[flame] avantourimus / page #9 Betreff: Westentaschenracer
Hallo Martin und alle,
nach längerer Funkstille bin auch ich wieder einmal in der Lage, einen
Beitrag zum gemeinsamen avanturistischen Abenteuer zu leisten. Wohin die Reise geht wird
ja nun allmählich konkreter, die ferne Insel Japan (und ihre automobilen Schätze) wurden
von mir bereits in der jüngeren Vergangenheit erforscht.
Japan, ach! Und wie ist das da? Unsere mittlerweile standardisierte Replik
lautet, es ist wie Urlaub auf einem anderen Planeten mit außerordentlich freundlichen
Bewohnern. Und - darauf läuft es in meiner Post am Ende ja immer hinaus - wo es viel
Neues zu entdecken gibt, finden sich zumeist auch fremdartige Gefährte, deren man
hierzulande niemals ansichtig werden wird. Japanische Hersteller verkaufen in Europa
demnach ein gefühltes Zehntel dessen, was im Mutterland in den Schauräumen zu finden
ist.
Autozam
AZ-1
Japanische Spezialität ist der Artenreichtum bei den Mikroorganismen unter
den Automobilen, den "keijidosha", oder auch Kei-Cars ("leichtes
Automobil"). Diese unterliegen aufgrund steuerlicher Begünstigungen strengen
konstruktiven Auflagen: Die Länge ist auf 3,39 Meter begrenzt, die Breite auf exakt 1,475
Meter, motorisch ist bei 660 cm³ Schluss, um ein gelbes Nummernschild und damit einen
Steuerabschlag zu erhalten. Die Kei-Cars stellen etwa ein Drittel des japanischen
Fahrzeugbestands, die kreative Vielfalt in diesem Segment kennt kaum Grenzen. Grund für
den Erfolg ist die hoffnungslose Parkplatznot in den Städten - ohne nachgewiesenen
eigenen Parkplatz gibt es oftmals nicht einmal die Erlaubnis, sich ein Auto zu kaufen.
Tatsächlich parkt man in Japan selten -am Straßenrand, die Autos stehen zumeist in
winzigen, eingezäunten Nischen zwischen den dicht gedrängten Häusern.
Autozam AZ-1
Häufig auftauchende Sensationsfunde parkten ergo meist in Hauseinfahrten
oder engen Seitengassen, gewagte Brems- oder/und Wendemanöver waren somit
vorprogrammiert. An zu rasantes Vorankommen war aber dank eines geliehenen Suzuki Swift
mit 50 PS und Wandlerautomatik sowieso nicht zu denken, es ging alles gut - irgendwie. Der
Stunt meinerseits angesichts des blauen Krachers mit Flügeltüren geriet besonders dreist
- da, wo wir schlussendlich gehalten hatten, war das nicht unbedingt vorgesehen.
Das war es aber allemal wert, kein mir bekanntes Emblem war an diesem
Gefährt zu finden, auch die Kürzel RS und "AZ-1" am Heck gaben keinerlei
Hinweis auf das Fabrikat. Seitliche Kiemen und runde Doppelheckleuchten im Stile eines
Ferrari, Mittelmotor-Layout, offen liegende Klappscheinwerfer und - jawohl! -
Flügeltüren ließen mich aber auf ein Kitcar (Bausatzauto)irgendeines japanischen oder
englischen Anbieters tippen. Aber nach intensiver Recherche in den Tiefen alter
Auto-Kataloge entpuppt sich die Lösung als eine ganz andere...
Honda
Beat
Das Coupé ist ein Autozam AZ-1, ein von Mazda unter seiner Sportmarke
Autozam vertriebenes Modell mit 65 PS aus nur 657 cm3, das bei Konkurrent Suzuki von 1992
bis 1995 in nur knapp 4.400 Einheiten gebaut wurde. Weitaus interessanter als die
technischen Daten ist für mich der Raritäten-Faktor des AZ-1 - für europäische
Maßstäbe bedeutet diese Produktionszahl eine Kleinserie, für einen japanischen
Großkonzern eine geradezu lächerliche Handvoll Autochens.
Der AZ-1 sollte gegen einen weitaus bekannteren, auch über Japans Grenzen
hinaus exportierten, Kei-Car Gegner antreten, dessen Stückzahlen er aber nicht
ansatzweise erreichen konnte: den Honda Beat.
Honda
Fit
Die Nennleistung des kleinen Mittelmotor Roadsters, der von 1991 - 1996 in
beachtlichen 33.600 Stück vom Band lief, ist zwar um ein PS niedriger, aber das Ganze
spielt sich - anhalten - bei 7.800 Umdrehungen pro Minute ab. Das Teil wurde zwar
offiziell nur in Japan verkauft, fand aber über graue Kanäle viele Fans auf der ganzen
rechtsgelenkten Welt. Der blaue Beat war mir bei einer abendlichen Pirsch in Kyoto
aufgefallen, das Bild ist nicht ganz scharf, es war mein persönlicher Wettlauf gegen die
Dunkelheit, in ungefähr eineinhalb dämmrigen Stunden kamen gleich an die hundert
Beutestücke auf meine Speicherkarte.
Auch sehr klein, aber wegen des 1,2 Liter Benziners kein Kei-Car ist der auch
bei uns bekannte Honda Jazz, in Japan Fit. Das lustige, etwas trapezförmige Äußere
nannte man damals, 1981, "tall boy design". Erst 1984 kam der Wagen mit dem
Lenkrad auf der "richtigen" Seite nach Europa. Kann mich noch an die erste
Begegnung damit erinnern, bei einem bayrischen Honda Händler stand der vor dem
Schaufenster und das Design wirkte schon damals auf mich ziemlich schrullig und etwas am
Trend vorbei, das Auto der ersten Generation blieb auch immer ein seltener Außenseiter.
Nur für Japan gab es eine ordentlich gefütterte Turboversion, 1984 schnitt man dem Fit
Turbo dann das Dach ab, pflanzte einen schwächeren Motor in das Turbo-Outfit und fertig
war das Cabriolet, von dessen Existenz ich bis zur Entdeckung dieses in einem einsamen
Landstrich für immer abgestellten Exemplars nichts wusste.
Liebe Grüße aus dem Archiv
Der Dottore / Norbert
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