Input #8 Wirtschaftlicher
Strukturwandel
Von Winfried Lechner
Das leidige Problem des wirtschaftlichen Niedergangs der
Gleisdorfer Innenstadt ist seit Monaten und Jahren ein heftig diskutiertes Thema.
Vordergründig wird der Verlust an städtischer Lebensqualität beklagt. Dahinter aber
steckt ein emotional geführter Standortstreit zwischen innerörtlichen Handelsbetrieben
und peripheren Einkaufszentren. Dabei sollte allen daran Beteiligten klar sein, dass es
nicht um ein Entweder-Oder sondern um ein Sowohl-Als-Auch geht. Und, dass Gleisdorf
mitsamt den Umgebungsgemeinden für solche lokalen Scharmützel ohnedies viel zu klein
ist.
Gleichzeitig vergessen die Diskutanten allzu gerne, dass
sich unsere Region in einem dramatisch rasch vor sich gehenden Strukturwandel befindet.
Noch vor wenigen Jahren war der südliche Bezirk Weiz ein
bis auf ganz wenige Ausnahmen landwirtschaftlich und kleingewerblich strukturierter
Wirtschaftsraum. Handel und Dienstleistungsbetriebe waren vergleichsweise
unterrepräsentiert, woraus sich der hohe Kaufkraftabfluss nach Graz, aber auch nach Weiz
und in andere Bezirksstädte erklären lies.
Mit der Fertigstellung der Südautobahn, dem Wegfall der
Ostgrenze nach Ungarn, dem EU-Beitritt und der rasanten Entwicklung der Gewerbegebiete in
Albersdorf, Wünschendorf-Hofstätten und Ludersdorf seit etwa 1995 hat ein vorerst
unauffälliger aber unaufhaltsamer Strukturwandel in der Region eingesetzt. Die Achse
Gleisdorf St. Ruprecht Weiz, sowie die Kleinregionen Sinabelkirchen und St.
Margarethen haben sich zu einer Industrieregion mit zahlreichen mittleren und größeren
Betrieben entwickelt. Die Automobilzulieferindustrie, Unternehmen aus den Bereichen
Maschinen- und Anlagenbau, Lederverarbeitung, Lebensmittelindustrie, Elektro- und
Elektronikindustrie, Verpackungen, Logistikunternehmen, Druckereien, bis hin zu neuen
Technologien, wie zum Beispiel die Fa. KWB und Energy Cabin, produzieren für nationale
und internationale Märkte. War es noch vor wenigen Jahren außergewöhnlich, dass
oststeirische Firmen im Export tätig waren, ist es heute selbstverständlich. So mancher
Produzent beliefert die Region überhaut nicht mehr, kaum die Steiermark. Diese Tendenz
erfasst zusehends auch die Dienstleister, die im Sog der Industrie ebenfalls auf den
Export setzen. Beratungs- und Ingenieurbetriebe entstehen; Entwicklungs- und
Serviceunternehmen unterstützen die Produktionsbetriebe mit ihrem Know-How.
Dieser rasanten Entwicklung wird aus meiner Sicht zu wenig
Beachtung in der öffentlichen Diskussion geschenkt. Zu unrecht. Immerhin findet hier eine
weitaus größere Anzahl von Menschen Beschäftigung als beispielsweise in der Innenstadt.
Ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert. War es noch vor 20 Jahren für Akademiker und
Maturanten kaum möglich Arbeit in der Region zu finden, ist es heute schwer gut
ausgebildete Fachkräfte aus der Region zu finden. So haben etwa mehr als 25% der Ingenos-
MitarbeiterInnen ihren Wohnsitz in Graz und nur knapp über 10% in Gleisdorf und den
Nachbargemeinden. Ein Unternehmer mit Wohnsitz in der Region errichtet einen neuen
Firmensitz in Graz, weil die hoch spezialisierten Angestellten seines Betriebes nicht
bereit sind in der Provinz zu arbeiten. Ähnlich geht es anderen High-Tech
Unternehmen, die die räumliche Nähe zu Universitäten und Fachhochschulen als
Forschungspartner und Ausbildungsstätte für Manager und Spitzenpersonal der Zukunft
bevorzugen. Das alles ist bei uns längst Realität.
Andererseits ist diese Entwicklung für viele Menschen, die
nicht in den neuen Betrieben arbeiten, schwer nachvollziehbar. Nur wenige wissen, was
hinter den Mauern der neuen Firmengebäude tatsächlich geforscht, produziert, geleistet
wird. Vermittlung und Information wäre da angebracht.
Die Region um Gleisdorf, der Bezirk Weiz, die Oststeiermark
zeichnen sich durch außerordentliche Lebensqualität aus. Verkehrsgeografisch gut
erreichbar, ein enormes wirtschaftliches Potenzial, eine Vielzahl von
Freizeiteinrichtungen und ein durchaus ansehnliches Kulturangebot, abgesehen von der
wunderbaren Landschaft als reizvoller Wohn- und Lebensraum.
Umso wichtiger ist es, ein umfassenderes Verständnis, auch
zum Thema Wirtschaft, zuzulassen. Nicht nur die eingesessenen Betriebe haben ein Recht auf
Aufmerksamkeit und Unterstützung, sondern auch die vielen neuen, dynamisch wachsenden.
Wir sollten uns als junge Industrieregion im Zentrum Europas verstehen und auch so handeln,
ohne unsere Wurzeln zu vergessen. Damit wir auch jene erreichen, die heute zwar schon in
der Region arbeiten, künftig aber hier wohnen und als neue Konsumenten schließlich auch
die Innenstadt zu neuem Leben erwecken könnten.
(Architekt DI Winfried Lechner ist
Geschäftsführer von INGENOS)
[die
texte]
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