nav.gif (1376 Byte)


Das Milieu


Du befindest Dich im
v@n-Diskurs, im Kaminzimmer (im Erdgescho�)
[38/99]

 

Wovon handelt der Begriff "Initiativenszene"?
[Beschreibung eines Ausschnitts]

Von
Martin
Krusche

 

Am besten downloaden:
milieu.rtf

Was sich �ber gesellschaftliche und historische Prozesse sagen l��t, ist vor allem eines: Sie vollziehen sich ungleichzeitig. Pragmatische Politik mu� solche Umst�nde wohl einebnen, um Handlungsf�higkeit generieren zu k�nnen – so hei�t es. F�r kulturelles Engagement auf der H�he der Zeit, besteht dieser Zwang nicht. Ganz im Gegenteil.

Das bedeutet vor allem: Gest�tzt auf laufende Theoriearbeit, st�ndig beeinflu�t von wechselnden praktischen Erfahrungen, entstehen Konzepte und Diskussionsbeitr�ge, die stark von kleinr�umigen, regionalen Bedingungen beeinflu�t sind. Das bedeutet aber nicht: Enge. Was sich dabei auftut, ist ein Ganzes von vielen R�umen (als Aufenthaltsort einer Gesellschaft). Dieses Ganze ist keine "Supercity", kein "Megazentrum". Es ist ein neuer Kommunikations- und Handlungsraum, dessen aktuelle Bedingungen und Perspektiven unsere vertrauten Vorstellungen von Soziet�t, Kultur und Politik verschieben. Ich nenne es Neue R�ume. (Lebens-) R�ume kulturellen Geschehens, die vom alten Denkmodell "Zentrum / Provinz" nicht mehr gefa�t werden.

 

Ungleichzeitigkeit
Worauf liegt das Augenmerk, wenn man jenseits der (alten) Zentren – Peripherie, Provinz – ein kulturelles Engagement entfaltet, das den aktuellen, radikalen Ver�nderungssch�ben rechnung tr�gt? Vor allem darauf, nicht neuen Wellen einer kulturelle Urbanisierung der Provinz zuzuarbeiten. Auch das ist historische Episode: Da� der Provinzmensch mit offenstehendem Maul die Stadtleute bestaunt.
Ich verwende den Begriff "kulturelles Engagement" f�r ein Vorhaben, das k�nstlerische Praxis ebenso beinhaltet wie Vermittlungsarbeit, das Theoriearbeit ebenso meint wie (kultur-) politisches Handeln. Ich vermeide Begriffe wie "Kulturarbeit", weil mir der darin gebundene Arbeitsbegriff vorerst noch zu unreflektiert erscheint.

Kulturelles Engagement
Es geht dabei um eine reale Existenz, die sich nicht blo� in einer noblen Distanz zum Alltag zu entfalten vermag. Das kulturelle Engagement ist auf Raum und Region konzentriert, betont aber auch die �berregionalen Verkn�pfungen. Raum meint hier die n�chste, unmittelbare Umgebung des eigenen Lebens- und Arbeitsraumes, des Ortes, an dem man sich eingerichtet hat. Region meint wesentlich ein konventionelles Bezugsgef�ge, das einem durch dessen Vorgeschichte als zusammengeh�rig angeboten wird. Hinterlegt durch jene Raumvorstellung, die durch die Reichweite eigener Wahrnehmung und durch die Grenzen eigenen Handlungsverm�gens entsteht. (Als bewu�te Abgrenzung zur Scheinkompetenz, die aus dem Data-Overflow weltweiter Berichterstattung und Telekommunikation entsteht.)
Leute wie ich bilden – quer durchs Land – keinen Pool, keinen Verband, keine neue IG. Was man gr�nden kann, ist alles l�ngst gegr�ndet worden. In meiner Umgebung sucht niemand neue Mitgliedschaften. Da� Kooperation wichtig ist, haben wir l�ngst gekl�rt. Ob und wie man sich folglich formieren soll, steht auf einem anderen Blatt und ist Gegenstand neuer Vorhaben. Aus den Erfahrungen zeigen sich da drei wesentliche Problemzonen, die nach aktuellen L�sungen verlangen: Informationsflu�, Transparenz und Kommunikation.
Meine bisherigen Erfahrungen legen den Schlu� nahe, da� wir zeitgem��e Formationen sehr gut realisieren k�nnen, indem wir das �ber Informationsgebarung und Kommunikationsverhalten regeln. Damit verlassen wir zwar die altvertrauten Formen von Verbandswesen, sind aber wesentlich n�her an dem, was eine EDV-gest�tzte Community sein kann. Es ist l�ngst Zeit f�r neue Schritte in neue R�ume.
Auch, weil unser eigenes Milieu inzwischen Funktion�rspersonal hervorgebracht hat, das in gutem Einvernehmen mit Politik und Verwaltung zwar f�r uns aber nicht mit uns handeln. Gelegentlich, indem sie uns am Rande aller Redlichkeit als Legitimation ausnutzen ... f�r eher private Partikularinteressen.

Neue Ans�tze
Wir brauchen offene Konferenzen und Plattformen, die Offenheit nicht blo� als Bannerspruch f�hren. Themen- und projektbezogen. Ohne Zugangsbeschr�nkungen. Mit offensivem Informationsgebaren. Diese tief in uns eingeschriebene Unart, sich �ber die Definition und Abschottung von "Herrschaftswissen" Vorteile zu holen, ist ja nicht per Dekret zu mildern. Da m�ssen sehr konkrete Taten gesetzt werden. Dabei hilft es wenig, wenn allein schon durch Technologiesch�be diese �ra der Wissensvorspr�nge zu verblassen beginnt.
Man geh�rt zu offenen Konferenzen durch Absichtserkl�rung und aktive Teilnahme. Diese Plattformart, vorzugsweise webgest�tzt, verlangt nur so viel an Institution: Begleitende Dokumentation als Orientierungshilfe und wenigstens ein, zwei Leute, welche die Kontinuit�t betreuen. Kein strukturelles Delegationsprinzip und keine Funktion�rsschicht, die als "Zwischendecke" eingezogen ist. Die Teilnehmenden der Konferenz stehen in direktem Kontakt zu jenen, an welche die Konferenz adressiert ist. Tr�ume? Das behaupten nur noch die Verschlafenen. Und die Konservativen, die wir inzwischen nat�rlich auch hervorgebracht haben.
Man kann sagen: Wir konstituieren uns durch ad�quates Kommunikationsverhalten. Das gen�gt. Das funktioniert. Wir sorgen daf�r, als lokale Communities Wirkung zu entfalten und mehrere solcher Communities wie auch Einzelpersonen informationell zu vernetzen; folglich ebenso (sporadisch) �berregionale Kooperationen zu realisieren. Wie dabei die einzelnen Leute ihr Engagement und ihr Erwerbsleben konzipieren, bleibt ihnen �berlassen. Wichtig ist es allerdings, sich weiterhin an realen Tischen real zu treffen.

Kunst, Kultur etc.
Bei aller Verschiedenheit von Intentionen verbinden einen zentrale Anliegen. Etwa das Vorhaben, jenseits traditioneller Zentren Kristallisationspunkte vielf�ltigen kulturellen Geschehens zu schaffen und zu sichern, ohne sich dabei in ein Konkurrenzverh�ltnis mit solchen Zentren zu bewegen. Diese Konzentration auf das Regionale wird freilich mit �berregionalen Bez�gen und Verkn�pfungen ausgestattet.
Auffallend viele unter uns sind gleicherma�en als Kunstschaffende wie als Vermittelnde und Veranstaltende t�tig – vor dem einfachen Hintergrund, da� man h�tte in Zentren abwandern m�ssen, falls es einem nicht gelungen w�re, Beitr�ge zu leisten, durch die regional angemessene Strukturen und jenes Klima entstehen, in denen wir �berleben k�nnen. Ob es jemandem gelingen mag, aus solchen Bedingungen heraus, von solchen Orten her, weltbewegende Beitr�ge zur Kunstgeschichte zu leisten, ist f�r einen wie mich eine v�llig irrelevante Frage. Der Primat des herausragenden Genies ist in unserem Milieu eine ganz unerhebliche Konstruktion.
Die k�nstlerische Praxis f�hrt nicht ausschlie�lich, aber auch in Teamsituationen und l�ngerfristige Prozesse. Der Teambezug und das Proze�hafte sind Anla� f�r inhaltliche Anregungen, soziale Erfahrungen und haben eine weitere, wichtige Funktion. Sie zielen auf eine wachsende Reichweite (der Arbeiten), wie sie sonst nur im Rahmen konventioneller Marktstrukturen realisiert werden kann. All das geschieht mehr oder weniger im Wechselspiel mit den anderen Aspekten des kulturellen Engagements.

Community
Sollte man knapp zusammenfassen, was uns ausmacht, lie�e sich folgendes redlich behaupten: Wir sind eine Community, die mit meist sehr geringen Mitteln �u�erst effizient arbeitet und dabei in der Verfolgung ihrer Intentionen sehr vielf�ltige Kompetenzen entwickelt. Spezialistentum ist da eher untypisch und manchmal kontraproduktiv. W�hrend der "klassische Genietyp" des Kunstgeschehens eine nennenswerte Vorgeschichte mit vielf�ltigen Traditionen hat, die aus der Feudalzeit, �ber die b�rgerliche Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts in die Gegenwart verzweigen (und wohl auch in eine Zukunft weisen), w�hrend vieles an Avantgarde sich also von antiquierten Strukturen ableitet (und in antiquierten Strukturen �berhaupt erst zu etablieren vermag – den Markt, die �ffentlichkeit erreicht), verk�rpern wir sozial- und kulturgeschichtlich eine Novit�t ... was nur insofern von Belang ist, als wir uns M�glichkeiten und Strategien sehr m�hsam erarbeiten m�ssen, ohne uns auf nutzbare Vorgeschichten st�tzen zu k�nnen. (Das M�hsame ist allerdings keine brauchbare Grundlage mehr zum Erwerb von Sozialprestige. Anders ausgedr�ckt: Wen interessiert schon, da� es schwierig ist? So ist eben der Job.) Traditionen?
Die Tradition des Vereinslebens als erster Basis einer Massenpolitisierung und kultureller Organisation auf Massenbasis ist schnell ausgereizt, zumal sie hierzulande in hohem Ma�e der �berhitzten Variante von Nationbuilding gewidmet war. All das zus�tzlich zu den �blichen Belastungen k�nstlerischen Schaffens, �ber die hier keine weiteren Worte verloren werden m�ssen. So sind neue Qualit�ten gefragt. Die Individualgr��e des einsamen Genies generiert ebenso verl��liche Nervens�gen wie der rudelorientierte Institutionsmensch.
Und w�hrend vor allem die 50er-Jahrg�nge noch sehr dazu neigen, einen Gro�teil ihrer Arbeitskraft an starre und formale Wertsch�tzungsrituale zu verschwenden, um ein soziokulturelles Kuscheleck zu simulieren, an das sowieso niemand glaubt, scheinen viele j�ngere Leute wesentlich direkter zur Sache zu kommen.
Anregende neue Formationen haben Akteurinnen und Akteure, deren Haltung nicht darauf abzielt, sich aus alltagsnotwendigen und zweckrationalen Anforderungen zu suspendieren. Derlei Freistellungen bleiben manchen Momenten der k�nstlerischen Praxis vorbehalten. Was uns als Community ausmacht, wird in einem wachsenden Bem�hen um Transparenz und Kommunikation deutlich. In einer offenen Gemeinschaft, die sich nicht formiert, indem sie einfach alte Organisationsformen fortschreibt: Lagerbildung und Lagerbindung, Abgrenzungen, Funktion�rswesen, Wissensmonopole, verschlossene Verhandlungszimmer etc.
Was ich hier – bewu�t gro�z�gig angelegt – als "das Milieu" verstehe, ist im Kern eine Szene von Einzelpersonen und von autonomen Kulturinitiativen ... allerdings mit vielf�ltigen Verzweigungen. Ohne programmatische Grundsatzkonzepte, an die alle gebunden w�ren. Sehr offen. Mit starken Positionen in der Provinz. Oder zumindest: dezentral.

 

punkt3.gif (351 Byte)

TopSalon | Hausplan