[45•2000]

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[krusche•grond•house]


ORF "EX LIBRIS" 19.11.2000
Walter Grond. Old Danube House. Roman. Haymon Verlag 2000
Beitrag: Michael Lissek

O-Töne auf Mini Disc. Numerierung wie Text

Sprecher 1:
Johan Nichol sitzt der Anzug zu eng. Der Protagonist des neuen Romans von Walter Grond ist Professor für Physik an der Technischen Universität Wien, forscht dort über ultraschnelle Quantencomputer, ist gefragt im Betrieb und reist von Kongreß zu Kongreß. Verheiratet ist er mit der schmucken, jungen Marina, die – nomen est omen – seine Leidenschaft für’s segeln teilt.
Doch das ruhige Leben des ehemaligen Klosterschülers und Berkeley-Absolventen, der staatlich finanziert seinen Forschungen nachgeht und die Abende in einer nach allen Regeln chinesischer Lebenskunst austarierten Wohnung bei Vermouth und Weib verbringt, gerät aus dem Gleichgewicht.
Schuld daran ist eine E-Mail, die zunächst bloß auf Nichols Benutzeroberfläche erscheint, wenig später aber auch tiefere Schichten seines Bewusstseins berührt. Diese E-Mail – ein Kettenbrief – berichtet von dem Selbstmord des bosnischen Physikers Nikola Sahli. Dieser hatte lebenslang nachzuweisen versucht, dass die Lehrsätze der Schul-Physik gröénteils falsch seien:

Sprecher 2:
"Sahli hatte in der modernen Physik eine durchorganiserte Verschwörung gegen die Gesetze der Natur erkennen wollen und mit einem Gedankenexperiment zu beweisen versucht, dass der Energiesatz falsch und es daher möglich sei, ein Perpetuum mobile zu bauen. (...) Sahli hatte sich geweihert, verkleinert zu leben."

Sprecher 1:
‚Okkulter Quatsch’, denkt Nichol zuerst und will zur Tagesordnung übergehen. Aber aus unerfindlichen Gründen läuft ihm dieser Sahli fortan als Name oder Gegenstand seines Denkens dauernd über den weg.
Als Nichol von seinem jungendlichen Studenten, Marcel Hofer, mitgeteilt bekommt, es lebe da in Wien noch ein enger Freund Sahlis, ein gewisser Faruk Karafani, entschließt sich der professor, wenn auch ein wenig irritiert über sich selber, diesen zu treffen. Aus der kleinen sahli-Recherche wird mehr. Nichol erkennt, dass die Weigerung Sahlis, "verkleinert zu leben", eine Unbedingtheit darstellt, die ihm selber fehlt.
Der Bosnier Faruk Karafani wird zu Nichols Mentor. Er lädt ihn ein, gemeinsam das Elternhaus Sahlis in sarajevo zu besuchen, setzt Nichol auf Nikola Sahlis Spur, mit er scheint’s doch mehr zu teilen scheint, als bloß einen Teil seines Namens.

Stimme 2:
"Ein Gefühl von Nichtigkeit überkam Nichol. Er rannte und rannte gegen eine Tür an, und jetzt erklärte ihm Karafani, dass daneben eine zweite Tür offenstand. Er hatte nur eine diffuse Vorstellung von der Stadt seines mentors. Sarajevo, die Nachkriegsstadt. Stadt der verlorenen Träume. Er, Nichol, war selbst ein Nachkriegskind. Eine Reise nach Sarajevo (...) Er wollte sich freimachen von den Verkustungen seines universitären Lebens.

Sprecher 1:
"Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen", sagt Kafka. Für Nichol jedoch wird der Aufbruch ins Ungewisse tatsächlich zu einer Reise zu sich selbst. Der Autor Walter Grond hierzu:

O-Ton:
"Durch diese Reise nach Sarajevo stößt ja diese Hauptfigur im Prinzip auf die eigene Vergangenheit oder: wird erinnert an die eigene Vergangenheit der Kindheit. Und indem er an einen scheinbar authentischen Ort wie sarajevo, einen Ort, der zerstört ist nach dem krieg, zurück-, also dorthin fährt, entdeckt er, dass das Andere, das mit dem Authentischen in Zusammenhang gebracht wird, das Fremde, dem man Echtheit zugesteht, einem eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit ermöglicht.

Sprecher 1:
In Sarajevo bricht der Panzer des etablierten Quantenphysikers auf: Nicht so sehr, weil er hier an einem vermeintlich authentischerem Leben teilhätte als in Wien – diesen platte Polarisierung erspart uns Grond in bester Baudrillard-Manier mit einem "Kein Mitleid mit Sarajevo!" -: Sondern vielmehr deshalb, weil er hier, wo ihm auf denersten Blick alles fremd ist, die einzig richtige Reaktion auf das Fremde zeigt: Er perforiert sich und macht sich zum Schauplatz der Ereignisse, durch den frischer Wind weht.
Er verliebt sich in die Schwester sahlis, besucht mit ihr Techno-Clubbings, vergisst seine E-Mails abzurufen, hat Zeit zu langen Gesprächen mit seinem Mentor – und wird, wenn nicht zu einem besseren Menschen, so doch zu einem, der seinen eigenen Lebensentwurf in Frage zu stellen bereit ist. Er erkennt:

Sprecher 2:
"Je fester eine Überzeugung ist, desto mehr Angst verbirgt sich dahinter."

Sprecher 1:
Nichol wird nicht mehr nach Wien und an seinen Lehrstuhl zurückkehren. Er entschließt sich dazu, das Angebot einer großen amerikanischen Privatstiftung anzunehmen, für sie zu forschen, wenn auch unter der Voraussetzung, an keinen Ort geographisch gebunden zu sein. Er lässt sich eine Forschungsstation auf einem Boot einrichten und zieht auf den Meeren fortan forschend seine Bahnen, ein moderner Odysseus.
Ein kleiner Entwicklungsroman also, an dessen Ende aber nicht der ‚gute’ und von der Computerwelt ‚geläuterte’ Nichol steht, sondern die Erkennntis

O-Ton:
"... ja, dass dieses Navigieren, dieses odysseiische Navigieren durch die Welt, eine bestimmte Gelassenheit gegenüber den Dingen zu entwickelnm sich selber nicht mehr so wichtig zu nehmen, also über dieses Stadium, immer nur ‚Ich Ich Ich’ zu sagen, hinauszukommen, kein schlechtes Konzept ist."

Sprecher 1:
Der vormalige Avantgardist Walter Grond ist mir diesem Buch über die Suche eines hochdosierten Fachmanns nach sich selbst zurückgekehrt zum Erzählen.
Nach dem in großen Teilen missverstandenen Projekt GROND ABSOLUT HOMER, das zu seinem Rauswurf aus dem Grazer Forum Stadtpark führte, und in dem er vesuchte, mithilfe postmoderner Theorien sich selbst als Autor abzuschaffen und sich nur mehr als Manager oder Trasformator der Texte von anderen zu etablieren, widmet er sich in "Old Danube House" wieder dem story-telling.
Der Autor über den Bruch, den das Scheitern seines Homer-Projektes vor drei Jahren auslöste:

O-Ton:
"Abgesehen von den finanziellen und psychologischen Problemen, die ich hatte, hatte ich ein großes ästhetisches, weil ich hab in der Erweiterung des Literaturbegriffes in diesem experimentellen Rahmen ja am Schluß des Homer-Projektes behauptet, Grond hört mit dem Dichten auf ... und bin dann also 97 vor einem eminenten ästhetischen Problem gestanden: Wie weiterschreiben? – wenn man aus diesem Konzept der Avantgarde hinausbefördert wird. Und hab die letzten vier Jahre dann damit verbacht, im Prinzip für mich ästhetische Grundlagen zu schaffen, um Erzähler werden zu können."

Sprecher 1:
Vielleicht kann man "Old Danube House", dessen Hauptfigur von der hemingway’schen Frage umgetrieben wird, "wie man sich das Leben in dieser Welt einrichten sollte", unter diesem Gesichtspunkt auch als Paraphrase auf Gronds eigene Situation als Autor lesen: Als Beschreibung einer Abkejr vom Betrieb und des Versuches, frei flottierend neue/ alte Wege des Schreibens auszuprobieren.

Sprecher 2:
"In drei Wochen sollte Nichol auf der Instituskonferenz erscheinen, aber er würde nicht hingehen. Er wollte keine Energien mehr für eine Welt aufbringen, die auf Stillstand bedacht war (...) Und spielte er nicht längst mit dem Gedanken, sich neben die Welt zu setzen"