kunstraum.gleisdorf: Neue Räume


Über die Vereinsamung, die Klischees und die Mehrsprachigkeit
Dialog mit Dragana Dimitrijevic, Martin Krusche und Wessam Sami

Von Walter Grond

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Dimitrijevic: Ich bin wieder in Wien, zurück aus Serbien. In Beograd war es sehr schön – zu meiner Überraschung. Ich habe mich viel weniger fremd gefühlt als zuerst angenommen. Nach ein paar Stunden war ich richtig zu Hause. Gewohnt habe ich in einem wunderbaren Hotel mitten im Zentrum – im 6. Stock mit herrlichem Blick über ganz Beograd. Fast schon ein wenig kitschig. Die Stadt ist lebendig, bunt, windig, ab und zu nebelig, und eine wahnsinnig schlechte Luft. Ich war sehr viel mit meinen Cousinen unterwegs (sie studieren in Beograd), hab sehr viel mit Studenten geredet und natürlich auch sehr viel geschlafen. Die ersten paar Tage hat mein Radio-Kollege für unseren Sender (Radio Wien international) und für FM 4 berichtet (über die Wahlen), und ich hab natürlich die ganzen Infos vorbereitet und übersetzt, war aber nicht on air – für FM4 ist mein Englisch nicht gut genug. Wie bekannt, gibt es in Serbien sehr wenig Strom, und das macht die Leute doch ein wenig fertig. Sonst ist die Stimmung sehr, sehr optimistisch – die Leute sind noch immer voller Energie vom 5.Oktober (Revolution), noch immer gibt ihnen dieser Tag wahnsinnig viel Kraft. An einem Abend bin ich mit meinen zwei Kleinen (meinen Cousinen) auf dem Weg in ein Café gewesen, und da das erste, das wir aufsuchten, voll war, das zweite auch, sind wir zu einem dritten gegangen – in diesem Stadtteil bzw. in dieser Strasse hat es keinen Strom gegeben. Ziemlich merkwürdig das Ganze – für mich. Für die, die dort leben, ist es Alltag. Nun – im Café angekommen – kein Strom, doch fast voll, so als wäre es ganz normal – es hat zwar keine warmen Getränke gegeben, aber sonst war alles ok. Es ist einfach ein seltsames Gefühl, in so einer großen Stadt zu sein, und es ist dunkel ... Am 27. Dezember haben meine Kleinen Geburtstag gehabt (sie sind Zwillinge) und eine Party im Studentenheim gegeben. Ihren Freunden bin ich nicht fremd. Wir kennen uns schon vom letzten Jahr. Nur war mein Radio-Kollege auch mit – der zwar serbisch sehr gut versteht, aber nicht gut spricht. Aber egal – auf jeden Fall ist er einer aus dem Ausland. Er war natürlich die Attraktion
des Abends. Da habe ich wiedermal die traurige Realität erkannt – dass diese Kids in ihrem Leben noch nie irgendwo anders waren als in Jugoslawien. Höchstens einmal in Griechenland auf Urlaub oder in Ungarn. Ihre ganze Welt ist einfach nur das kleine, arme, korrupte Land – na ja. Doch sie haben Energie – sind unbesiegbar, feiern bis in den Morgen und versäumen doch keine Vorlesung, bestehen jede Prüfung ... auf jeden Fall sind sie auf irgendeine Art und Weise auch beneidenswert. Also waren es lehrreiche Tage. Und ein wenig bin ich natürlich traurig – dass das alles so ist, wie es ist.

Krusche: Wofür alles ist Serbien zur Metapher geworden? Ich denke vor allem: Diese Brüche. Diese Unerbittlichkeit des Geschehens. Nun in diesem Kontrast: Ich bin wieder in Gleisdorf, zurück aus Pischelsdorf ... wo ich einen persönlichen Höhepunkt der zwei Jahrzehnte mit Dauer versehenen Larmoyanz heimischer Kulturschaffender erlebt habe. Noch immer biegen sich die Tische, sind die Öfen warm, aber ich hör sie nur klagen. Seit über zwanzig Jahren. Ich kann nicht einmal sagen worüber, weil mir davon längst die Ohren abgefallen sind. (Andere singen, die klagen ...) Ich war eben mit dem unbändigen Joseph Schützenhöfer und mit Klaus Zeyringer auf einer kleinen Fahrt durch die hinterste Oststeiermark, um jene Plätze aufzusuchen, wo Ottokar Kernstock heute noch mit Statuen, Tafeln, Straßennamen geehrt wird. Dieser immer noch geschätzte Dichter, er war ein miserabler Autor, schrecklicher Stil, schrieb Dinge wie Meint´s Gott mit einem besonders gut / In diesem Leben, dem herben, / Den läßt er als frisches junges Blut / Im Feld für die Freiheit sterben ,...

Damit meinte er Serben, die von deutschen Buben umgehackt werden sollten. Der Priester Kernstock. Das ist der Patron jener Volksschule Kernststockgasse, in die mein Sohn geht. Der Autor von Machwerken wie Steirische Holzer, holzt mir gut / Mit Büchsenkolben die Serbenbrut!

All das ist hier vor meiner Tür. Weitgehend unbeeinsprucht. Aber was ich eigentlich erzählen wollte: Wir fahren also gerade von Vorau nach Friedberg. Eine kleine Landstraße. Trübes Wetter. Dead End County. Und plötzlich seh ich, da steht links in einem Vorgarten der wuchtige Stahlrumpf einer Segelyacht. Nackt. Blankes Metall. Kein Mast. Zum Glück hat mein alter Schinder ABS, weil ich so heftig in die Bremsen getreten bin, daß wir sonst womöglich in Bedrängnis gekommen wären. Ich wollte mir das näher ansehen. Das Stahlmonster muß sich jemand in seiner Freizeit dort gebaut haben. Und ich zweifle, ob die Straße breit genug ist für das Schwerfahrzeug, das nötig wäre, um die Yacht ans Wasser zu bringen. Wie mag sich dieser Mensch an seinem entlegenen Heimatort fühlen, wo das Spektakulärste, was man zu sehen bekommt, übergroße Traktoren und Mähdrescher sind?

Sami: Was ist überhaupt Heimat? Ist es, wo man geboren ist, oder dort, wo man sich nicht fremd fühlt? Fremd fühlt man sich, wenn man mit den Menschen, die einen umgeben, nicht umgehen kann. Fremd fühle ich mich, wenn ich mit meinen einst intimen Freunden nicht mehr ein langes Gespräch führen kann. Dann muß ich feststellen, dass wir verschiedene Wege gegangen sind, und dass sich unsere Denkweisen währenddessen weit voneinander entfernt haben. Fremd bin ich, wenn sich meine Lebensvorstellungen nicht mit den Umständen decken, die mich umgeben. [...]

(Textauszug! Volltext als RTF-File HIER.)
Walter Grond | Info zum Buch


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[29~01]