Gleisdorfer
Stadtjournal
[26•02]

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Gleisdorfer Stadtjournal: "Stimmen" #15

Winfried Lechner
Von Martin Krusche

Der Architekt Winfried Lechner war rund ein Jahrzehnt im Planungsausschuß der Stadt Gleisdorf tätig. Aus dieser Befassung ist er zu einem sehr nüchternen Kriterium gekommen, wenn man ihn fragt, was die Innenstadt sei. "Wir haben heroben um den Kirchturm einen Kreis mit 500 Metern Durchmesser gezogen." Das umfaßt Gleisdorfs ursprüngliches Zentrum, aber auch den Bereich GEZ (Einkaufszentrum), den Bereich Post und Spar (mit Dienstleistungen und Verkehrsknoten Busbahnhof) sowie den "Klosterkomplex", der nun neu gewichtet werden soll.

Lechner bevorzugt Konzentration, um die Mitte aufzuwerten. Wege ins Zentrum, Querverschneidungen: "Lieber reingehen als rausgehen." In vielen Dörfern sehe man, daß die Ortskerne zerstört würden, in dem alles nach draußen tendiere. "Man läßt die Zentren sterben." Die sogenannten "Mußziele", das worauf niemand verzichten könne, brächten aber die nötige Frequenz. Und da müsse man sich überlegen, was notwendig sei und was ein beliebiger Supermarkt nicht übernehmen könne.

Raumplanung, Architektur, das greift ineinander und verlangt doch sehr unterschiedliche Kompetenzen. Lechner bevorzugt als Architekt eine Position im Hintergrund. "Der Bauherr sagt dem Architekten, was er machen möchte, was die Ziele sind." Dort setzt dann die Umsetzungsarbeit an. Natürlich auf eine Basisverantwortung gestellt, "damit die Hütt'n nicht unkontrolliert niedergeht." Das meint den technischen Aspekt. Doch der Architekt ist auch für Interessensausgleiche zuständig. Was sind die rechtlichen und politischen Belange? Was sind Anrainerinteressen und kulturelle Implikationen? Was sind Einwirkungen und Auswirkungen eines Objektes für die Zukunft?

Darüber hinaus fragt er bald nach "Werten". Er kritisiert, daß heute zu gerne von "verwertbaren Flächen" gesprochen wird, statt zu fragen, wie denn bestimmte Flächen Werte schaffen können. Nicht im Sinn von Kapitalvermehrung. Geld sei ein Medium, betont er, eine Tauscheinheit. Lechner formuliert das so: "Man muß sich fragen: was ist einem Geld wert?" Er setzt provokant nach: "Was hat Geld für eine Rolle gespielt, als man Kirchen gebaut hat?" Damit soll deutlich werden, daß wir uns Räume, Häuser, eine Stadt nicht nur nach Fragen der direkten Verwertbarkeit gestalten. Es geht auch um immaterielle Güter. Und das sind nicht immer "Notwendigkeiten des Moments". Lechner sagt knapp: "Mich interessiert Wert." Er fordert Tiefenschärfe im Blick und einen weiten Horizont. "Kurzfristige Ziele sind halt für unsichere Leute nicht so beängstigend." Da könne man "Babyschritte" machen. In Regionen gehe es aber noch um andere Dimensionen.

"Wir wollen alle nicht bloß passive Beobachter sein. Das liegt den Menschen eigentlich nicht." Das werde heute alles abgefedert und Menschen fänden für das, was ihnen wichtig sei, oft kein reales Gegenüber mehr. "Dafür sehen wir dann gelegentlich unglaubliche Ausbrüche an Gewalt, die wir uns nicht erklären können." Hier schließt sein Credo für reale soziale Begegnungen an. Man müsse sich mit anderen darüber verständigen: "Wo will ich hin? Wonach ist mir in meinem Leben?" In der Informationsgesellschaft sei alles da, "aber was mache ich damit?" Wenn solche Diskussionen nicht mehr stattfinden, seien die Konsequenzen problematisch. "Der unmittelbare kulturelle Kontakt unter Menschen ist mir heute zu reduziert. Man muß doch oft erst einmal diskutieren: Was interessiert uns? Was finden wir erstrebenswert?"

Natürlich seien solche Prozesse mühsam, riskant, auch manchmal unerfreulich. Aber dem stellt er gegenüber: "Wenn man nicht weiß was man will, wird es meistens teuer." Lechner gibt ein simples Beispiel. Man freue sich das ganze Jahr auf den Urlaub, weil es da so toll sei. Aber da ist man vielleicht zwei, drei Wochen im Jahr. "Ich will mich ein Leben lang freuen, wie es zuhause ist, wo ich doch die meiste Zeit verbringe." Hier setze politische Verantwortung ebenso an wie das Engagement der Menschen wichtig sei. Lechner betont: "Was ich verspreche, wollen die Leute auch bekommen." Dazu stellt er in Kontrast: "Wenn ich beliebig werde, bin ich weg." Was hier gefragt sei, beschreibt er als "der Wille zur Klarheit". Und wieder: Prozesse, Diskussionen, ein Ringen um Ergebnisse.



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