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Gleisdorfer Stadtjournal: "Spuren" #14

Bernhard Muchitsch
Von Martin Krusche

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Der „Tieberhof” ist einer der bemerkenswertesten Betriebe Gleisdorfs, von dem zugleich kaum genauere Vorstellungen kursieren. Näher betrachtet findet man hier ein agrarisches Zentrum von mehreren völlig eigenständigen Betrieben. Saatzucht, Schweine- und Rinderzucht, eine Prüfanstalt ... Hier hatte bis Anfang des 20. Jahrhunderts die Familie Tieber ihre Landwirtschaft. 1928 übernahm der hiesige „Vorschußkassenverein” das Anwesen und richtete einen „Versuchshof” ein. In diesem Sinn bestellte die „Landesbauernschaft Südmark” den „Tieberhof” in der Nazi-Ära. 1947 übernahm die steirische Kammer für Land- und Forstwirtschaft und legte die Basis für das heutige Forschungszentrum.

Damals wurde Rudolf Miksch dort zum Verwalter. Er ist der Großvater des Agraringenieurs Bernhard Muchitsch, der heute die „Versuchsstation Gleisdorf”, einen der hier ansässigen Betriebe, leitet. Muchitsch kennt den „Tieberhof” seit rund 40 Jahren. Auch sein Vater Gerhard war hier tätig. Muchitsch sieht sich selbst als Landwirt. Betont aber, daß er einen klaren Unterschied zu dem sieht, was Bauern ausmacht, deren Familie seit vielen Generationen ihre Wirtschaft führen. Da sei ein ganz anderes Selbstverständnis. Man kann es erfahren, wenn man mit älteren Leuten spricht. Bei ihnen meint der Begriff „Heimat” nicht ein Land, sondern eigenen Grund und Boden. Muchitsch: „Ich arbeite in der Landwirtschaft und für die Landwirtschaft.” Damit meint er: „Qualitätssicherung. Weil mir der Qualitätsstandard der Agrarindustrie zu niedrig ist. Die Summe der kleineren Bauern bringt da mit Sicherheit ein höheres Niveau als ein, zwei Riesen.” Das betont er vor dem Hintergrund, daß Bauern über Jahrtausende die wichtigste Berufsgruppe unserer Gesellschaft waren und im 20. Jahrhundert plötzlich zu einer fast nebensächlichen wurden.

Die Versuchsstelle, der Muchitsch vorsteht, prüft „amtlich” neue Sorten. Das dauert pro Projekt meist zwei bis drei Jahre. „Weltweit werden ja ständig neue Sorten gezüchtet.” Wozu? Um auf aktuelle Problemlagen zu reagieren. Muchitsch: „Hab ich zum Beispiel eine Sorte, die weniger krank wird, brauch ich weniger spritzen. Oder ich brauch weniger Dünger.” Kosteneinsparungen. Senkung von Umweltbelastungen ... Im Ministerium in Wien werde „alles eingereicht, was in Österreich angebaut werden kann. Bis hin zum Golfrasen.” Getreide, Mais, Kartoffel, Kürbisse, Erbsen, Ackerbohnen, Klee ... Um herauszufinden, wie sich eine neue Sorte unter verschiedenen Boden- und Wetterbedingungen verhält, beginnt die Arbeit mit einem Sack von sieben Kilo Saatgut. Das wird in kleinen Parzellen angebaut. Hier in der Oststeiermark, im Burgenland, manchmal sogar in Übersee, wie etwa in Chile.

Muchitsch: „Da geht es um viel Know how und Handwerk. Um Genauigkeit.” Warum? Weil die Ergebnisse – vom Anbau bis zur Ernte – auf den „Miniaturfeldern” exakt dokumentiert werden müssen, um sie dann auf Hektar-Größe hochzurechnen. Also auf 10.000 Quadratmeter. „Ein kleiner Fehler wird da riesengroß. Da ist dann gleich die Arbeit von einem Jahr hin.” Zählungen, Messungen, die Wuchshöhe, die Standfestigkeit etc.

„Wir liefern die Daten. Eine Kommission entscheidet dann, ob die Sorte eingetragen wird.” Also die Zulassung erlangt oder nicht. Schließlich sollen Bauern, die Saatgut gekauft haben, zur Erntezeit keinen bösen Überraschungen erleben. Basis für diese Tätigkeit sind das Sortenschutz- und das Pflanzenzuchtgesetzt. Heuer hat Muchitsch 39 Projekte mit insgesamt 715 Objekten zu betreuen. Er ist also praktisch rund ums Jahr auf Feldern tätig. Dazu stehen, wo es über die Handarbeit hinausgeht, in der Garage der Versuchsstation einige überaus kuriose Präzisionsmaschinen. Das will alles in Schuß gehalten sein. „Ich bin ständig unterwegs und viel im Freien.” Die bürokratische Arbeit liebt er natürlich weniger. „Know how hebt die Qualität.” sagt Muchitsch. Darum ist er auch sehr viel in der Beratung tätig. „Ich hab die Möglichkeit für den Bauernstand was zu tun.” sagt der leidenschaftliche Motorradfahrer, der etwas beitragen will, „daß diese Art der Bauernschaft weiter bestehen kann.” Gegenüber den Agrar-Riesen.



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