kunstraum.gleisdorf: Neue Räume


Netz + Kunst + Politik
(Zur Diskussion gestellt)
Von Martin Krusche

Die Debatte hat eben erst begonnen. Hier. Zaghaft. Da haben einige Orakel sich schon einen Diskursvorsprung erarbeitet. Das ist nicht weiter schlimm. Die Debatte wird längerfristig zu führen sein. Während von mancher Seite inzwischen ein „Ende der Netzkunst“ ausgerufen wird, hat an Netzkulturbasen die Sache noch gar nicht richtig begonnen.

Was in meinem vertrauten Milieu meist unter dem Begriff „Netzkunst“ verstanden sein will, interessiert mich recht wenig. Weil es mir als ein subkulturelles Phänomen zu eingeschränkt erscheint. Meine Arbeit ist dem Thema „art under net conditions“ gewidmet. Also statt der „Netzkunst“ eine Befassung mit „Kunst unter Bedingungen der Vernetzung“. Der Kunst, der Vernetzung, den Bedingungen, den Querverbindungen. Dabei versteh ich den Begriff Vernetzung nicht eingeschränkt auf Datennetze. Ich gehe auf jeden Fall von folgenden Annahmen aus:

  • a) Menschliche Gemeinschaft gründet sich primär auf leibliche Anwesenheit und reale soziale Begegnung. Alle weiterführenden Formen von technologischer Prothetik sind Extensionen, die das Primäre nicht suspendieren.

  • b) Einer der bewährtesten Anlässe für Wir-Situationen ist „die Erzählung“. Jemand erzählt. Jemand hört zu. Mit allen Varianten von verfeinerten Ausdrucks- und Rezeptionsweisen. „Erzählen“ ist hier im weitesten Sinn gedacht. Von der Erzählung zwischen Mutterbrust und Säuglingslippen bis zur komplexen Symphonie; oder weißem Rauschen, das in einen bestimmten Kontext gestellt wird.

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All das handelt von Kommunikationsinhalten und Kommunikationsakten auf verschiedenste Art. Das und seine Implikationen, seine Bedingungen ist der bevorzugte Inhalt von „net conditions“, die mich besonders interessieren. Künstlerische Praxis und Kunstwerke sind hier Teil des zu Vernetzenden. Soziale und politische Fragestellungen zähle ich als selbstverständlich dazu. Querverbindungen jeder denkbaren Art sind der Aufmerksamkeit wert.

Kybernetik bedeutet für mich vor allem: keine Hierarchie im Informationsfluß. Meine Vorstellung vom „Erzählen als Grundsituation menschlicher Gemeinschaft“ hat ihre Konturen von den Theorien der Konstruktivisten Victor Maturana und Heinz von Foerster. Wonach alles Gesagte von einem Beobachter gesagt wird. Und zu einem Beobachter gesagt wird. Mit den drei Begriffen „Beobachter“, „Sprache“ und „Gesellschaft“ wird beschreibbar, was das „Ereignisfeld“ ist, das „under net conditions“ steht und der Rahmen meiner künstlerischen Arbeit ist. Erleben, Beobachten und sind Anlaß der Beschreibung, die mitgeteilt wird. Was Sprache im weitesten Sinn voraussetzt. Codes. Die Fähigkeit, Kontext zu lesen. (Künstlerische Praxis schöpft sich zuweilen aus vergleichenbaren Prozessen „im Inneren“.) Der Austausch von Beobachtungen, Erlebnisberichten, die Summe der Kommunikationsakte, all das konstituiert Gesellschaft. Diese Vorstellung macht es leichter, das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu begreifen ... falls sich darüber denn halbwegs präzise Aussagen machen lassen.

Meine Befassung mit „art under net conditions“ ist an einigen Polaritäten festgemacht. Wie
• das Aktuelle und das Virtuelle,
• der Gegenstand und die Idee,
• das Politische und das Unpolitische,
• der öffentliche und der private Raum,
• Zentrum und Provinz,
in real life und virtual reality etc.

Meine Arbeit setzt voraus, die Hintergrundfolie dieser Begriffe zu beachten. Gegenstand und Idee, Polis und Politiké, Öffentlichkeit und Privates, Virtuelles und Aktuelles werden in unserer Kultur seit über zweitausend Jahren diskutiert. Die ersten grundlegenden Diskurse kann man bei Platon und Aristoteles nachlesen.

Fast ebenso alt sind die schriftlich überlieferten Debatten darüber, was „das Schöne“ sei. Was als Kunst gelten dürfe und was nicht. Ob denn nun „erlesener Kennerschaft“ oder breiter Gefälligkeit der Vorzug zu geben sei und so fort. (Lukian war der Meinung, nur der Erfolg bei Kennern könne von Dauer sein. Cicero war überzeugt, bloß der „wahre Kenner“ sei ein würdiger Vertreter der Musen auf Erden.)

Die Haltung, Kunst müsse keinen „Auftraggeber“ haben, sondern dürfe, ja: müsse aus Autonomie entstehen, aus selbstgegebenen Regeln, ist eine in unserer Kulturgeschichte noch sehr junge Idee. Mit erheblichen Konsequenzen. Dieser Novität, der Idee von der Autonomie der Kunst, sehe ich nun eine ähnlich radikale Neuigkeit folgen.

Die weitreichenden kulturellen Veränderungsschübe aus der breiten Verwendungung von Mikroprozessoren, von prozessorgesteuerten Systemen, bescheren dem Kunstfeld drei besondere Neuigkeiten, deren Wirkung auszuloten mich beschäftigt:

  • a) Diese völlig neue Form von Informationsnetzen, welche die Welt nun mit einer „Info-Sphäre“ umspannen.

  • b) Das Phänomen der „Medienkonvergenz“, da mit dem Binärcode nun erstmals ein gemeinsamer Code für die verschiedenen Genres (Text, Töne, Bildwelten) verfügbar ist.

  • c) Unsere Möglichkeit, eine ganze Reihe von Fertigkeiten, die bisher als nur von Menschen leistbar galten, in Algorithmen zu fassen und an Maschinen abzugeben.

Was heißt es demnach heute Künstlerin, Künstler zu sein? Einerseits im Bereich eigener künstlerischer Praxen. Andererseits im Anspruch auf
• Anwesenheit,
• Publikation,
• Einkommen etc.

Das sind für mich auch zentrale Themen von „art under net conditions“. Wo nun einiges neu verhandelt sein will. Hinzu kommt: geht es um künstlerische Praxis, interessieren mich Fragen nach
• Intentionen,
• Handwerk,
• ästhetischen Qualitäten.

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