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04.12.2000 Im Gespräch: Walter Grond
Wie der Aufbruch in die
Netzliteratur aussah, welche neuen Dimensionen das Internet den
Autoren heute öffnet, warum er Simmel für ein Meister der
"benutzungsfreundlichen" Literatur hält und was an dem realen
Vorbild für Ondaatjes "englischen Patienten", Laszlo Almasy, so
faszinierend ist? Über all das können Sie am 7.12. mit Walter Grond
in unserem Autorenchat diskutieren, hier als Vorgeschmack ein
Interview mit dem Autor. |
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Am 7.
Dezember (17 bis 18 Uhr) ist der österreichische Autor und Erkunder
des Cyberspace zu Gast im LION.cc-Autorenchat. Sie können sich
bereits jetzt unter chat.lion.cc registrieren: Einfach auf "Register"
klicken und Ihren gewünschten "Nickname", unter dem Sie im Chat
aufscheinen wollen, und Ihre E-Mail-Adresse eingeben. Dann wird
Ihnen umgehend ein Passwort zugemailt, mit dem Sie jederzeit in den
Chat einsteigen können.
Walter Grond zählt zu den
Internetpionieren einer neuen Autorengeneration. Mit seinem zuletzt
erschienen Titel "Der Erzähler und der Cyperspace" gelang es ihm der
momentanen Debatte um computergestützte Unkultur und der Bedrohung
der Buchkultur eine durchaus positive Perspektive entgegen zu
setzen.
Derzeit schreibt Walter Grond an zwei weiteren
Werken: Im Herbst 2001 wird ein weiterer Essayband unter dem Titel
"Gipfelstürmer und Flachlandgeher" erscheinen, auch hier bleibt der
Autor dem Thema Internet treu und untersucht darin, wie
Globalisierung und Internet die Literatur und Kultur verändern. Für
2002 planen Walter Grond und sein Verleger Michael Forcher (Haymon)
einen Wüsten-Roman, in dessen Mittelpunkt das reale Vorbild für
Ondaatjes "englischen Patienten", der Österreicher Lazlo Almasy
steht. Monika Neumayer hat den Autor für Erlesenes
interviewt.
Sie kommen gerade aus Ägypten, mit welchen
Eindrücken?
Ich komme gerade aus Ägypten zurück, wo ich
für mein kommendes Buch über den wahren "englischen Patienten" aus
Ondaatjes gleichnamigen Roman recherchiere. Gegenüber meinem letzten
Besuch vor einem halben Jahr war es überraschend zu sehen, wie auch
dort die Globalisierung um sich greift. Es ist ein totaler
Generationsbruch zu bemerken, auch in diesen scheinbar geschlossenen
kulturellen Welten. Da zeigt die islamische Kultur viel von ihren
pragmatischen Zügen: ein Sufi-Meister mit Handy, Diskussionen mit
hochgebildeten verschleierten Studentinnen, Sat-Antennen auf jeder
noch so armseligen Hütte, andererseits der Hass auf das
imperialistische Amerika und gleichzeitig Jugendliche, die sich auch
privat englisch unterhalten. Das sind sehr widersprüchliche
Eindrücke, die der dortigen Gesellschaft allerdings
selbstverständlich sind.
Was heute unter dem
vielstrapazierten Begriff "Globalisierung" rangiert, hat es immer
schon gegeben. Das finde ich auch an den Recherchen zu Almasy so
faszinierend, es gab bereits damals, als der österreichische
Leutnant László Almásy 1926 nach Ägypten kam und die Wüste für sich
entdeckte, ein hohes Maß an internationaler Vernetzung, ich nenne es
eine Art Globalisierung: Das war eine durchaus globalisierte, aber
eben geschlossene Welt der Aristokratie. Wenn man Briefe dieser Zeit
liest, zeigt sich ein fast internationales Durcheinander in Deutsch,
Französisch, Englisch und so weiter. Es gab einen wohl vernetzten
Jetset.
Das das nun im heutigen Kontext und mit den Neuen
Medien geschieht, ist eine Demokratisierung des Ganzen auch abseits
der bisherigen Zentren. Es ist nicht so, dass dies nun die Kluft
zwischen Arm und Reich aufheben würde. Die Frage, der sich der
Intellektuelle oder Autor heute stellen muss, ist: Welche Rolle kann
man in dieser zusammenrückenden Welt der Vernetzung spielen. Eine
Funktion der Literatur besteht für mich daher in der Förderung des
Dialogs zwischen den Kulturen als wichtigstes Mittel in Erinnerung
zu rufen, dass es auch in einer Welt des "Zusammenrückens" Verlierer
gibt. Unter der Herrschaft des ökonomischen Codes braucht es so
etwas, wie einen gegenseitigen Dialog, um nicht in kriegerischen
Auseinandersetzung zu enden. Auf der Ebene der Literatur zeigt es
sich als spannend zu beobachten, dass dadurch so ein neuerlicher
Begriff der Weltliteratur entsteht, nicht im Sinne einer Spitzen-
und Hochleistungsliteratur, sondern jener Literatur, die es schafft
zwischen den Kulturen zu vermitteln. So sehe ich die Chance für ein
Erzählen, das im Stande ist, was in einem regionalen Raum geschieht,
so darzustellen, dass es Außenstehende begreifen, nachvollziehen
können.
Welche Rolle spielt nun das Internet dabei? Was
bedeutet der Wandel für die Autoren - was für die Leser? Was für das
Medium Buch?
Natürlich hat das Folgen für die Leser:
Internet ist die Chance etwas zu Schaffen, was bisher nur Eliten
zugänglich war. Das Internet bringt eine unglaubliche Menge an
Informationen, die in dieser Weise bisher nicht zugänglich waren.
Ich sehe da eine wichtige Wiederbelebung des klassischen Salons. Das
sind die Hintergrundinformationen, das ist der Tratsch, das sind
sozusagen die Vermutungen, Querverweise, Materialien, die
Geschichten zu den Büchern - all das, was man im klassischen Salon
der Eliten über Bücher, Autoren und die Auseinandersetzung mit
Literatur gewusst hat. Daraus resultierte ja auch der Spaß, den ein
sozusagen professioneller Leser an bestimmten Büchern haben konnte,
er wusste diese Dinge, weil sie ihn jemand erzählt hat, im Salon, im
Cafehaus.. wo auch immer Interessen sich sammelten.
Für Leser
und Autoren gleichermaßen bedeutet der Kulturwandel, indem auch das
Internet eine wesentlich Rolle spielt, das es möglich wird auch
abseits von Zentren und Metropolen etwas wie "Salons" zu bilden. Das
ist letztlich auch was Martin Krusche und ich unter http://www.van.at/
versuchen. In einer Metropole hat so ein Salon Definitionsgewalt.
Von der Peripherie her, über räumliche Distanzen und verstreute
Akteure hinweg, sich etwas ähnliches leisten zu können, wurde
einfach erst durch das Internet möglich. Heute braucht man sich eben
nicht mehr real beispielweise nach Paris aufmachen, sondern baut mit
den Leuten, die man schätzt und die ähnlich denken,
Kommunikationsräume.
Einerseits fördert das Internet
natürlich die Dominanz einer Mainstream-Kultur, ohne Frage.
Andererseits öffnet das Nischen für kleine Literaturen, und verleiht
der Debatten um Peripherie und Zentrum eine neue Qualität. Im
Internet bieten sich enorme Chancen mit wenig Infrastruktur und
wenigen Geldmitteln sich zumindest eine Teilöffentlichkeit zu
schaffen. Es war noch nie so einfach, zumindest auf der Ebene von
Net-Communities über die Enge von örtlicher Zugehörigkeit und
Machtbeziehung hinaus Interessen zu sammeln.
Man versteht das
Internet am besten, wenn man es entlang dessen interpretiert und
beschreibt, was auch im realen Raum passiert. So ist es zumeist auch
dort am interessantesten, wo es Entsprechungen im realen Raum gibt
und zur Schnittfläche von Ereignissen wird. In meinem nächsten
Essayband bin ich deshalb auch schon diesen nächsten Schritt
gegangen, diese interessanten Wegkreuzungen zu analysieren. Da
passieren spannende Entwicklungen an diesen "gefährlichen
Wegkreuzungen" von Mainstream und Alternativ- oder Gegenkultur. Wie
sich ja auch diese bisher so vehement verweigerten Berührungspunkte
zwischen Kultur und Wirtschaftlichkeit im Netz ganz neu darstellen.
Für die Literatur bedeutet das die Gründung eines neuen
Literaturkanons, der sich entlang der Medien konstruiert.
Auffallend an den Essays in "Der Erzähler und der
Cyberspace": Sie stimmen nicht in den Kanon jener ein, die das Ende
der Kunst und das Ende der Literatur als Ergebnis der Entwicklung
prognostizieren. Wo liegen denn die Chancen für "den Erzähler"
heute?
Für die Literatur bedeutet das die Gründung eines
neuen Literaturkanons, der sich entlang der Medien konstruiert.
Erzählung wird wieder aufgewertet, das ist eine Tendenz, die in der
Netzliteratur auch eindeutig abzulesen ist. Das erneute Erzählen
greift zurück auf traditionelle Methoden und Strukturen, ist aber
trotzdem kein "altes" Erzählen. Die jetzige Generation an Lesern und
Autoren weiß um diese Gebrochenheit mit den Strukturen der
herkömmlichen Medien längst, auch weil man sie verinnerlicht hat.
Was in der experimentellen Literatur zum exzessiven
Selbstreferentiell an Literatur geführt hat, das will diese
Generation nicht mehr ausgestellt haben. Es geht nicht mehr darum zu
betonen "Hallo! Ich bin der Autor und du bist in einem Buch " oder
wie das Godard gemacht hat, vordergründig zu betonen: "Das ist ein
Film! Das ist ein Film!" Das sind verinnerlichte Tatsachen, die man
dem Leser heute nicht mehr mitzuteilen braucht.
Das Erzählen
nach dem experimentellen Erzählen greift zwar zurück auf Modelle der
Fiktion, der Figurengestaltung, des Handlungsbogens, der Spannung,
ist aber ein Erzählen, das um die mediale Gebrochenheit all dessen,
was da passiert, weiß. Der mediale Raum ist darin ein ebenso
selbstverständlicher wie der authentisch erlebte, er-chat-tetes
steht neben erlebten. Der Leser möchte wieder einen geradlinigen
Erzählfaden folgen. Insofern ist es einfach neu nachzudenken über
einen Begriff an Qualität.
Zur Definition von
"Qualität" in der Literatur haben Sie in den letzten Jahren auch
ihre nicht von allen akzeptierten eigenen Ansichten herausgebildet.
So beginnt gleich der erste Essay in ihrem zuletzt erschienen Buch
"Der Erzähler und der Cyperspace" mit der provokanten Frage, die ich
gleich an Sie richten möchte: "Wieso schreibt Friedericke Mayröcker
eine hohe und warum Mario Simmel eine niedere
Literatur?"
Die meisten Essays in diesem Band entstanden
aus Debatten mit Studenten, im Kontext zu einer Lehrveranstaltung,
die ich auf Initiative von Prof. Friedbert Aspetsberger an der
Universität Klagenfurt gehalten habe. Auch der den Sie hier
ansprechen. Dort beschäftigte sich zu dieser Zeit gerade ein
Symposium mit dem Qualitätsanspruch der Literatur von Mario Simmel,
wo eben Germanisten gerne den Standpunkt vertreten, dass das Schund
sei, und man Simmels Bücher nicht als Literatur begreifen kann, weil
es nicht dem qualitativen Anspruch genüge. Ich kann einerseits schon
nachvollziehen, welcher Qualitätsbegriff von Formalisierung da
herangezogen wird. Aber unter der Bedingung einer konvergenten
Medienwelt bedarf es eines wesentlich komplexeren analytischen
Zugangs zu solchen Fragen. Qualität besteht für viele in der
Formalisierung, erwächst aus dem Anspruch, nicht über die
Vorspiegelung von Authentizität, sondern um das Wissen um die
Sprache zu entstehen, was einen hochformalisierten Zugang zu
Kommunikation bedeutet. Doch im Prinzip tut gerade Simmel auch etwas
ähnliches. Ich glaube auch Michael Köhlmeier kann man hier
platzieren, das sind Leute, die die Avantgarde durchaus studiert
haben, das sind ja keine Autoren, die da einfach naiv Texte
schreiben. Sie übertragen eben so etwas wie Avantgarde-Methoden auf
eine Form der Benutzerfreundlichkeit.
Simmel schreibt hoch
formalisiert, offensichtlich sind seine Geschichten Konstrukte, in
denen er Module eines erzählerischen Aufbaus sehr bewusst aneinander
reiht. Er arbeitet eben nicht in der Mikrostruktur der Sprache.
Diese Vermutung wurde mir dann auch durchaus von persönlichen
Bekannten Simmels so bestätigt. Simmel ist Chemiker, was für diesen
Zugang spricht: er montiert verschiedene Module und hat dabei ein
durchkonstruiertes Ganzes im Auge, wie eine chemische Formel.
Natürlich, der Unterschied zwischen einem Simmel und einem Musil ist
und bleibt ja offensichtlich. Die damit verbundene Abwertung von
allem was Trivialität streift, versperrt etwas die Sicht darauf,
dass die bestehende Medienkonvergenz ein vielfältigeres
Nebeneinander im kulturellen Verhalten mit sich bringt. Es ist kein
Widerspruch mehr, das eine wie auch das andere zu
lesen.
Die Entwicklung der Neuen Medien wirkt sich nicht
nur auf die Entstehung neuer, netzspezifischer Formen der Literatur,
wie etwa Hypertext-Installationen und ähnliches aus, sondern
letztlich auch allgemein auf die Literatur und "gedruckte" Literatur
aus.
Natürlich! Medien hatten immer schon einen Einfluss
auf die Literatur, auch auf die Geschwindigkeit von Literatur, der
Film hat die Montage in die Erzählweise gebracht. Es ist sinnlos
redundant Situationen heute noch restlos auszuschreiben, wie das
ganz breit in Romanen des 19. Jahrhunderts auch geschah oder
beispielsweise Proust tat, der sich seitenlang der Beschreibung
eines Gesichts widmete. Medien bringen da heute auch ein gewisses
Tempo in die Literatur und beschleunigen.
Was sich auf der
technologischen Ebene vollzieht, nämlich diese Vernetzung von
Internet und Fernsehen, Internet und Radio, Internet und Zeitung,
wird eben auch mit den herkömmlichen (Buch-)Verlagen, über die
zunehmend auch als Contentfirmen gesprochen wird, geschehen. Das
passiert auch auf struktureller Ebene, indem große Konzerne diese
gesamte Kette zu schließen vermögen, sozusagen eine Art Aufhebung
der medialen Gewaltentrennung. Ich finde das nicht wirklich
erschreckend, da sich gleichzeitig und parallel wiederum die
Diversifizierung fortsetzt, die Segmente und Nischen, für die
produziert werden muss, sich immer mehr aufspalten, weil der Markt
sich immer fragmenteller verhält. So findet auf der einen Seite die
Vereinheitlichung statt, auf der anderen treten aber immer mehr
Nischen in den Blick. Es ist ja als durchaus positiv zu bewerten,
dass es weggeht vom Fetisch Buch zu einem Blick auf den Inhalt (auch
für uns Autoren). Weil das, was im Netz überbleibt, ist ein enorm
fantastisches Angebot an Inhalten, die über verschiedenste Medien
transportiert werden können. Was das Buch dabei verliert, ist sein
Rang als "Leitmedium", nun steht es in Konkurrenz zu anderen
Ausdrucksformen. Das Buch wird deshalb nicht verschwinden, ist ja
eine sehr gut funktionierende Kulturtechnik.
Wie erlebten
Sie den Einstieg in den Cyperspace? Sie waren gerade im Bereich der
Kunst und Literatur einer der ersten in Österreich, die da Neues
versuchten. Das "Homer" Projekt wird in diesem Zusammenhang ja nach
wie vor oft erwähnt. Wie reagierte die heimische
Literatur-"Community" auf solche Vorstöße?
"Absolut
Homer" war einerseits ein Projekt, dass mir viel positive
Aufmerksamkeit einbrachte, andererseits waren daran zumindest zwei
Dinge besonders in Frage gestellt. Zum einen der völlig andere
Zugang und das Verständnis des zu Grunde liegenden Autorenbegriffs,
weswegen auch Handke heftige Kritik äußerte. Zum anderen war es ein
Versuch, der die Ökonomie des Literaturbetriebs thematisiert hat,
abgesehen von der zugrundeliegenden These, auf die konzeptuell
gemeinsam mit den 22 Autoren zugegriffen wurde, auch damit, dass wir
den geschützten und subventionierten Bereich von Literatur offen
angesprochen haben. Auch Burgtheater-Autoren bekommen gute Gagen,
also warum sollte nicht auch ein Projekt des Forum Stadtpark in
ähnlicher Weise diesen Stellenwert in der Förderungsvergabe
einnehmen. Mit Minister Scholten waren solche Ideen durchaus auch
umsetzbar. Es war eine Provokation, aber Politiker waren zu der Zeit
(1995) mitunter aufgeschlossener als die meisten Funktionäre.
Gerfried Stocker äußerte Interesse an dem Projekt: Was wir mit dem
dazu erschienen Buch im analogen Raum gemacht hatten, eignete sich
hervorragend für eine Art Environment, das wir dann auch im Rahmen
der Österreichaktivitäten am Rande der Frankfurter Buchmesse
vorstellten: Es war eine Kombination aus Kunstradio - Environment
und vielem mehr. Tausende User griffen auf dieses Environment über
Internet zu und erzeugten damit eine Klangskulptur, die Autoren des
Projekts stellten wieder neue junge Autoren vor, darunter viele
jener Autoren, die heute zu den Protagonisten der Webliteratur
zählen, wie beispielsweise auch Katrin Röggla. All das erschien
damals wie pure Provokation in den geheiligten Hallen der hohen
Literatur.
Später leitete ich einen Workshop im Rahmen der
Schule für Dichtung, das Autorenlabor in der Alten Schmiede:
Reinhard Döhl aus Stuttgart, ein honoriger Poet der experimentellen
Literatur, lud seine beiden Mitstreiter von damals, Ernst Jandl und
Friedericke Mayröcker, ein, da wir zeigen wollten, dass es da
Traditionen in der experimentellen Literatur der fünfziger und
sechziger Jahre gibt (wie etwa diese Idee mit den Postkarten, die
weitergeschickt werden und an denen mehrere Autoren sich mit
einzelnen Zeilen zu einem Gesamten verknüpfen...), die ähnliches
produzierten wie die neue Netzliteratur. Also abgesehen vom
experimentellen Zugang, agierten auch einmal Jandl und Mayröcker mit
einer Erweiterung des Autorenbegriffs und mit der Sehnsucht nach
einem erweiterten sozialen Band. Vor der Präsentation der Projekte
erzählte Döhl, wie er gemeinsam mit den experimentellen Literaten,
die er eingeladen hatte, Ende der fünfziger Jahre der etablierten
Literatengeneration Wiens einen neuen experimentellen, literarischen
Zugang vermitteln wollte, diese jedoch empört aufstanden und den
Raum verließen, mit der einhelligen Meinung: das ist keine
Literatur. Genau das gleiche sollte dann auch den jungen Literaten
und Künstlern an diesem Abend mit den computerorientierten
Literaturprojekten passieren. Die inzwischen Etablierten waren
schockiert und verließen die Veranstaltung.
Da war mir klar,
da ist wirklich etwas in Bewegung, da ist etwas Neues am entstehen,
und ich betraute Gerfried Stocker mit dem Referat für Neue Medien am
Grazer Forum Stadtpark. Das war natürlich ein Streitpunkt im Haus,
ebenso wie der Vorschlag, diese schrebergärtnerische
Referatsstruktur nicht weiter auszubauen sondern anders zu
organisieren, aber das ist eine andere Geschichte. (Inzwischen ist
ja Gerfried Stocker Chef der ars electronica geworden und setzt nun
in Linz seine Projekte um.)
Der damalige Rektor der Uni Graz
Helmuth Konrad gab uns eine schnelle Standleitung und Server-Space
auf der Uni, das ermöglichte vieles. Wir gingen damals sogar soweit
vom Ministerium zu fordern, den Kulturinitiativen einen freien
Zugang zum Internet, eine Infrastruktur anzubieten. Ziel war es,
zumindest in jedem Bundesland einen Knotenpunkt zu schaffen, an dem
Künstler freien Zugang zu dieser neuen Kommunikationsform hatten. In
diesem Zusammenhang wurden damals durchaus Dinge begonnen, die eine
erfolgreiche Fortsetzung fanden. Der damalige Wissenschaftsreferent,
Christian Eigner, gründete damals die Netz-Zeitschrift
www.zumthema.at, ein Crossover-Projekt, das damals in der
etablierten Kunst- und Literaturwelt so gar nicht gern gesehen war,
und gar als Provokation galt, obwohl diese Provokation nicht
intendiert war, sondern per se so aufgenommen wurde, weil es da
plötzlich etwas gab, was zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst
einen Diskurs führen wollte.
Sie waren von 1995 bis 1997
der Vorsitzende des Forum Stadtpark. Was denken Sie heute über diese
Zeit?
Vor allem was dort in den letzten Zügen meiner Zeit
als Vorsitzender und in der Zeit danach geschah, verursachte da
schon einen tiefgreifenden Einschnitt in meinem Leben. Ich ging,
weil klar war, dass ich meine Reformvorhaben dort in keiner Weise
mehr durchsetzen konnte. Ich war ja nicht handlungsunfähig in dieser
Zeit, ich hätte schon noch zurückschlagen können, aber ich wollte
nicht mehr. Diese Zeit war auch psychisch eine Extremsituation, aber
ich wusste, ich steh das durch! Manche bemühen sich heute um eine
Art der Rehabilitierung, an der mir aber eigentlich nichts
liegt.
Jetzt war ja diese 40-Jahr-Feier für die
Literaturzeitschrift "manuskripte", und da rufen mich wieder Leute
aus meiner Forumzeit an und viele sagen, dass ich damals Recht
gehabt habe. Darum geht es zwar nicht, aber es ist einfach wichtig
zu sagen, es hat so keinen Sinn mehr, sich selbst zu feiern und
(nicht zu Unrecht) darauf zu requirieren, dass in den sechziger
Jahren viel passiert ist. Mich hat es in dieser Form dort nur
gegeben, weil sich eben viel verändert hatte, wir versuchten das für
das Forum umzusetzen, und davon fühlten sich neue Leute
angesprochen, ich wurde dafür nur als Kunstfeind deklariert,
beispielsweise für Veranstaltungen wie Slam-Poetries, die es dann
eben auch gab.
Da gibt es nach wie vor viele Tabus, auch der
Bereich über Wirtschaftlichkeit nachzudenken. Nun, inzwischen ist
das Haus umgebaut, es hat sich in Graz viel getan, aber die Jungen
können sich noch nicht in entsprechender Form durchsetzen. Was sie
aber wiederum wieder sympathisch macht, weil das darauf basiert,
dass die Jungen dieser Vereinsmeierei nichts mehr abgewinnen mögen,
die wollen Infrastruktur nützen, die wollen Projekte durchziehen und
dann wieder gehen, was schwer umzusetzen ist, mit einer starren
Struktur.
Ansonsten: Ich habe das Glück einen Verleger zu
haben, der mich schätzt. Wir wissen beide, dass es heute auch in der
österreichischen Literatur nur noch mit dem deutschen Markt
gemeinsam geht, und so entstand nun die Kooperation von Haymon mit
der DVA.
Ich kann sagen: Ich führe heute das Leben, das ich
immer führen wollte: Ich bin Schriftsteller und ich schreibe. Im
Prinzip bin ich froh, dass ich in diese Bereiche des Einflusses in
der Verbindung von Kunst und Politik nicht mehr involviert
bin.
zur Buchhandlung
Homepage Walter
Grond
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