Input #1

Aufschreiben und Einschreiben
(Next Code ... Notizen zum Hintergrund)
Von Martin Krusche

Was wir benennen, verändert sich dadurch. Beschreiben heißt gestalten. Definition drückt Macht aus. Das Codieren, als grundlegender kultureller Prozeß, erschafft die Welt, in der wir jeweils leben. Code generiert Räume. Was darf man sich denn darunter vorstellen?

input01a.jpg (13716 Byte)

[SPLITTERWERK: "Interspace T#7" beim NCC03: LINK]

Architektur gestaltet Räume. Räume haben Oberflächen. Diese werden mit Texturen belegt. Man ahnt, „der Text“ und „das Textil“, davon handelt ja „Textur“ gewissermaßen, sind beides Geflechte, Sinn- und Stoffgeflechte zur Beschreibung und Beschriftung von Oberflächen. Neben dem Schreiben, das Botschaften aufträgt, stützt sich „In-Formation“ gelegentlich auch auf das Ritzen, Eingravieren, das durch die Oberfläche und in den Raum dringt. Die Außenhaut einer Stadt ist sozusagen mit einem Ensemble von Statements belegt. So gesehen „sprechen“ Räume und ihre Oberflächen zu uns. Sie richten uns allerhand aus. Sie sind Medien für Botschaften. Sie tragen Codes.

Ornamente, „dekorierte Schuppen“, gigantische Enten und Frösche hatten mich bei Fragen nach den Veränderungen von Städten bisher noch nicht beschäftigt. Das änderte sich beim „City Upgrade“ im Rahmen des „steirischen herbstes“ 2005. Wo mir klar wurde, daß ich an meinen gewohnten Ansichten über das Verhältnis zwischen analogen und virtuellen Räumen einiges zu ändern habe.

Ich hatte diese Raumkonzepte zwar als strikt komplementär gedacht und in meiner Arbeit das Wechselspiel zwischen beiden Sphären stets betont. Ich war aber bezüglich der Schnittstellen, der Zonen des Übergangs, zu sehr an den Maschinen orientiert gewesen.

input01d.jpg (19082 Byte)

[Monitor-Rack im "Dom im Berg", Graz]

Nun hab ich Anregungen erfahren, die mich über „Next Code“ nachdenken lassen. Daß also gewissermaßen unsere Codes durchlässiger gemacht werden, um in genau dieser Durchlässigkeit den Übergang zu öffnen. Auch wenn ich im Augenblick noch nicht ausreichend genau sagen kann, wie das geschehen soll. Mit „Next Code“ meine ich, daß sich zu Text, Kontext und Subtext noch eine weitere Ebene erschließen läßt. Bei welcher der Leib und die leibliche Anwesenheit eine Rolle spielen. Was mit dem aktuellen Stand der Kognitionswissenschaften korrespondiert, welcher dem Leib, unserem Fleisch, in Revison von Descartes einen ganz erheblichen Anteil am Kognitionsgeschäft zubilligt. Wohin wir auch gehen, wenn wir aus der Ortsgebundenheit in die Telepräsenz einschwenken, der Leib sollte vorerst mit dabei bleiben.

Ich hatte davor zu lange auf Optionen gestarrt, die davon handeln, daß Mensch und Maschine sowohl physisch als auch kognitiv gekoppelt werden. Daß demnach unsere Sinne von den Simulationen der Maschinen gefüttert werden. Was „intern“ einerlei bleiben dürfte, wenn man das Gehirn als kognitiv geschlossenes System versteht, das sinnlich übertragene Reize autonom deutet. Dabei ist es dann ziemlich egal, ob diese Reize von biologischen oder technischen Quellen ausgehen. Aber diese Vision der „gehobenen Prothetik“, mit der sich „Immersion“ herbeiführen läßt, greift viel zu kurz.

Was ich in meinem Umfeld in der heimischen „Netzkulturszene“ kennen gelernt habe, schien mich überwiegend auf diese Tendenz zu verweisen. Diese Versunkenheit zur Maschine hin. Ein Sog, dem ich mich beständig widersetzt habe. Durch die Betonung der vorrangigen Bedeutung von leiblicher Anwesenheit als auch einer politischen Kategorie, die reale soziale Begegnung bereit stellt.

Entsprechend war und ist meine Arbeit darauf abgestellt, beide Raumkonzepte wechselseitig zu bespielen: „analogue space“ und „virtual reality“. Was vorläufig bedeutet, daß ich „Immersion“ als „Hauptereignis“ ausschlage. (Denn die halte ich für ein „Cartesianisches Konzept“, dem ich mißtraue.) Der sinnlich erfahrbare Kontrast zwischen analog und digital angebotenen Stoffen bleibt dadurch ein wichtiger Teil des Erlebens und der Rezeption. Der Leib wird dabei nicht ausgeblendet.

2003 war ich am Netzkulturprojekt „Local Task“ beteiligt. Dabei hatte ich unter anderem mit einer Crew zu tun, die in Alltagsgesprächen „Interspacies“ genannt wurde. Das Grazer Kollektiv „SPLITTERWERK“. Deren Projekt „Interspace T#7“ explizit als eine „virtuelle Realraumerweiterung“ angekündigt war. Das entsprach genau der Fokussierung, zu der ich in meiner Arbeit gekommen war. Eine EDV-gestützte Extension des analogen Raumes. Mein „kühles Extrazimmer“ als Erweiterung des herkömmlichen Raumangebotes.

Beim „NCC03“ (Net Art Community Congress) im Grazer „Dom im Berg“ baute das „SPLITTERWERK“ seinen „Interspace T#7“ hinten auf, ich meine „Verschwundene Galerie“ vorne. Während ich die Präsentation einzelner Exponate konzeptionsgemäß in ein Vexierspiel zwischen analogem und virtuellem Raum brachte, verblieb mein Publikum klar auf dem festen Boden „alter Räume“. Das „SPLITTERWERK“ ging etliche Schritte weiter. Es wurden, wie mir schien, reale Menschen, Dinge und Räume sowie ihre digitalen Repräsentanzen in einander geschoben. Wobei die Aufmerksamkeit der beteiligten Personen im günstigsten Fall auf beides, auf digitale und analoge Anteile des ganzen Ensembles gerichtet bleibt. Über diese Schnittstelle, die eben nicht bloß Interface ist, sondern Interspace.

Genau das war der qualitative Unterschied zu meinem Ansatz. Ich hatte bis dahin über die „Mensch-Maschinen-Schnittstelle“ als Zone der Berührung analogen und virtuellen Raumes kaum hinausgeblickt. Man könnte es eine „technische Luke“ zwischen den beiden Raumtypen nennen. Eine Art Cyber-Schott.

Hier aber stand nun der Ansatz einer maschinengenerierten Raum-Raum-Schnittstelle. Die gefiel mir viel besser als das Entweder-Oder der Immersions-Geschichte. Wo der Leib, wie im „Neuromancer“ von William Gibson, an einem „Kyberdeck“ zurückgelassen wird, mit einem „Texas-Katheter“ trockengelegt, störender Wetware-Ballast, wenn der Held mental in „die Matrix“ abhaut.

Im „Interspace“ schien mir vorgezeichnet, daß die Wahrnehmung des Physischen, der Informationsübertragung und der Simulationen als Erlebnis-Set beinander gehalten werden könnten. Denn was wissen wir schon, wie abträglich es unserem Geist (und der Seele) wäre, wenn wir den Erfahrungsanteil vitalen Fleisches in Abzug brächten? Hier hatte ich also Hinweise, wie sich leibliche Anwesenheit und Zugang zu Simulationswelten verknüpfen ließen, ohne dazu den Leib in der Garderobe abgeben zu wollen.

Das „SPLITTERWERK“ orientierte sich damals ausdrücklich an der Möglichkeit zum „Paradigmenwechsel in Architektur und bildender Kunst“. Wie wir es vermutlich zuletzt aus der Renaissance kennen, als Brunelleschi die Zentralperspektive einführte. (In Architektur und bildender Kunst.) Klar, die auf binäre Codes gestützten Kommunikationstechniken haben längst das Hereinbrechen neuer Paradigmen über unsere Häupter gehängt. Aber welche? Und auf welche Art würden wir in sie hineintaumeln oder gar stürzen?

Ich habe keinen Geschmack an Revolution. Revolutionäre sind meist Männer, die unter vielen Möglichkeiten bloß noch eine für vertretbar halten. Und diese dann mit einem automatischen Gewehr in den Händen durchsetzen möchten. Doch die Veränderungsschübe aus der neuen Mediensituation sind längst im Alltag von Millionen von Menschen angekommen.

Das wird mit dem Öffnen und Schließen von Fenstern allein nicht zufriedenstellend zu bearbeiten sein. Das Zusammenschalten von Räumen scheint mir da wesentlich vielversprechender ...

[Interspace T#7]


[die texte]

core | reset | home
44•05