Input #3

Teamwork
(Next Code: Die Praxis des Kontrastes)
Von Martin Krusche

Es gibt meine Arbeit nicht ohne die Konzentration im Rückzug. Aber das ist nur eine der Quellen, die mir allein nie genügen würde. Ich suche die Praxis des Kontrastes. Es wäre mir mein eigener Aktionsradius zu eng, müßte ich auf die laufende Interaktion mit anderen Leuten verzichten. Es geht um „das Andere“ in den Anderen. Im vehementen Verlangen nach „dem Anderen“ sehe ich auch einen politischen Aspekt. Denn dieses Verlangen richtet sich nicht auf „Meinesgleichen“, sondern auf „das Fremde“. Auf die Differenz. Differenz schafft Sichtbarkeit und ich ohne Gegenüber nun mal ausgeschlossen.

Als Kind eines deutsch dominierten Nationalismus und des „Kalten Krieges“ bin ich eine Geburt dieses militanten „Entweder-Oders“, welches scheitert und scheitert, indem es nicht aufhören kann, Ethnos als einen Auftrag zur Ausschließung zu deuten. Dem gegenüber verlange ich das „Sowohl-als-auch“, die Antwortvielfalt, die Praxis des Kontrastes.

Weil sonst Taubheit und Erblinden wären, das Verstummen aller Sinne. Denn wir sind für den Kontrast gemacht. Das ist Conditio humana. Jede künstlerische Praxis müßte langfristig an einem Mangel solcher Kontraste ersticken. Die Suche nach dem was da noch ist begleitet mich wie ein ständiges Hintergrundrauschen.

Ich nenne ein Beispiel. Wie wenige Worte der Welt kennen wir für ein Bezeichnetes! Wie sagt jemand dazu, der bloß 300 Kilometer entfernt von mir lebt? Wie jemand auf der anderen Seite der Welt? Demnach müßte es ein selbstverständliches Verlangen sein, den staunenden Blick nicht von seiner Umgebung abzuwenden, ehe man wenigstens alle Wörter der Welt für wenigstens ein Bezeichnetes gehört hat.

Stefan Zweig erzählte, daß James Joyce, den er während des Ersten Weltkrieges im Exil getroffen hatte, jemand sei, der es darin enorm weit gebracht habe:

„Je mehr ich ihn kennenlernte, desto mehr setzte er mich durch seine phantastische Sprachkenntnis in Erstaunen; hinter dieser runden, fest gehämmerten Stirn, die im elektrischen Licht wie Porzellan glatt glänzte, waren alle Vokabeln aller Idiome eingestanzt, und er spielte sie in brillanter Weise durcheinander.“

Damit meine ich nicht, wie Joyce sein zu wollen. Ich meine die Option darin, zu allem, was einen bewegt, auch Andere hören zu können. Das ist das eingangs erwähnte „Andere“, dessen Anwesenheit ich spüren möchte, wenn ich verschiedene Prozesse meiner Arbeit verfolge. Der Kontrast tut sich darin auf, daß die Interaktion mit anderen Menschen auf mein Handeln verändernd wirkt. Das steht wiederum im förderlichen Gegensatz zu den gesuchten Stunden des Rückzugs und der Konzentration auf mich selbst.

Es gibt hierzu noch Zwischentöne. Die EDV-gestützte Telepräsenz und -kommunikation. Mein „The Long Distance Howl“ geht also vom Sessel bei meinem Schreibtisch aus, nimmt Wege über das Internet, führt mich aber ebenso zu realen sozialen Begegnungen im analogen Raum. In kleinere oder umfassendere „Reisegesellschaften“, die für eine gewisse Strecke der Wege halten.

In Summe ist die Community, die ich für den „Howl“ herbeigeführt hab, fluktuierend und ihrerseits auf Mischungen der verschiedenen Zugänge ausgerichtet. So entsteht eine Art flüchtiges Mobile, das sich dauernd bewegt, wo an dieser oder jener Stelle von jemandem daran gerührt wird. Manchmal ist es „meine Crew“, wenn ich ein bestimmtes Vorhaben in Gang gebracht hab. Manchmal ist es jemand anderes Crew, zu der ich eingeladen wurde. Danach wird es wieder ganz lose, löst sich auf, um über eine oder die andere Schnittstelle im Web noch ein wenig greifbar zu bleiben.

So geht das nun schon über Jahre.


[die texte]

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