martin krusches [flame]: backroads 18. Juni 2002 [25/02] Nach dem zweiten Weltkrieg waren die von der französischen Republik und Napoleon angelegten Straßen gerade aus, mit weithin sichtbarem Baumbestand von weitem erkennbar und mit Pappeln oder Platanen gegen Blitz und Donner geschützt in einem jämmerlichen Zustand. Wie soll man darauf Auto fahren?
Statt eine Spiralfeder zu verwenden, auf der heute Kinder auf dem Spielplatz herumgaukstern, schraubten die Ingenieure der Firma Citroen nach dem Krieg ab etwa 1955 mit Stickstoff gefüllte Stahlkugeln auf die Federung ihrer Autos und steuerten sie mit einer inkomprehensiblen, also nicht zusammendrückbaren Flüssigkeit. Das dauerte alles seine Zeit (drei Jahre), tat aber beim Anstarten dem Motor immer gut (20 Sekunden). Damit sich Stickstoff und Öl nicht vermischen, legte man eine Membran in jede Federkugel, etwas dichter als das, was wir im Kehlkopf haben, und benutzte das Öl zum Schmieren der beweglichen Teile. Kleine Düsen, die sich mit Stahlplättchen verschließen, ersetzten die üblichen Schwingungsdämpfer, damit das Gerät nicht wippt und schaukelt wie auf dem Spielplatz. Um Verwechslungen mit der üblichen Bremsflüssigkeit zu vermeiden, strich man die Kugeln und alle mit dem System verbundenen Teile grün an. Beim Nachfolgemodell XM haben sie das vergessen und den Vorratsbehälter aus Kunststoff schwarz gelassen. Prompt schütten meine Kinder Scheibenwischwasser hinein. Zurück: Nun konnte man das Auto steuern, und zwar in jedweder Hinsicht. Belud man das Auto mit 20.000 Zeitungen und 4 Kolporteuren, hob es sich beim Anstarten magisch in die Höhe, als sei nichts und niemand drin. Ein an den Stabilisatorstangen zwischen den einzeln aufgehängten Rädern angebrachter Stahlfinger meldete die Belastung bei einem dauerhaften Drehmoment an die Schlaufe eines Steuerungsventils, mehr von dem Öl ins System hineinzugeben, bis der Stahlfinger zufrieden war. Stiegen die Kolporteure mit den Zeitungen aus, entwich mit dem Wink des Stahlfingers das Öl, natürlich nicht auf die Straße, sondern durch Auffangleitungen. Nie wer Subversives in dem Auto gewesen. Es lag nahe, die unterschiedlichen Druckverhältnisse hinten für die Bremskraft zu nutzen. Je mehr Gewicht im Kofferraum, desto mehr Bremskraft, damit die Reifen nicht radieren. Sollte man hinten in Panik geraten, kriegt das Auto Bremskraft von vorn. Wenn das System hinten leck wird, schließt sich ein Sicherheitsventil. Der Titanic hat das nicht geholfen. Der Eisberg kam von vorn. Ansonsten bremst man nicht mit Druck auf ein Pedal, sondern gegen eine Feder und öffnet damit ein Ventil. Wer mehr als den dicken Zeh benutzt, kann was erleben und sich geistig auf eine Betonwand einstellen. Das Ding zum Schleudern zu bringen, war in Frankreich Filmereignis. Die Höhe des Autos zu verstellen, geht auch von Hand. Das ist bei Waldwegen günstig. Auch in den von Gelsen verseuchten Dünen bei Huelva, wo Guadiana und Guadalquivir, auf dem einst Columbus schipperte, ins Meer fließen, war das einmal eine Hilfe. Haben wir uns so aus dem Sand gehoben. Bei der DS gab es keinen Wagenheber zum blöden Kurbeln, sondern einen Unterstellbock. Im Sand ist der auch ein Schmarren. Den hing man an einen Knopf am Rahmen auf, legte den Hebel hinauf, wartete, bis das Auto in Höchststellung war und legte einen Stift ins nächste Loch. Dann überlistete man wieder die Steuerungsventile mit diesem Drahtgestänge und stellte auf ganz niedrig. Hob sich über die Stabilisatorstange vom niedergedrückten Rad das zu wechselnde Rad magisch in die Höhe. Kleiner Tipp: vorher die Radmuttern lösen. Sonst hat man hinten keine Chance und kann vorn die Wirkung der Handbremse testen. Das war und ist auch wieder eine Fußfeststellbremse. Mich wundert, dass man die Fensterscheiben noch nicht hydraulisch steuert. Beim Baggerfahren ist mir das wieder in den Sinn gekommen. Alle diese Leitungen verrotten mit der Zeit. Irgendwann zwirbelt es den Kupferdraht auch auf. Aber ich schweife ab. Federung und Bremsen abgehakt: Noch Fragen? Ich komme zur Lenkung. Bei konstantem Druck im System wird sie nicht flatterig, sondern korrigiert sich bei jeder ungewollten Abweichung, ob Pfütze oder Wackerstein selber. Nur das Lenkrad geradeaus halten. Um die Kundschaft nicht zu verunsichern, funktioniert sie auch mechanisch. Beim 280 SE Benz meines Chefs mit Servolenkung konnte ich mir bei T140 nicht mehr die Zigarette anzünden, ohne Gefahr auf dem Mittelstreifen zu landen. Bei T180 bekam ich einen Schweißausbruch, während sich bei T210 meine Kolporteure im Fonds meiner DS kurz vor dem Einschlafen zutuschelten: Hast du mal auf den Tacho geschaut? Über den Nachlauf, den jedes Teewagerl hat, versteifte sich die Lenkung der DS, je schneller das Auto wurde. Das war den Ingenieuren von Citroen nicht genug. Im Nachfolger CX bauten sie eine Drossel ein, die Druck aus der Leitung nahm, je schneller sich irgendwas im Getriebe drehte. So versteifte sich die Lenkung noch einmal für die Eisenbahn auf der Autoroute du Soleil. Da kam Dir im Rückspiegel gelegentlich eine wilde DS entgegen. Der kleine Hebel links am Lenkrad diente gleichermaßen als Hupe und Lichthupe, vor oder zurück. Dass ihre Besitzer und Bediener gern damit herumspielten, liegt nahe. Da zeigt sich Verantwortung. Den Blinker hat man immer selber zurückstellen müssen. So lernt man Autofahren. Ich schweife ab. Der Überschmäh der Citroen-Ingenieure war, dass sie dafür sorgten, dass sich die Lenkung auch bei stehendem Teewagerl von allein wieder geradeaus stellt. Damit wird rückwärts Einparken zum Genuss. Als hätte man in der Lücke mit seinem fünf Meter langen Auto immer schon da gestanden. Mit der Diravi, dem Directionnement à vitesse, der geschwindigkeitsabhängingen Steuerung wurde auch der Bauplan für ABS gelegt. Das führt jetzt zu weit. Erst als ich einen Frontalunfall auf der Gastarbeiterroute hatte, wurde mir das Sicherheitskonzept der DS bewusst. Peter Fassbender Junior zeigte mir einmal einen fast unversehrten 170 D Benz in der Werkstatt seines Vaters, im Dorf Schweißer-Pitter genannt. Das ist jetzt 40 Jahre her. Was ist mit dem Auto, fragte ich Peter. Nur Kontrolle, sagte er, und, dass vier Menschen darin gestorben sind. In anderen Autos wurden den Menschen vom geknickten Blech
die Bäuche aufgeschlitzt. Daher baute man die schnittige Karosse von Bertone um eine DS
herum. Wenn es vorne tuschte, wanderte die Verkleidung bis nach hinten, wo dann unter
Umständen der Kotflügel abfiel. Ich bekam die Tür nicht auf, weil sich alles verklemmt
hatte, musste dann aus dem Fenster klettern. Ein kleines überflüssiges Blech unter dem
Armaturenbrett hat mir das Knie aufgeschlitzt. Nobody's perfect. Das Lenkrad mit nur einer
Speiche habe ich gegen das Armaturenbrett gedrückt und doch noch geküsst. Dabei war ich
angeschnallt. Wer macht sich eine Vorstellung über die Kräfte, die bei einem Unfall
wirken... Noch ein Wort zu diesen Offroad-LKW. Die krummen Metallbügel vorn kosten 300.000 Euro mindestens, wenn man damit ein Kind anfährt. Kann man sich auf ein Urteil aus der Schweiz berufen. EuGH geprüft, was ich weiß. Der Vater des verunglückten Kindes hat sich durchgesetzt. Ich erfahre das über Telefon von einer ZEIT-Redakteurin, die sich für meine Arbeit interessiert. Ist das jetzt Heimlichtuerei? Wer bringt das an die große Glocke? Hier interessiert das sonst keinen. Die Motorvarianten der DS hatten viel mit der Steuergesetzgebung zu tun, nicht nur in Frankreich, wo sie nach der Steuerklasse benannt wurden, DS 19, 21, 23. Ehrliches, bürgerliches Imponiergehabe, das zeigte, welchen Beitrag man für die Sanierung der maroden Straßen leistete. Vorrechte gab es aber nicht. Ein kleiner Hinweis am Blech, sehr nobel. Die 2CV für den Alltag, die verschlüsselte Quat'cent quatre für die Präsentation des schönen Frankreichs am Wochenende. So fährt man in Frankreich Auto. Sicher nicht immer. In Toulouse ist vor einem Jahr oder zwei eine Sprengstofffabrik explodiert. Das ergab auf der Autobahn eine hübsche Momentaufnahme. Wie geblitzt. Alle Autos bekamen Trümmer ab, die am Lenkrad blieben stehen und ließen sich von den herbeieilenden Reportern interviewen, beschwerten sich über den Eingriff in ihre Fortbewegung. Ein Citroen oder gar DS-Fahrer war nicht dabei, obwohl noch genug davon auf Frankreichs Straßen gefahren werden. In einer DS lernt man diskret Auto fahren. Seinen Schaden hängt man nicht an die Glocke. Das Dach ist außerdem aus Plastik. Kein Grund, sich über einen kleinen Steinschlag aufzuregen. Einen havarierten Rolls in der Sahara gibt es auch nicht. Als es doch einmal passierte, flog die Reparatur in die Wüste und leugnete nachher, je da gewesen zu sein. Alles Legende, zeugt aber von einer Haltung. Als der Innenminister auf einer Verkehrssicherheitsenquete nicht einsehen wollte, nachts mit T100 aus Wien kriechen zu müssen, bekam er von mir Spott und Hohn. Es heißt hier ja Fahren auf Sicht. Je weniger ich erblicke, desto schneller darf ich fahren. Das machen sie alle in Österreich. Ist nachgemessen worden. Kann ein Blinder am Steuer mit Lichtgeschwindigkeit fahren. So ein Knall steckt in den für unser Zusammenleben verantwortlichen Köpfen. Ich schweife wieder ab, ach, Gott warum? Die Luxusfederung der DS ließ beim Anfahren das Auto vorn fast bis zum Abheben hochsteigen und es sank beim Bremsen ehrfürchtig in die Knie, bevor es zum Abreiben der Reifen kam. Um dabei nachts nicht den Blick zu verlieren, bewegten sich die Schweinwerfer über zwei an den Stabilisatorstangen vorn und hinten angebrachten Drahtzügen gegenläufig. Das hat man besonders bei alten Fahrzeugen gar nicht gemerkt, wenn die Drähte festgerostet oder abgerissen waren. In der ersten DS gab es das noch nicht. Aus ihr wurde erst einmal die ID, dann wieder eine DS, als die Schweinwerfer mit ihrem Lichtkegel auch in die Kurve gingen. Der Wegweiser nach Lacroix Falgarde zu meiner Freundin? Angehalten, Lenkrad eingeschlagen, aha. Daher die Wehmut zu diesem Auto. Nicht nur daher, wie ich hoffentlich überzeugend darlegen konnte. Der Scheinwerferkegel einer XM ist wieder extrabreit. Aber hoch geht er nicht. Was ist an einem hektischen Start ein Kavalier? Dass man mit der Hydraulik nur einen kleinen Hebel mit den ausgestreckten Fingern beiläufig beim Lenken zu bedienen hatte, um ohne auf ein Pedal zu treten oder gar mit Zwischengas in einen anderen Gang zu schalten, das Auto beschleunigt, gab es nur in den besseren Modellen mit der Göttin der Weisheit benannt. Kleiner Tipp von Pallas Athene: wenigstens vom Gas gehen. Ganz nach links den Motor starten, dann immer den Hebel nach rechts, um schneller zu werden - fast ein politisches Programm. Speed kills. Das hat auch General de Gaulle gefallen. Der hatte aber wegen Algerien mehr Sorgen, wegen der Attentate auf ihn besonders. Auch in diesem heiklen Fall war die DS nicht zu schlagen. Bei einer Autobombe wären alle Teile locker weggesprengt geworden und durch die Luft geflogen. Für die Insassen vergleichsweise gemütlich, nicht nur der dicken Polster wegen. Die DS funktioniert wie keine Bombe - im Gegensatz zu ihren Nachfolgerinnen und allen anderen Autos. Das ist jetzt für alle, die sich mit Sprengsätzen an Autobusse heranmachen, um sich und ihnen völlig unbekannte Leute zu töten, bloß weil man ein Foto von sich hat machen lassen, das nachher herumgereicht wird. Man hat die DS als Haifisch dämonisiert. Das Tier hat wie eine DS auch im Wasser noch den niedrigsten Luftwiderstandsbeiwert, was für ein Wortungetüm. CW heißt das jetzt. Oder falsch? Im Wasser? Daraus ergibt sich für den Menschen hinter dem Steuer eine verantwortungsvolle Haltung. Man kontrolliert ohne einzugreifen. So kann man für ein Monatsgehalt Aristokrat werden. Meine erste DS hat nicht mehr gekostet. Über die gesammelten Trümmer meiner Göttinnen und ihrer Nachfolgerinnen hat sich der Hydroclub Graz hergemacht. Ich bin den lieben Leuten von der TU unendlich dankbar dafür, meinen Schrottplatz leer gefegt zu haben. Jetzt bin ich wieder gewöhnlicher Autofahrer und gehe gleich mit dem Hund spazieren. Hasta la vista, companieros. [reset] |