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[23•04]

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Gleisdorfer Stadtjournal:  "Spuren" #23

Ottilie und Wolfgang Wurm
Von Martin Krusche

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Die Betriebsgeschichte geht von einem Lebensmittelgeschäft neben dem Gasthof Wurm in der Franz Josef-Straße aus. Und führt über eine frühe Kooperation lokaler „Bäcken“. Kohle ins Feuer des Kessels schaufeln, um Dampf zu erhalten. Man denkt an Lokomotiven und Schiffe. Doch kaum an eine Bäckerei. Genau das war aber das Kernstück einer früheren Dampfbäckerei. Heute haben Gas und Elektrizität die Kohle abgelöst. Weshalb die Spitze des Schlotes in der Gartengasse von Störchen bewohnt werden kann. Sieben Öfen statt dem einen aus den frühen Tagen. Kornbrot, Mischbrot und weißes Brot, als Wecken und als Laibe. Das habe man seinerzeit angeboten, erinnert sich Ottilie Wurm. Und die runden Kaisersemmeln. „Die gibt es, seit ich denken kann.“ Lange Semmeln seien erst später dazu gekommen. Salzstangerln und Kipferln. So leicht überschaubares Sortiment liegt weit zurück. Wolfgang Wurm hält sich mit Gedanken an Vergangenes nicht gerne auf. Ihn beschäftigt die Gegenwart und interessiert die Zukunft.

Diese Konzentration auf laufende Prozesse und Schritte in die Zukunft scheint eine Basis des Familienunternehmens zu sein. Und ständige Weiterbildung. „Die Geschmäcker sind so unterschiedlich“, sagt Ottilie und läßt durchblicken, daß sie sich auch ständig ändern. Was bleibt also konstant? „Qualität“, betont sie. Qualität der Zutaten? Gewiß. „Ich will nur österreichisches Getreide vermahlen haben“, sagt Wolfgang. Früher noch aus der Region bezogen, aus Mühlen in Flöcking, Takern, bis unlängst auch aus der Gleisdorfer Felber-Mühle. Doch das ist vorbei. Die lokalen Anbieter gibt es nicht mehr. Für die biologischen Produkte wird in der hauseigenen Steinmühle gemahlen.

Wasser, Gewürze, Sauerteig aus dem eigenen „Gärschrank“ ... das dürfte den Grundzutaten von 1906 gleichen. Als diese Bäckerei zum Stammhaus der Familie wurde. Darüber hinaus tut sich dann ein breites Spektrum auf. Der „Mischer“ hat ab 0:30 Uhr Arbeit. Für den Chef beginnt das Tagwerk gegen vier Uhr morgens. Andere Produzenten nutzen fertige Backmischungen, wie sie heute überall in Verwendung sind. Oder sie schieben fertige Teiglinge von internationalen Anbietern in ihre Öfen. Diese Wege hat man bei Wurm ausgeschlagen. In der Gartengasse wird Eigenes kreiert. „Zeit macht Geschmack“, verrät der Hausherr. Seine persönliche Präsenz im Produktionsprozeß ist sicher entscheidend für den Standard, der im Hause gehalten wird.

Während industrielle Massenproduktion auf Tempo und den Einsatz von Chemie setzt, werden hier alte Prinzipien gepflegt. Zum Beispiel die lange „Teigruhe“, an der man nicht drehen kann, wenn man erreichen will, daß Gewürze sich gut entfalten können, daß Backwerk in Geschmack und Beschaffenheit ein feines Niveau hat. Wolfgang: „Da muß der Teig eben vier Stunden ruhen können.“ Anders läßt es sich nicht machen.

Die schon erwähnte Vielfalt des heutigen Sortiments wurzelt in der Familien- und Betriebsgeschichte. Bis vor rund 20 Jahren hatte Wurm noch Supermärkte der Gegend beliefert. Der wachsende Preisdruck wäre wohl nur über Abstriche in der Güte der Produkte abwendbar gewesen. Man trennte sich von diesem Klientel. Es mußte neues Terrain gewonnen werden. Sohn Wolfgang erschloß sich den Konditorei-Bereich. Das Geschäftslokal neben der Musikschule war bald einfach zu klein. Der Standort gegenüber der Post, das Café, kam 1990 dazu. Ob das Speiseeis, ob der ausgeschenkte Kaffee, auch hierzu deutet Ottilie an, daß der Einsatz billiger Mittel ein falscher Weg wäre.

Vor rund acht Jahren kam eine kleine Filiale im Hause Perl dazu, vor vier Jahren eine Grazer Geschäftsstelle bei der Autobahnabfahrt in Liebenau. Die eigenwilligen Ideen bei der Platzwahl haben sich jedes Mal als tragfähig erwiesen. Auch die „Drive in“-Version, die Sohn Wolfgang nahe dem Gleisdorfer Kino realisiert hat, schreibt diese Kontinuität ungewohnter Geschäftsideen fort.



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