Wer oder was ist ein Subjekt? Das Wort
"Subjektivität" meint, in der Tradition der Subjektphilosophie nach Descartes
und Kant, in erster Linie "Innerlichkeit". Ein solches Verständnis von
Subjektivität liefert keinen Anhaltspunkt dafür, wie Raum und Identität
zusammenhängen. Umgekehrt fragt auch der professionelle Planungsdiskurs in Architektur-
und Raumplanung meist nicht nach der Präsenz der Verfaßtheit von Subjekten und ihren
subjektiven Befindlichkeiten. Von beiden Seiten her - der Philosophie sowie dem
professionellen Selbstverständnis der Raumgestalter - bleibt Beziehung von
Subjektivität, Raum und Identität ungreifbar und ungedacht. Wie ließe sich eine
gedankliche Verbindung herstellen, die sichtbar macht, daß die Formung von Identität
sich in Räumen vollzieht, durch sie ermöglicht und begrenzt wird?
Subjektivität als Manifestation des Lebendigen.
Die Absenz der Dimension des Raumes in philosophischen Subjektkonzeptionen hängt damit
zusammen, daß sie das Subjekt als ein vom Körper im wesentlichen unabhängige
Seinsqualität fassen. Die Kritik an der philosophischen Vorstellung vom Vernunftsobjekt,
daß sich seiner selbst durch Denken vergewissert, wie sie in der Tradition der
Phänomenologie spätestens seit Merleau-Ponty formuliert sowie von den psychoanalytisch
orientierten Poststrukturalistinnen, insbesondere aber von feministischen Theoretikerinnen
vorgebracht worden ist, hat mit guten Gründen das Phänomen der Leiblichkeit, der
Inkarniertheit von Subjekten zum Thema gemacht. Die Kritik an den intellektualistischen
Positionen der philosophischen Tradition radikalisierte sich schließlich in der
Proklamation des "Tods des Subjekts" - eine ebenso fatale wie unplausible
Option. Eine aussichtsreichere Option wäre, Subjektsein und Subjektivität nicht über
Innerlichkeit und Reflexivität faßbar zu machen, sondern über die damit schon
stillschweigend vorausgesetzte Bedingung des Subjektseins - über das organische
Lebendigsein.
Gedankliche Ansätze dazu bietet die theoretische Biologie der Zwanziger- und
Dreißigerjahre, das heißt der biologische Diskurs vor der molekularbiologischen Wende -
mit ihren Konzeptionen des Lebendigen, die ihre subjekttheoretischen Prämissen bei Kant
in Bezug setzt zu einer Theorie des Organismus, wie etwa bei Jakob von Uexküll und Viktor
v. Weiszäcker. Für die beiden genannten Theoretiker der Biologie sind es also gerade
diese philosophischen Prämissen, die zur Grundlage einer Theorie des Lebendigen werden.
Das Lebendige erscheint aus dieser Perspektive als eine Erscheinungsweise von
Subjektivität "vor dem cogito", wobei das phänomenal fundamentalste Merkmal
des so verstandenen Lebendigen spontane Selbstbewegung ist.
Man denke sich ein einfaches Beispiel: Angenommen, Sie gehen eines schönen Nachmittags in
den Garten und sehen in einiger Entfernung an einem sonnigen Flecken eine Katze liegen.
Sie werden annehmen, daß sie schläft oder ganz einfach die Sonne genießt. Wenn sie ihr
bis auf einige Meter nähergekommen sind und sie rührt sich noch immer nicht, werden sie
vielleicht stutzig werden. Wenn sie hören, daß sie leise wimmert, werden sie vermuten,
daß sie schwer verletzt ist oder krank, so daß sie sich nicht mehr wegbewegen kann. Wenn
Sie schließlich so nahe an Sie herangekommen sind, daß Sie sie berühren können, und
sie bewegt sich noch immer nicht, auch dann nicht, wenn Sie sie anfassen, dann werden sie
wissen, daß sie nicht mehr lebt.
Wenn es heißt: "alles was kreucht und fleucht" und damit die ganze lebendige
Kreatur gemeint ist, so spricht daraus, daß auch der Alltagsverstand in der Fähigkeit
zur Selbstbewegung das untrügliche Kennzeichen des Lebendigsein sieht, und er ist damit
der Sache sehr nahe.
Selbstbewegung als Grundstruktur von Subjektivität manifestiert sich zunächst als
Bewegung im Raum. Sie hat, wenn sie nicht unwillkürlich oder reflexartig zustandekommt,
Aktcharakter. Sie ist Ausdruck von "Responsivität", d.h. der Fähigkeit, sich
zur Umwelt zu verhalten. Aufgrund dieser Fähigkeit entwickelt sich schließlich, wenn die
Fähigkeit zur Symbolisierung hinzukommt, eine Differenzierung der Wahrnehmung von Subjekt
und Objekt, von Selbst und Anderem, die sich dialektisch entfaltet.
In diesem elementaren Sinn kommt Subjektivität schon den Tieren zu, die über ein
komplexes Nervensystem und ein entsprechendes Orientierungsrepertoire verfügen.
Spontanität und Responsivität - Antwortfähigkeit - sind die Grundstrukturen von
Subjektivität. Anders gesagt: Subjektsein beginnt nicht erst mit dem Cogito, der
Reflexion. Subjektsein bedeutet zuerst, was auch sonst immer, lebendig zu sein.
Subjektivität und Raum
Von hier aus kommt die existentielle Verbindung zwischen Subjektivität und Raum in den
Blick. Eben weil sich Lebendigsein als Fähigkeit zur Selbstbewegung manifestiert,
bedeutet Subjektsein immer auch im Raume sein. Dies ist ausdrücklich in Merleau-Pontys
Analyse des Leibs als Medium des Weltbezugs mitgesagt. Leiblichkeit als Zur-Welt-Sein
schließt das Im-Raume-sein notwendig in sich.
Das Zur-Welt-Kommen, wie Sloterdijk es nennt, beginnt nicht erst mit dem
"Zur-Sprache-Kommen" , sondern mit der Bewegung zur Welt hin, mehr noch, die
Bewegung des Lebendigen, in seinen Funktionskreisen von Nahrungssuche, Flucht vor Gefahren
und dem Begehren des Anderen entfaltet sich diese Welt erst. Die lebendige Bewegung ist
der Prozeß des Lebens, der Stoff des Seins. Die Bewegung des Lebendigen, seine Rhythmen
und Zyklen erzeugen Konturen des "gelebten Raums". Als gelebter Raum ist unsere
Welt das Ergebnis unserer Weise, sie in alltäglichen Lebensvollzügen als ein Gegenüber
zu erzeugen. Eben das macht uns zu Subjekten, daß wir eine Welt "haben".
Wie wird aus dem gelebten Raum "gebaute Welt", der "Weltenbau", etwa
die Welt der Metaphysiker oder Physiker, die Welt der Architekten? Darauf gibt der Verweis
auf die Rhythmen und Zyklen des Lebendigen keine Antwort, ganz im Gegenteil: Die Topologie
der metaphysischen Weltkonzepte, der mathematisch vermessenen und geometrisch
konstruierten Räume sind Welten und Räume ohne Subjekt. Tote Räume? Das wäre zuviel
gesagt. Denn es handelt sich um Gebautes, Konstruiertes, Erzeugnisse des zielgerichteten
Tätigseins, freilich eines Tätigseins, das von den Koordinaten des gelebten Raumes
abstrahiert, sich bestimmten Kalkülen durchaus subjektiver Formen der Aneignung von
Realität unterwirft. Der aus ihnen sprechende Wille zur Bemächtigung, zur Aneignung des
Raums durch Planung und Kontrolle präsentiert - und mißversteht - sich zugleich als
Ausdruck von Objektivität, Rationalität und Universalität.
Vermessung, Planung und Konstruktion von Räumen, samt ihrer wissenschaftlichen,
"objektiven" Orientierung sind, mit anderen Worten, gesellschaftliche
Unternehmen, die politischen, wirtschaftlichen oder religiös-weltanschaulichen Zwecken
dienen. Gebaute Räume, Paläste, Kirchen, Festungen, Städte sind die steingewordenen
Effekte des Gesellschaftlichen, die Petrifikation sozialer Prozesse, deren festgefügte
Realität soziale Ordnung produzieren und reproduzieren und den Raum für die Bewegungen
des Lebendigen kanalisieren und begrenzen. Und zugleich damit sind es Festlegungen und
Grenzen für die Manifestationen von individueller Subjektivität und für die Formung von
Identitäten. [...]