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[12•01]

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Gleisdorfer Stadtjournal: "Stimmen" #3

Wolf Rauch
Von Martin Krusche

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In der neuen Mediensituation ändert sich unsere Gesellschaft so radikal wie rasant. Wolf Rauch sagt, es werde kein Stein auf dem anderen bleiben. "Tempo und Ausmaß sind kaum vorstellbar." Dabei meint er einen Zeitrahmen von zehn bis fünfzehn, maximal zwanzig Jahren. Es ist sein Beruf, diesen Dingen nachzugehen. Rauch leitet das Institut für Informationswissenschaft an der Karl Franzens-Universität in Graz. Während sich die Informatik vor allem mit den Computern und den technischen Fragen ihrer Nutzung befaßt, widmet sich die Informationswissenschaft "der Behandlung von Informationsproblemen und Informationsprozessen". So auch deren sozialen und kulturellen Aspekten.

Änderungen in der Mediensituation führen laut Rauch zu tiefgreifenden Änderungen im gesellschaftlichen System. "Das war noch jedes Mal so." Deshalb sieht er nun vor allem das Bildungswesen enorm gefordert. Nicht bloß weil Wissen so schnell "veraltet". Auch weil neue Verfahrensweisen und Qualitäten nötig sind, um auf der Höhe der Zeit Schritt halten zu können. Das berührt alle Lebensbereiche.

Hier liege zugleich Verantwortung, damit in diesem Prozeß nicht einfach ungezählte "Verlierer" auf der Strecke bleiben. Rauch: "In fünf Jahren werden sich die Strukturen verfestigt haben. Dann wissen wir schon, wer die neuen Chancen genutzt hat." Dabei läßt sich keinesfalls sagen, wie diese nahe Zukunft genau aussehen werde: "Ab jetzt wird es Spekulation. Wer Veränderungen als Bedrohung erlebt, hat Grund sich zu fürchten."

Ein düsteres Szenario? Keinesfalls. Wir seien ja nicht a priori die Opfer von Veränderungen, sondern könnten sie gestalten, betont Rauch. Für den Bildungsbereich beschreibt er fünf prägende Momente, durch welche die Gegenwart und die nahe Zukunft bestimmt würden. Europäisierung, Kommerzialisierung, Auffächerung des Bildungsangebotes, neue Formen des Lernens und Lehrens und schließlich Akkreditierung.

Die Hauptumbruchstendenz sei sicher die Europäisierung. Dabei wolle die Wirtschaft wissen, was sie bekomme, wenn sie Absolventen aus diesem oder jenen Land einstelle. Qualitätsstandards werden mit konkreten Bildungsstätten verknüpft sein, mit anderen nicht.

Die Kommerzialisierung ergebe sich daraus, daß Bildung nun mal ein sehr gutes Geschäft sei. Bei uns gelten 100.000 Schilling pro Studierendem und Jahr auf universitärem Niveau als Untergrenze. Private Unis würden 250- bis 400.000 Schilling aufwenden.

Die Auffächerung des Bildungsangebotes bedeutet unter anderem, daß die Einrichtungen nicht mehr so scharf von einander abzugrenzen seien, wo es um die Nutzung von Ressourcen gehe. Ob Raumangebote, Ausstattungen oder Budgets. Synergie werde, so Rauch, an Bedeutung gewinnen. Auch die Frage, wo man Geld verdienen und selbst verwenden darf.

Es entstünden ganz neue Formen des Lernens und Lehrens. "Die neuen Technologien verändern Lebensbereiche über Nacht." Da könne man nicht einfach weitermachen wie bisher. Rauch: "Das Lernen bricht in Module auseinander." Unser Arbeits- und Kommunikationsverhalten wird durch die neuen Informationstechnologien völlig verändert.

Schließlich wird Akkreditierung wichtiger denn je sein. Also die Anerkennung und Sicherung von Qualitätsstandards. Rauch: "Da zählt dann der Name der Institution, wenn damit verbunden ist, daß ein oberstes qualitatives Level gewährleistet ist. In diesem Bereich ist ein guter Ruf ganz schnell ruiniert." Einen Titel könne man ja mancherorts kaufen. Also zähle, wo er erworben wurde.

Was mag das alles für eine Stadt wie Gleisdorf, für einen Raum wie die Oststeiermark bedeuten? Rauch: "Klären Sie: Was sind die Stärken in der Region? Das muß man verstärken, unterstützen. Was sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Raumressourcen? Gibt es Menschen, die vor Begeisterung und neuen Ideen brennen? Kann man die Lebensqualität stärken? Etwa mit Kunst, Kultur, Unterhaltung?" Und immer wieder der Hinweis: Hohes Niveau in der Qualität. "Sonst braucht man gar nicht erst anfangen." Am besten, man stünde europaweit im Spitzenfeld. Das ist nicht bloß so dahingesagt. Rauch läßt keinen Zweifel daran, daß schon jetzt dringender Handlungsbedarf besteht und Inspiration unverzichtbar ist. Wie das gehen soll?

"Es müssen Sach- und Machtpromotoren zusammenkommen. Zehn bis zwölf Leute können als Kreis der Sachpromotoren inhaltlich sehr viel voranbringen. Aber sie brauchen zusätzlich einen zweiten Kreis von Menschen, die das als Machtpromotoren mittragen." Etwa engagierte Menschen aus Wirtschaft und Politik. Rauch sagt: "Manchmal steht und fällt alles mit zwei, drei motivierten Personen. Wenn man solche Leute hat, muß man schauen, sie nicht zu frustrieren."

Als größeren Zusammenhang für die aktuellen Vorhaben betont Rauch den Erhalt einer stabilen Demokratie. Die Aufgabe sei "dafür zu sorgen, daß die technische Entwicklung das nicht gefährdet." Es gebe heute keine blühende Gesellschaft ohne eine intakte Demokratie. Es gehe also auch um soziale und emotionale Qualitäten. Davon müsse Medienkompetenz heute ebenso handeln wie von einem allgemeinen Zugang zu den Neuen Medien. Und den Fertigkeiten, die dazu nötig sind. Die Infrastruktur müsse bereitgestellt, die Netze müßten verfügbar gemacht werden. Rauch drückt es so aus: "Als die Semmeringbahn gebaut wurde, gab es noch keine Lokomotive die hätte darüber fahren können." In einem Essay schrieb er: "Der unbestreitbare gesamtgesellschaftliche Nutzen von Eisenbahn, Elektrizität und Telephon wurde nicht aufgrund einer ökonomischen Zielvorgabe erreicht, sondern durch visionäre Produkte, deren Ziele und Nutzen für den Einzelnen außerhalb des wirtschaftlichen Erfolges lagen."

Das darf wohl als bildungspolitisches Statement gelesen werden.



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