art line do not cross

Ausfahrt
(Überschreitungen der Linie)
Von Martin Krusche

Die Wandlung des Computers vom “Universalrechner” zur “Simulationsmaschine” steht auch für die Wandlung unserer Realitätskonzepte und -auffassungen. Die Trennung zwischen “analogem” und “virtuellem” Raum erscheint mir bloß vorläufig. Da sich unsere Vorstellungen von Realität unter dem Einfluß der neuen Kommunikationstechnologien zu ändern begonnen haben, verschieben sich ebenso unsere Auffassungen und Erfahrungen, was Raum sei. Wahrnehmung, Denken und Körperlichkeit sind davon stark betroffen.

Seit der griechischen Antike ist die Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatsphäre ein durchgängiges Thema in unserer Kultur. Die Debatte über das Kräftespiel zwischen Eigennutz und Gemeinwohl hat ähnliche Tradition. Mit der Entwicklung einer “bürgerlichen Öffentlichkeit”, deren Wurzeln in Europa im 17. und 18. Jahrhundert zu finden sind, hat “öffentlicher Raum” als “politischer Raum” neue Bedeutungen gewonnen.

Was wiegen solche Vorstellungen in der Gegenwart? Was bedeutet uns heute “öffentlicher Raum” ... besonders, wo uns von kommerziellen Anbietern der “virtuelle Raum” mit großem Enthusiasmus als “Zone der Begehrlichkeit” angedient wird? Was bedeuten uns vorliegende Regelwerke? Welche Rolle spielen dabei bestimmte Codes, also Zeichensysteme?

Zum Beispiel: ein Automobil gilt als eingegrenzte Privatsphäre, die im öffentlichen Raum bewegt werden kann. Viele problematische Seiten des Verkehrsgeschehens werden dieser Verschränkung zugeschrieben. Daß Menschen, in Maschinen mit erheblichem Gefahrenpotential sitzend, im öffentlichen Raum quasi-private Konfliktsituationen austragen.

Kaum ein Sujet repräsentiert die Reibungsflächen zwischen Eigennutz und Gemeinwohl so umfassend, wie der Kraftwagen. Einer der Gründe, warum diese Art Artefakt (das Automobil) auch im Kunstkontext sehr interessant erscheint.

Vor allem, weil es einen verbrieften gesellschaftlichen Konsens gibt, daß sich künstlerische Praxis über manche Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzen darf.

martin01a.jpg (13550 Byte) "die verschwundene galerie"
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martin01b.jpg (12451 Byte) "unerlaubte Präsentationen"
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Weil es als gesellschaftlicher Nutzen akzeptiert ist, aus derlei Grenzüberschreitungen ein Reflexionspotential zu ziehen.

Auch wenn künstlerische Praxis keine Aufträge entgegennehmen muß, direkt ausgedrückt: Kunst muß nichts müssen, ist dieser Effekt sehr spannend. Sich solchen Fragen des gesellschaftlichen Lebens zuzuwenden. Also greife ich auf die Zeichensysteme dieser Gesellschaft zu, antworte darauf mit kleinen Interventionen, die jeweils kurze Inszenierungen sind.

Was immer wir an Regeln vereinbart haben, sie sind Konventionen, die jederzeit neu verhandelt werden können. Es sind eminent politische Fragen, wer über Zeitpunkt, Inhalt und Teilnahme an derlei Verhandlungen verfügt. Das sind Fragen der Definitionsmacht und der territorialen Hoheit. In diesem Zusammenhang interessiert mich der Sonderstatus künstlerischer Praxis ganz besonders.


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