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Gleisdorfer Stadtjournal: "Spuren" #20

Alois Baumgartner
Von Martin Krusche

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Strapazfähiges Leder war einst in guten wie in schlechten Zeiten gleichermaßen wichtig und gefragt. Wer kann sich heute noch vorstellen, daß es im Stadtgebiet von Gleisdorf früher drei Gerbereien gab? Das Haus Baumgartner war eine davon. Bis 1964. Ein Familienbetrieb seit 1854, als der Urgroßvater von Alois Baumgartner das Anwesen übernahm. In der vormals Schlegel´schen Hofstatt aus dem 17. Jahrhundert. In der heutigen Bürgergasse. Schon die Vorbesitzer sind in der Branche tätig gewesen.

Zum Haus gehört eine „Zunftlade“ der Ledererinnung aus dem Jahre 1715. Eine Art frühes Register für alle Arten von Handwerksangelegenheiten. Die Arbeit des „Lederers“ war körperlich anstrengend, verlangte den Umgang mit Substanzen, bei denen Unachtsamkeit gefährlich ist. Man konnte sich dabei keine all zu empfindliche Nase leisten.

Es begann immer mit roher Haut. Getrocknet oder eingesalzen. Auch Lohngerberei war üblich. Bauern, die schlachteten, ließen sich aus den Häuten Leder machen. Einweichen, Entfernen der Haare mit einer Kalkbrühe, schwemmen und auswaschen. Wasser, viel Wasser gehörte zu den Arbeitsgängen. Demnach lagen Gerbereien oft an Bächen. Oder hatten, wie hier, eine eigene Quelle. Beize zur Vorbereitung für das Gerben. Der Gerbstoff, durch den die Haut unumkehrbar verändert wurde. Färben, fetten, zurichten ... in der Kindheit von Alois, der in den 30ern zur Welt kam, waren Bergschuhe noch mit Holznägeln bestückt. Das Hauptgeschäft von Baumgartner bestand aus Sohlenleder und gefettetem Leder für Arbeitsschuhe. Schuster wanderten umher, arbeiten teils in den Häusern der Auftraggeber. Auch sie waren Baumgartners Kunden.

Der Handel gehörte also dazu. Ab etwa 1900 war die offene Einfahrt zum Hof zugebaut. Straßenseitig gab es ein kleines Geschäft, „das Gwölb“ genannt. Es hatte anfangs kaum mehr als 20 Quadratmeter. Rechts vom heutigen Eingang. Daneben wurde, wie in vielen typischen Gleisdorfer Geschäftshäusern, gewohnt. Mit dem Zuwachs des Handels mußte in den Wohnraum hinein vergrößert werden.

Alois ging nach der Lehre für zwei Jahre nach Deutschland, um sich auswärts Praxis zu holen. Ab den 50er-Jahren arbeitete er im elterlichen Betrieb. Als Bruder zweier Schwestern war es für ihn damals klar, die Firma zu übernehmen. Die Lederproduktion wurde dann in den 60ern eingestellt. Der Ereignisbogen führte von der Manufaktur zum Schwerpunkt Handel. Das Haus war bis heute mehreren Umbauten unterzogen. Zu den gängigen Lederwaren kam durch Ehefrau Gerlinde der Bereich Kindermoden. An der Schnittstelle dieser Warengruppen stand das „Familienthema Schultasche“. Woraus sich im Laden manchmal dramatische Situationen, auf jeden Fall häufig Debatten ergeben. Aus denen sich der Geschäftsmann wohlweislich heraushält. Alois: „Anfangs gab es ewig nur die braunen Ledertaschen.“ Gerlinde: „Plötzlich mußte alles bunt werden.“ Gefärbtes, weiches Leder. Alois: „Dann die Perlontaschen, die nur 70 Deka schwer waren. Und später, mit den ergonomisch richtigen Schultaschen, war alles wieder beim alten Gewicht.“ Wobei heute andere Moden zählen. „Das hängt von den Fernsehserien ab, die gerade laufen.“ Deren Figuren zieren die Taschen.

Alois: „Es gibt in unserer Branche keine Komissionsware. Das Lager muß bar bezahlt werden.“ Was vor allem mit der zusätzlichen Konzentration auf den Reitsport eine Herausforderung ist. Dutzende Sattelformen, vielfältiges Zubehör. Zur Sattelprobe kommt ja niemand mit dem Pferd ins Geschäft. Gerade bei diesem Klientel engagiert sich Sohn Gerd, der die Firma inzwischen übernommen hat. Alois: „Da fährt man nicht nur zehn Kilometer zum Kunden, sondern auch mal 200. Eventuell mehrmals.“ Das deutet zugleich sein kaufmännisches Credo an: „Es zählt nach wie vor die Ware und der Umgang mit den Kunden.“ Wobei sich allerhand geändert hat. Denn das Verhalten der Menschen scheint heute oft vom Aufenthalt in Großmärkten geprägt. Der Routinier Baumgartner weiß natürlich, welche Qualität im Geschäft zählt. Seiner Auffassung nach übrigens seit jeher: Flexibilität.



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