neue räume: pilgern & surfen


Mühen der Demokratie
(Input #1)
Von Martin Krusche

Mailinglisten, Newsgroups, Chatrooms ... was haben wir doch an attraktiven technischen Angeboten in Händen, um Portospesen und Kilometergeld zu sparen. Aber! Woher nehme ich 20 oder gar 40 ausreichend inspirierte Leute her, die mir nach zwei Wochen Leben in Listen nicht längst alle Plomben gezogen haben? Um mich nach dieser schmerzlichen Tour mit Langeweile zu anästhesieren; statt davor? Wahlweise: was mache ich in einem Milieu, das sich zwar als Reflexionselite mit Hang zur Vorhut versteht, die Res Publica aber faktisch lieber als Res Secret behandelt? Zum Beispiel durch die hartnäckige Weigerung, Inhalte, die am Biertisch oft leger angerissen werden, halbwegs kohärent begründet in einen ebenso offenen, wie öffentlichen Diskurs zu wuchten?

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Warum sind also in Österreich die alten Eliten und Agenturen mit ihren Modi aus dem 19. Jahrhundert immer noch so weitgehend unangefochten von dem, was Kanzler Schüssel abfällig als “die Internetgeneration” markiert hat? Fußnote: Gehöre ich mit Mitte 40 noch dazu, zu dieser “Internetgeneration”?

Vor allem aber: hab ich da die Heilsversprechen der hektischen, elektrischen Promotoren falsch verstanden? Oder bin ich verschaukelt worden? In unseren frühen online-Tagen hat der Tiroler Autor Walter Klier die Zuschreibung “intelligentes Medium” folgendermaßen quittiert: “Das hat es vom Telefon auch einmal geheißen. Daß es ein intelligentes Medium sei. Aber wenn zwei Deppen miteinander telefoniert haben, was war das dann?”

So kann es gehen, wenn eine Mailingliste nicht von Anfang an einem konkreten Arbeitsvorhaben gewidmet ist. Zuerst stellen sich alle vor. Cool bis blumig. Nach ersten Beiträgen, in denen meist wohlklingende und gewichtige Themen genannt, aber noch nicht behandelt werden, trauen sich einige Unerschrockene mit ganz persönlichen Problemen hervor.

Ist es nicht frustrierend, wenn einem öfter Manuskripte zurückgeschickt werden? Meist kommentarlos? Oh ja. Das ist frustrierend. Jetzt beginnen Rookies, die von Netiquette und Verwaltung noch keinen Tau haben, die Korrespondenzen aufzublähen. Indem sie zum Beispiel private Post versehentlich in die Liste einspeisen. Offenbar ein Signal für den Auftritt des ersten Alphamännchens. Dieser Typ wird ab nun jeden Neuzugang empfangen und ihm zeigen, wo es langgeht. Obwohl niemand um einen Moderator gebeten hat, wird er maßregeln und ordnen. (Fußnote: ich hab noch nie eine Frau in dieser Rolle erlebt.)

Das bringt nun den realen Moderator dazu, sehr zurückhaltend einige der Regeln dieser Liste zu erläutern. Er wird vollkommen vergeblich darauf hinweisen, daß die Regeln ohnehin auf der Website nachzulesen sind. Das tut natürlich niemand. So boomt die Mailflut weiter. Weil sich die Rookies umständlich entschuldigen. Und weiter versehentlich private Post an die Liste versenden.

Spätestens dann melden sich die ersten Members ab. Die Coolen vollziehen das kommentarlos. Die Geschwätzigen erklären allen in der Runde umständlich, warum sie sich nun abmelden. Und kommen nicht weg, weil sie vom Moderator erwarten, daß er sie streicht. Der erklärt völlig ungehört, wie die unsubscribe-Routine läuft, die von allen Members selbst vorgenommen werden kann. So wächst die Mailflut weiter. Und macht plötzlich einen Quantensprung. ...

[Textauszug! Volltext hier als RTF-File!]

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