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[17•01]

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Gleisdorfer Stadtjournal: "Stimmen" #5

Jörg Painsipp
Von Martin Krusche

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"Extremsport ist in Österreich nicht sehr populär." sagt er. Und er weiß, daß Extremsportler als eher seltsame Menschen bestaunt werden. Aber daß jemand nie über seinen Tellerrand hinaussieht und sein Leben lang das ewig Gleiche tut, gilt als normal. Es gibt eben sehr verschiedene Lebenskonzepte.

Painsipp lotet das intensiv aus. Was mit Leben gemeint sein kann. Ohne sich deshalb als Außenseiter zu inszenieren. Das gibt es in diesem Milieu natürlich auch, erzählt er. Leute die viel Wert darauf legen, daß man schon von Weitem merkt, wie anders sie sind. "Manche leben nur für den Sport. Für die zählt nichts anderes." Dafür hat Painsipp wenig übrig. Er liebt die Vielfalt, den Kontrast. Er liebt es, neben den schweren Gängen ein ganz normales Leben zu haben. Arbeit. Naturverbundenheit. Das Haus. "Eine Wohnung ist nichts für mich." Mit genügend Grund rundum. Und mit zwei Hochlandrindern. Eine gewöhnliche Erwerbstätigkeit. Painsipp ist erfolgreicher Tennistrainer.

Das hat mit seiner Vorgeschichte zu tun. Er begann als Siebenjähriger intensiv Tennis zu spielen. Täglich. Stundenlang. Als Teenager hatte er dann massive Probleme mit den Knien. Aber ihm wäre dieser Sport ohnehin zu einseitig gewesen. Es folgten einige wilde Jahre. Auslandserfahrungen. Schließlich die Frage, wofür er denn eigentlich fit sei, wenn er weiter trainiere. Eine Frage nach Lebenszielen.

Anfang der 90er fand Painsipp im Wüstenmarathon "Les Sables" neue Horizonte. Da gab es diesen Lauf zum neunten Mal. Er hatte schon Tote gefordert. Die enorme Hitze. Schlangen. "Damals war ich überzeugt, es kann einem nur was passieren, wenn man schlecht vorbereitet ist." Heute weiß er, daß es immer sehr, sehr gute Gründe geben muß, ein hohes Risiko einzugehen. Und daß man nicht alles tun muß, was machbar ist. Die Wüste war ein Schock. Das Ausmaß der Strapazen. Wie sehr man auf sich selbst gestellt ist. Sand und Schweiß machen einen wund. Man verliert Zehennägel. Die Austrocknung des Körpers kann tödlich sein. In der Wüste sind sechs bis sieben Liter Wasser pro Tag das absolute Minimum an Bedarf. Zum Trinken, zum Kochen und zum Waschen.

"Danach war mein erstes Gefühl: nie mehr!" Aber nach einigen Wochen, als die Blasen an den Füßen verheilt waren, wußte er: "Ich muß ins nächste Rennen." Er scheint jemand zu sein, der hinter Horizonte blicken will und der Klarheiten sucht.

Mitte der 90er lernte er Alaska kennen. (Vorher war er zur Einstimmung auf dem Mont Blanc gewesen.) Ein extremes Land. Man könne sich gar nicht vorstellen, was "endlose Weite" wirklich bedeutet. Dort erlebt man es. 320 Kilometer Laufstrecke. Einsam. Alle nötige Ausrüstung auf einem kleinen Schlitten, den man mitzieht. Sogenannte "Selbstversorgerrennen" zieht Painsipp anderen vor. Mit Laufschuhen bei minus 25 Grad. Und dann ein Mensikusriß. Man muß ständig in Bewegung bleiben, um nicht völlig auszukühlen. Selbst wenn man im Schlafsack liegt. Nie stillhalten.

Bei seinem ersten Himalaya-Lauf wurde Painsipp klar, daß er für jene Wege gemacht sei, die eher Kraft und Anstrengung bedeuten. Weniger jene, wo Rhythmus und Ausdauer nötig sind. Es drängen sich bei solchen Unternehmungen natürlich vor allem zwei Fragen auf: Warum? Und wozu? Selbstbestimmung spielt dabei eine große Rolle. Sich Ziele stecken, auch sehr schwierige, und an ihrer Erreichung festhalten. Aber nicht auf Biegen und Brechen. Dennoch: "Wenn ich vor dem erreichten Ziel abbrechen muß, bleibt etwas offen." Painsipp weiß sein Leben zu schätzen. Das gesetzte Ziel vor Augen behalten, aber die Bedingungen genau kennen, unter denen es zu schaffen ist. Wissen wann es zu gefährlich wird. Auf die Zeichen achten. "Man muß präventiv agieren und nicht erst reagieren, wenn das gesundheitliche Problem schon da ist."

Painsipp sagt: "Training heißt dem Körper bestimmte Abläufe vertraut machen." Dazu muß angemessenes mentales Training kommen. Aber was bedeutet das in der Praxis? Der Sportler erläutert es am Beispiel seiner Nordsüd-Durchquerung des Death Valleys auf Laufrollern. Das hatte vor ihm noch niemand gewagt. Zehn Stunden, 16 Liter Wasser. Im heißesten Tal der Welt. 67 Grad plus wurden dort als höchste je gemessene Temperatur im Freien schon festgestellt. "Ich muß die Hitze suchen. Erwarten. Ich darf sie nicht als das Abschreckende sehen." Das wäre eine negative Orientierung. Man muß begreifen, was die Bedingungen einer Situation seien und diese Bedingungen annehmen. Es ist ein wenig wie die Redensart: Wer die Hitze nicht verträgt, muß die Küche meiden. Natürlich geht es auch um die Fähigkeit Schmerzen zu ertragen. Darauf einzugehen. "Schmerz", sagt er, "ist aber besser auszuhalten, wenn man in Bewegung ist."

Wer sich schwierigen Verhältnissen ausgeliefert fühlt, das als plagende Sorgen erlebt, ist schlechter gerüstet, seine Probleme zu bewältigen. Wer die Schwierigkeiten, mit denen zu rechnen ist, als Bedingung akzeptieren und sich darauf bestmöglich vorbereiten kann, hat eine ganz andere Position. Dazu gehört es auch, seine Ziele bedacht zu wählen und nicht leichtfertig aufzugeben, betont Painsipp. Ausdauer sollte sich mit Erfahrung verbinden.

Wünsche? "Ein Achttausender wäre schon reizvoll. Aber da müssen die Voraussetzungen total stimmen." Es rauche ja nicht der Everest sein, mein Painsipp. Wo die Herde hintrampelt, wird man ihn kaum finden. Wer jetzt noch fragt, warum dazu das Extreme nötig sei, vergißt einige zentrale Momente unserer Kultur. Die Jahrtausende alten Praxisformen, durch den radikalen Entzug von Reizen oder durch Reizüberflutung in andere Zustände zu gelangen. Zustände, in denen man existenzielle Erfahrungen macht, seinem Bewußtsein neue Dimensionen öffnet. Die Askese und die Berauschtheit sind uralte Wege dazu. Aber das sind keine Alltagsdinge. Painsipp hat seine Wahl getroffen.



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