen, durch sogenanntes Branding. Klein (1999) weist darauf hin,
dass die ästhetische Bearbeitung ein immer wichtigeres Element in der
Wertschöpfungskette eines Produktes darstellt. [...]
Textauszug!
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(Elisabeth Mayerhofer ist Freie
Wissenschafterin in Wien, Monika Mokre ist Politikwissenschafterin an der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften)
[die
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