Die großen Hitze Die Tage der großen Hitze, von der es hieß,
in keinem Juni seien bei uns je die Temperaturen so hoch gewesen. Niemals. Manche lieben
das. Ich nicht. Unterm Dach. Am Computer. Das sind Zustände am Rande von Verzweiflungen.
Gewöhnlich packe ich in solchen Tagen mein Zeug und setze mich unter die hohen Bäume im
Stadtpark. Keine Hitze, die ich dort je erlebt habe, durchdringt die Kronen der mächtigen
Bäume. Dies waren Tage zunehmender Virenattacken im Web. Ich hätte alle Stecker ziehen
sollen. Ich hätte an thermische Probleme im Rechner denken sollen. Und alle Deckel des
Gerätes abschrauben. Ich hätte ... und ich hatte wenigstens das neue Album von Van
Morrison. Eine tröstliche Anschaffung. Down the road ...
Als mein EDV-System
zusammenzubrechen begann, waren einige Gigabyte meiner Datenbestände ungesichert. Die
Marotten eines alten Gauls, der sich mit allen Wassern gewaschen fühlt und die Ängste
der "Newbies" oder ihre Art von Gedankenlosigkeiten belächelt. Nun hatte ich
mich in den Schaufeln der Mühle verfangen wie ein blutiger Anfänger. Also blieb mir der
Weg in den Stadtpark, unter die hohen Baumkronen verwehrt. Also war ich unter dem Dach an
diese überhitzte Situation gekettet. Wie ein Affe in der Reisfalle. Dieses alte
Primatendilemma. Der Affe hätte nur den gefaßten Reis auslassen, die geballte Hand
öffnen müssen, um aus dem schmalen Loch in der Kokosnuß freizukommen.
Ich hätte bloß diese paar Gigabyte meiner Datenbestände auslassen müssen. Aber ich bin
leider weitgehend frei von Vorahnungen. So habe ich nicht geahnt, daß ich diese Stoffe
ohnehin verlieren würde. Die andere Seite des Primatendilemmas ist eine aggressive
Mischung aus Wut, Demut und Zuversicht. Man hält die Faust geballt und bleibt in der
Kokosnuß stecken. Wie der zerzauste Held einer griechischen Tragödie wußte ich nichts
von der Vergeblichkeit meiner Mühen. Ich hätte ebenso gut für eine Woche ans Meer
fahren können, um über das Leben nachzudenken.
Statt dessen hab ich erwogen, meinen
Rechner in der Badewanne zu versenken. Jürgen Kapeller, der ein beunruhigend zielsicherer
EDV-Wizard ist und gelegentlich hilfreich eingreift, bevor ich mich zu größeren
Dummheiten aufraffe, erzählte mir von einem Holzfäller, der sich rasend an einigen
Bäumen abplagte, um mit der Arbeit zu Ende zu kommen. Dabei, so meinte der Holzfäller,
würde ihm einfach die Zeit fehlen, seine Säge zu schärfen. Ich fürchte, in dieser
Geschichte steckt irgendwo eine Moral. "Just like a morning in may like this, see the
heather on the hill", singt Van the Man. Und ich kenne dieses Bild sehr gut. Wenn ich
mich mit meiner 750er irgendwo ins Outland raufwuchte, um an irgendeinem Wegesrand zu
stranden. Um zu spüren, daß alle Brüche längst verheilt und alle Wunden geschlossen
sind: "There´s a place up on the mountain side, where the world is standing still
..."
Der Holzfäller. Die stumpfe Axt.
Dazu fiel mir eine Frau ein, die mir erzählt hat, sie habe sich ein sehr interessantes
Buch über Zeitmanagement gekauft. Aber sie komme einfach nicht dazu, es zu lesen. Ich
denke, wir fühlen uns immer sehr schlau, wenn wir solche Geschichten hören. Oder
erzählen.
Unter solchen Momenten habe ich die
quälendste Junihitze aller Zeiten unter dem Dach verbracht, um meiner Anlage Stoffe zu
entreißen, von denen das meiste vor meinen Augen ins elektronische Nichts verflog. Für
wenige Tagen darauf war mein Liftoff Richtung Rußland angesetzt. Höchste Zeit, nun in
harte Kontraste reinzugehen.
Am Montag brach die Hitze endlich.
Ich bin ein passabler Theoretiker. Wie es scheint. Über das Web und die neue
Mediensituation hatte ich oft geschrieben, dies alles beruhe vor allem auf Redundanz und
Dezentralität. Ich hätte das selbst beherzigen sollen und meine Anlage entsprechend
einrichten. Ich hätte meinen wuchtigen chinesischen Ventilator auf den Computer statt auf
mich richten sollen. Ich bin so oft erst hinterher schlauer und bestaune jene Menschen,
die mir weismachen, daß ihnen meist alles gelingt.
Nachdem ich mit Kapeller noch mal
die Maschine umgedreht hatte, war die Hitze endlich vorbei. Die neu aufgesetzte Maschine
ist nun richtig schnell. Was man leicht vergißt, wenn man zu lange an einem System
hängt. Wie sehr sich das Werkzeug abnutzt. Der Holzfäller und die geschärfte Säge. Die
Datenverluste führen zu sehr geselligen Momenten. Wenn man die Menschen um sich herum
anmailt, sie um Reste eigener Bestände bittet, die da und dort noch erhalten sein
könnten. Ich bin nicht sonderlich geübt darin, jemanden um etwas zu bitten. Jede
Gelegenheit nützt. Ich ging von einigem Ballast befreit die nächsten Schritte Richtung
St. Petersburg.
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Eines meiner Open Air-Büros in der
Oststeiermark.
Kapeller haut dem Teil die
Brechstange in die Eingeweide.
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