Input #4 Neue
Räume
(Next Code: Zum Hintergrund des Vorhabens)
Von Martin Krusche
Die Möglichkeiten den neuen Mediensituation beruhen nicht
nur auf Innovationen, sondern vor allem auch auf den selbstverständlichen Grundlagen
altvertrauter Kulturtechniken, die in unseren Lebenszonen inzwischen als allgemein
vermittelt gelten dürfen. (Was auf die neuen Medienkompetenzen keineswegs zutrifft.)
Im Zentrum dieser Mediensituation steht Literarität. Das
meint die Fähigkeit, Text zu lesen und seine Bedeutung zu erfassen. Zugang zu Kontext und
Subtext sowie das Vermögen, diversen Erzählungen auch jenseits von alphanumerischem Code
zu folgen. Und dabei selbst, handelnd, in solche Erzählungen einzugreifen.
Die Ergänzung realer sozialer Begegnung ist schon seit
rund zweieinhalbtausend Jahren um Formen der Telepräsenz erweitert. Durch die Ausbreitung
von Schriftkulturen. Doch erst die Telegrafie und Telefonie haben das Ausmaß der
Zeitverschiebung in dieser Art mediengestützter Präsenz einengen können. Um
schließlich via Web das Spiel der Möglichkeiten neu aufzustellen. Die Einheit von Zeit,
Ort und Handlung (ein Prinzip des Dramas in der Poetik des Aristoteles) kann je nach Lust
und Anlaß wieder eingeführt und neu aufgebrochen werden. Auch wenn einander begegnende
Menschen dabei räumlich bis zum halben Umfang der Welt von einander getrennt wären.
Das Zeitmaß der Erdumdrehung (vormals: Sonnenumrundung)
bekommt neue Bedeutung, da Telepräsenz quer durch alle Zeitzonen führt. Hat diese
Entwicklung Auswirkungen auf das Gefüge und Geschehen in einer kleinen Stadt, die an der
Autobahn zwischen Landes- und Bundeshauptstadt liegt?
Lagerfeuer, Dorfbrunnen, urbane Agora ... wie mögen sich
solche Gravitationsfelder menschlicher Gemeinschaft unter den angedeuteten technischen
Innovationen weiter entwickeln? Vor allem als Kristallisationspunkt des Unterschiedes
zwischen öffentlichem und privatem Raum. Sind wir in antiquierten Bildern befangen,
während uns längst neue Verhältnisse aufgesogen haben?
Die Technologieschritte sind hier vor Ort so skizzierbar,
erst kam die Eisenbahn, dann die Autobahn, danach der Daten-Highway. Bliebe allgemein zu
fragen, was wurde aus den Städten, nachdem man die Dörfer urbanisiert hatte? Und wie
hängt das, wie spielt das alles zusammen?
Das Erzählen wird als anthropologisches Bedürfnis
gedeutet. Sprechen, Hören, Austausch
der fundamentale Zweck einer Agora als dem
klassischen Ort der leiblichen Anwesenheit im politischen Sinn. Zugleich ein historisch
fundamentaler Aspekt dessen, was Stadt bisher ausgemacht hat.
Die Kritik des Sokrates am Aufgeben der oralen Kultur
zugunsten der Verschriftlichung (da ist von Platons Phaidros die Rede), seine
Kritik an der Codifizierung von Information jenseits nur sprachlicher Vermittlungsformen,
haben wir inzwischen gewendet. Konnte einst bloß gewußt werden, was man sich zu merken
vermochte, beanspruchen wir heute ungehinderten Zugang zu einer Informationsfülle, die
von keinem Menschen gemerkt werden kann. Weshalb wir uns an Mediensysteme gekettet haben,
die uns nicht bloß den Zugang zu den Archiven des Wissens versprechen,
sondern auch neue Orte und Formen der Anwesenheit andeuten. Was bedeutet das für
traditionelle Ortszentren?
[...]
Dies ist ein Textausschnitt. Den
Volltext können Sie
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