Kontora Mir

Alte Raumlogik, neue Räume
Von Martin Krusche

Ich bin überzeugt, daß Telepräsenz die reale soziale Begegnung nicht suspendieren kann. Das ist die eine Sache. Es darf auch der öffentlich Raum (als politischer Raum) nicht aufgegeben werden. Die andere Sache: EDV-gestützte Vernetzung bietet uns bemerkenswerte Erweiterungen in unserer Anwesenheit. Ich verstehe das Web in erster Linie als Extension. Mit zwei besonderen Eigenheiten. Dezentralität und Redundanz. Wir haben gerade erst begonnen, Erfahrungen zu sammeln, wie und worin zeitgemäße Demokratie aus dieser Technologie Vorteile gewinnt.

Ich bin Vito Pace bis zum heutigen Tag noch nie “in real life” begegnet. Dennoch pflegen wir nun schon eine langfristige, vergnügliche Kooperation. All das begann irgendwann mit einer Email, die mich zufällig erreichte. Geht es nach meinen Fantasien, werden wir uns das erste Mal mitten in Neapel auf ein Glas Wein treffen. Oder auf eine Grappa. Neapel. Das ist sehr weit weg von der kleinen österreichischen Provinzstadt, in der ich lebe. Das ist auch sehr weit weg von allem, was in Europa als zentral verstanden wird. Naja, ich weiß von Italienern, die würden freiwillig niemals weiter als bis Rom in den Süden fahren. Und ich kenne Menschen, die sagen, Italien würde bei Rom überhaupt erst beginnen. Sie verstehen schon, wie das so ist, diese Debatten über Zentrum und Provinz.

Damit zeigt freilich auch ein wesentliches Netzkultur-Thema. Was ist denn abseits dieser Raumlogik aus dem 19. Jahrhundert heute möglich? Was kann sich heute abseits der traditionellen Zentren entfalten? Das „Kontora Mir“ entstand in Samara (Rußland). Dieser Ort ist nicht gerade im Blickfeld der Eurozentristen.

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Vito hat es nach Pforzheim (Deutschland) verzweigt. Die Verknüpfung zu mir nach Gleisdorf (Österreich) war ein weiterer Schritt, um das Büro, EDV-gestützt, zurück in die Welt zu verzweigen ... von wo her, rund um den Erdball, die vielfältigen Beiträge kommen. In einer Entfaltung, die auch zu neuen Verzweigungen und Kooperationen führt. Das „Kontora Mir“ ist so ein Beispiel für Netzkultur, auch für “art under net conditions”. Und vor allem work in progress ... ohne dabei dem Zug in die alten Zentren zu folgen. Auf andere Terrains bezogen. Über kulturelle Grenzen hinaus und in Fantasiezonen hinein. Nun, Vito, Neapel vibriert, wie ich vermute. Diese Welt ist voller aufregender Bezugspunkte. Telepräsenz ist etwas spannendes. Aber wir werden auch reisen ...

[Martin Krusche, Autor & Impresario von www.kultur.at]


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