Betreff: Fette Beute
Hallo Martin und alle,
Die Westentaschenracer haben meinen Ehrgeiz neu entfacht, wieder mehr zu schreiben und
die Archive zu bearbeiten. Die Abende werden sowieso wieder länger und ein unendliches
Portfolio an interessanter Beute wartet noch auf seine Aufarbeitung - sehr erfreuliche
Aussichten.
Die beschauliche bayrische Stadt Dingolfing ist vor allem aufgrund des riesigen BMW
Werkes bekannt, das fast 20.000 Personen Arbeit bietet, die dort die Flaggschiffe der
weiß-blauen Marke, die 5er, 6er und 7er Reihe, montieren. Der Ursprung der weitläufigen
Anlage liegt jedoch in den in den Wirtschaftswunderjahren groß gewordenen Glas-Werken,
die bereits seit 1883 als Landmaschinenfabrik Isaria firmierten. Nachdem kurz nach dem 2.
Weltkrieg der Wunsch nach landwirtschaftlichem Gerät zwar groß war aber noch sehr wenig
investiert werden konnte, suchte die Familie Glas ein neues Absatzfeld zur Auslastung der
Fabrik.
Der Erfolg der Vespa in Italien spornte zur Entwicklung eines Rollers an, der ab 1951
als "Goggo" verkauft und berühmt werden sollte. Rechtzeitig erkannte man
danach, dass steigender Wohlstand einen Umstieg auf Blechdach und vier Räder mit sich
bringen würde, das 1955 als Goggomobil lancierte Winz-Auto mit Zweitaktmotor traf erneut
punktgenau den Zeitgeschmack und ging als eines der automobilen Symbole für eine ganze
Epoche in die Geschichte ein. Schon bald war klar, dass dem stetigen Anwachsen der neuen
Mittelschichte mit einem nach oben erweiterten Modellprogramm Rechnung getragen werden
musste, so kam es 1958 zur Markteinführung des Isar, einem Zweitürer mit
Zweizylinder-Viertakter und 19 PS, der sich am Markt aber recht schwer tat - als vollwertiges Automobil war er dann doch eine Spur zu klein geraten.
Glas reagierte mit der sogenannten 04-Reihe, deren Herz ein brandneu entwickelter
Einliter Viertakter mit damals beachtlichen 42 PS war. Ein eigenwilliges Design - die
Reihe gab es als kleine Limousine, Cabriolet und Kombi-Coupé - verband sich hier mit
starken Motoren, die es später auch als 1,2 und 1,3 Liter mit bis zu 85 PS (1304 TS) zu
kaufen gab. So spannt sich der Bogen zu diesem eigenwilligen Gefährt, welches bei einem
schwedischen Bil-Loppis (Autoflohmarkt) feilgeboten wurde. Mir ist nicht bekannt, ob die
größeren Glas-Modelle über dem Goggomobil - bis zur Übernahme durch BMW Ende 1966
kamen noch der 1700 und ein V8-Coupé mit Frua Karosserie dazu - je in Österreich
angeboten wurden.
Falls ja, dann waren sie wohl sehr selten, denn bis auf einen einsamen blauen
"Isar" habe ich in Österreich noch nie einen echten Glas gesichtet. Umso
exotischer, dass ich ausgerechnet im hohen Norden dieses seltene Kombi-Coupé
("CL") aufstöbern konnte. Immer schon schlug mein Herz für die schrulligen
Außenseiter, die oft nur als Randnotiz in der Geschichte wahrgenommen werden, daher
genießt dieser kleine, eigenartig geformte Niederbayer eine ganz besondere Stellung in
meinem kleinen Kuriositätenkabinett.
Ein ganz anderes Kaliber ist der rote Bulle aus Sant'Agata bei Bologna. Dort, wo die
ganz hohe Kunst des 12-Zylinder-Schmiedens bis zur Perfektion getrieben wird, in der
Heimat der italienischen Motorlegenden zwischen Bologna und Modena, wurden schon immer
auch Motoren geringeren Ausmaßes gebaut, um die Stückzahlen mit
"Einstiegsmodellen" zu steigern. Bei Ferrari funktioniert das seit dem 308 / 328
vorzüglich, beim Nachbarn Lamborghini tat man sich hingegen damit traditionell schwer -
die kleinen Lambos standen immer im Schatten der aufsehenerregenden Giganten mit dem
vollen Dutzend Töpfen unter der Haube.
Der Urraco war 1973 der erste Lamborghini mit acht Zylindern, es folgte 1976 die
Targa-Variante Silhouette, eine interessante Mischung aus Urraco mit Designzitaten des
Countach, die jedoch nach nur 52 verkauften Exemplaren in einem finanziellen Debakel
endete. 1982 versuchte man mit dem Jalpa, dessen Prototyp eigentlich ein umgemodelter
Silhouette war, einen neuerlichen Anlauf, bis 1988 liefen magere 420 Stück vom Band, die
Hauptgegner waren aber überlegen da um einiges stärker (Ferrari 308) oder leichter
(Porsche 911). Trockene Fakten zu einem wunderbar überflüssigen Automobil, mit dem ich
an diesem denkwürdigen Sommertag auf der Raststation Mondsee meine allererste Begegnung
feiern durfte.
Dass da jetzt ein fetter Brummer auftauchen würde, war mir gleich beim ersten
Vernehmen des tiefen Motorengeräusches klar, aber die Tatsache, dass sich gleich darauf
ein von der Autobhnfahrt erhitzter Lamborghini Jalpa über den Parkplatz schob, sorgte
prompt für unkontrollierte, lautstarke Begeisterungsäußerungen meinerseits.
Liebe Grüße aus dem Archiv
Norbert
["elektrisiert"]
["avantourismus"
2011]