Bauteile Ich war auf dem Weg List zu treffen, habe
dabei ein wenig den Verkehr blockiert, um ein betagtes Grand Tourismo-Coupé für meine
Sammlung auf den [backroads] dingfest zu machen. Der 2000er hatte sich im Schatten des
giftigen 2002ers nicht in breiterer Erinnerung halten können. Auffallendes Design als
Statement. Das überrascht ja niemanden. Automobile werden gestaltet, damit Menschen sich
im öffentlichen Raum positionieren können.
Vor einiger Zeit habe ich einen
Autoschnalzer über einen weinroten BMW sagen hören: Den hätte ich zehn mal
verkaufen können, wenn er schwarz wäre. Die Buben wollen aber keine andere Farbe.
Credibility hat auf der Straße ihren unerbittlichen Code.
Wo ich diesen weißen Bayern mit den für
damals extrem breiten Scheinwerfern fand, hat seit meiner Kindheit eine Allee den Weg
gesäumt, die nun abgeholzt wurde, weil man Graz für seinen Zustand als europäische
Kulturhauptstadt in Arbeit nahm. Es ist wie wenn jemand seine Haartracht ändert.
Die Bauteile des Raumes als
Kommunkationsmittel. Sozialer Raum als ewige Arena. Knapper gefaßt, sozialer Raum auf
Ellbogenradius, da gehts schon los. Zum Beispiel. Eine Frau steht in meiner Wohnung, sieht
sich um, sagt: Dafür daß du es selber machst, sieht es ganz gut aus. Sie
hatte es als Kompliment gemeint. Und erzählte mir, daß ihre Haushaltshilfe mit dem
Entgelt für Putzarbeit die Raten eines Autos bezahlt. Ich höre das öfter. Berufstätige
Frauen begründen es, wenn sie eine Haushaltshilfe in Anspruch nehmen. Ich hab noch
nie einen verschämten Ton gehört, wenn jemand sagte: Mein Auto hat was. Ich brauch
einen Mechaniker.
Ich erinnere mich an eine Situation im
Spital. Die Zimmerböden wurden jeden Morgen schon sehr früh gereinigt. Neben mir ein
siebzehnjähriger Bursche. Wir hatten bereits auf der Intensivstation nebeneinander
gelegen. Unser Chirurg hoffte, daß ich dem Kleinen in ein paar Dingen etwas Halt sein
könnte. Der Teenager war von einem betrunkenen Autofahrer schlimm zugerichtet worden.
Entstellungen. Dazu hatte ihm ein Verwandter gesagt: Jede Narbe ist so gut wie die
Geschichte, die man sich dazu ausdenkt. Das ist freilich Unfug, der einen, wenn die
Panik kommt, nur in Sackgassen schickt. Der Bursche wollte ein harter Kerl sein und war
sehr irritiert, als er mich unter den Gespenstern, die mir damals noch im Nacken saßen,
viele Nächte immer wieder zusammenbrechen sah. Nun, die Zimmerböden wurden sehr früh
gereinigt, das holte uns täglich aus unseren Delirien. Der Teenie sagte zu einem Mann,
der diesen Job tat: Weißt du was? Du machst da eine Weiberarbeit. Ist
das so?
Ich hab einen Freund, dem aus seiner
verwegenen Biographie gerade eineinhalb Arme geblieben sind. Er hat einen satten
Querschnitt und sitzt im Rollstuhl. Würde ihn jemand fragen, wie er seine Wohnung in
Schuß hält? Oder ob er in der Lage sei, sich einen Tee zu brauen? Was immer er kann, was
immer man ihm erledigen muß, niemand fragt nach guten Gründen. Obwohl das ja sehr
interessant ist, wie jemand den Alltag schafft, wenn er durch eine Starkstromleitung
gegangen ist und sich schließlich auch noch das Kreuz gebrochen hat. Wer weiß schon, wie
so was geht?
Was immer wir Jungs tun, wenn Frauen
außer Haus gehen um gutes Geld zu verdienen, wenn sie einen Teil der Hausarbeit gegen
Bezahlung abgeben, sehen wir, daß der selbe Raum als sozialer Raum ganz unterschiedlich
definiert ist. Drinnen und draußen. Was in Küchen geschieht, was in einem ganzen
Stadtviertel Wirkung entfaltet ... ich bestaune Menschen, die Hand an den Lebensaum
tausender legen, in so große Dimensionen reingehen. Immer wieder frage ich mich: wie? Wie
bewältigt man diese Reichweite und ihre Konsequenzen?
List war auf die Architekturreihe
2002 in der Neuen Galerie und das Thema des Abends, SozialRaum,
aufmerksam geworden. Über Florian Riegler und seinen Kompagnon kursieren blumige
Zuschreibungen wie Grazer Schule der Irritation, Neue Einfachheit
und ähnliches Geschwätz. In den gegenwärtigen Umbrüchen ist ja die umfassende
Komplexitätssteigerung so gewaltig, daß Irritation nicht gelehrt werden muß und
Einfachheit nicht einmal am Horizont sichtbar wäre. Da glaube ich nicht an einfache
Lösungen. Klarheiten. Das ja.
Wenn der Staat seine Rolle als Bauherr an
ganz neuen Zielen orientiert und Konzerne in die Domänen des Gemeinwesens marschieren,
kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wenn sich, wie Riegler dargelegt hat,
klassische Industriebereiche neuen Aufgaben zuwenden, wodurch erhebliche Flächen in den
alten Zentren frei werden, steht natürlich zur Debatte, an welchem Menschenbild Maß
genommen wird. Aber wo finden die Debatten darüber statt? Wer nimmt daran teil und was
ist mit jenen, die nicht gehört werden?
Wie man in Vorstandsetagen (etwa der
Schweizer Waffenschmiede Oerlikon) urbanen Lebensraum sehen möchte, verschlägt einem ja
den Atem. Nicht gerade vor Freude. Was meint, daß Politik sich aus öffentlichen
Angelegenheiten zurücknimmt. So daß Lebensräume der Menschen plötzlich durch andere
Konsortien definiert werden. Konzernleitungen sind keinem öffentlichen Diskurs
verpflichtet, was unter der Orientierung auf das Gemeinwesen zu verstehen sei.
Wenn Riegler aus dem
Pflichtenheft für einen Flughafen oder Bahnhof zitiert, dann steht das Thema
An- und Abreise keineswegs an erster oder wenigstens zweiter Stelle. Da geht es vor allem
einmal um verwertbare Flächen für die Geschäftswelt. Wenn die Flugpreise runter sollen,
dürfen die Parkplätze ruhig wie Schutthalden aussehen. (Kurios, wie anschaulich ich das
kurz darauf in Sankt Petersburg erleben sollte.)
An diesem Abend gewann ich den Eindruck,
Stadtentwicklung sei heute vor allem ein Match zwischen Großinvestoren und zuständigen
Funktionären der Baubehörde. Wo die Schnittstellen für das eigentliche Klientel der
Politik seien, blieb unklärbar. Einwände aus der Bevölkerung finden nicht statt oder
bleiben ungehört. An diesem Bild war verblüffend, in welchem Maße sich Befunde über
die Politik ganz unmittelbar in der Stadt abbilden. Dieses Aufgeben von öffentlichen
Räumen, um die Territorien privaten Interessensgruppen zu überlassen.
Wir haben das heuer sehr deutlich bei
Patrouillen der Netzkunzt-Combo erlebt. Während Polizeistreifen ganz
entspannt blieben, wenn sie uns sahen, wir waren zum Beispiel einmal mit Blankwaffen
behängt, das nahmen die Organe des öffentlichen Lebens kommentarlos hin, hatten wir am
Vorplatz des Grazer Hauptbahnhofes nach zehn Minuten die Geschäftsführung der Company am
Hals. Die zuständige Dame konstatierte kühn: Sie belästigen unsere Kunden.
Was ist also die Stadt heute als öffentlicher und politischer Raum? Und was heißt das
für uns, wenn Companies diese Territorien übernehmen? Mokre schrieb mir einmal:
>>eine der wichtigsten legenden, mit der wir uns herumschlagen, ist wohl die des
homo faber, der machbarkeit.<<
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Ein Coupé aus der Mitte der
60er, dafür sind die alten Bäume weg. So geht das ...
Riegler Riewe, Fabrications, Barcelona 1998
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