Literatur
als Dienstleistung
Walter Grond gibt sich antiexperimentell
Vor gut einem Jahr hat Walter Grond im Essay-Band «Der Erzähler und der Cyberspace»
seine Wende vom hermetisch-artistischen zum publikumsorientierten Schreiben begründet und
in einen theoretischen Rahmen gestellt. Darin verabschiedete er in aller Vehemenz eine
vornehmlich sich selbst thematisierende Literatur, die nur eine kleine Elite von
«Kirchgängern» zu erreichen, in ihrem «Krieg gegen den Leser» die alltägliche
Lebenswelt nicht mehr zu fassen vermöge. Parallel zum Ende des Experimentierens zeichne
sich andererseits ein «Realismus nach dem Realismus» ab, der die Auflösung tradierter
Welterfahrung im Wissenschaftszeitalter darzustellen hätte, in allgemein verständlicher
Form.
In Erzählstrategien, die sich auf die Gegenwart einlassen, in der Schilderung einer
wirklichen Wirklichkeit unserer unter dem Diktat der Kommunikation stehenden Epoche soll
dem Menschen ein gültiges Bild des Lebens vermittelt werden können. Als passgenau
konstruierte Chimäre beschreibt Grond den Autor solchen Erzählens, «gleichzeitig tot
und lebendig», wird er «nicht mehr gegen ein Publikum anschreiben, sondern um dieses
Publikum werben». Eine Vorform dieses Autors sieht Grond in Johannes Mario Simmel; für
seine eigene praktische Umsetzung des Konzepts legt er die Latte ein wenig höher.
«Schon möglich, dass, wenn man zu leben wusste, man auf den Sinn des Ganzen
schliessen konnte.» Dieses Zitat aus Hemingways «Fiesta» stellt Grond seinem die
Theorie in vorbildlicher Konsequenz umsetzenden Roman voran. Hemingway ist für Grond das
Idealbeispiel für ein als (erfolgs)tauglich erachtetes Erzählen, das sich vor allen
sprachlichen Exerzitien auf handwerkliches Können abstützt.
Dass diese Leserschaft eine grössere sein wird als die viel beklagte übliche,
wünscht sich schon der international ausgerichtete Titel des Romans. «Old Danube House»
lautet er, es ist der Name jener multikulturellen Begegnungsstätte in Sarajewo, in der
Johan Nichol seine Spurensuche nach Nicola Sahli beendet. Über das Internet hatte er vom
Selbstmord des Physikers erfahren, eine Nachricht, die ihn in eine persönliche und
berufliche Krise stürzte. Wien und Moskau sind die weiteren Schauplätze des Buches, in
dem der bosnische Wissenschafter als zureichend mysteriöse Schlüsselfigur immer
herumgeistert, fahl erhellt von einem bekömmlichen Mix aus fast allen heute angesagten
grossen Themen von Kultur und Wissenschaft.
Künstliche Intelligenz und Quantenphysik, Esoterik und Technikgläubigkeit, Krieg und
Liebe mischt der Autor in seinem coolen Antiexperiment auf, in einer Sprache, die irgendwo
zwischen Philip K. Dick und dem frühen Pynchon liegt. Gronds Modell eines gehobenen
Trivialromans liest sich flüssig, auch für Spannung ist gesorgt. Es gibt, wo sie so
professionell daherkommt, keine Einwände gegen diese späte Version einer engagierten
Literatur. Die Frage, ob in und mit ihr erst der Begriff «Autorschaft» endgültig
beerdigt oder in den Kontexten von Design und Brauchbarkeit neu formatiert wird, macht sie
geradezu interessant.
Bruno Steiger
Walter Grond: Old Danube House. Roman. Haymon-Verlag, Innsbruck 2000.
281 S., Fr. 38.80.