[34•2000]
MI. 003

MI.

[Josipa Crnoja & Dragana Dimitrijevic]


Slawische Seele
(Ein Interview mit Walter Grond)

• [Josipa]
• [Dragana]
• [MI.] core

Den Volltext dieses Beitrages als RTF-Download

Die Akzeptanz der slawischen Seele in Europa, seine persönliche Verbindung zu slawischen Seelen, sein neues Buch das sind nur einige Themen im Gespräch mit Walter Grond.
Ich glaube, dass das weniger damit zu tun hat, dass an der slawischen Seele etwas anders ist als an der beispielsweise österreichischen, sondern, dass zur Konstruktion einer Behauptung, es gäbe eine österreichische Seele, man ein fremdes Gegenüber braucht – etwas, was man fürchtet. Also zur Konstruktion von Identitäten hat immer ein Fremdes gehört, ein Anderes dazuzukonstruieren und das slawische, ich denke vor allem seit der Existenz der sowjetischen Ostblockstaaten, war ein hervorragendes Feindbild für den Westen.
Und hat sich sozusagen über nationale Konstruktionen nach der Auflösung des sowjetischen Imperiums nach 89 ziemlich gut dafür geeignet in Westeuropa, als so ein fragwürdiges erratisches Konstrukt übrigzubleiben.

grond.jpg (9668 Byte)

Seit dieser Auflösung sind fast 10 Jahre vergangen. Warum dauert es so lange, bis die Westeuropäer oder der Rest von Europa begreift, dass die slawische Seele nicht anders ist als ihre?
Ich glaube, dass es da mehrfache Gründe gibt. Die einen sind vergangenheitsbezogen. Ich erinnere mich: als Kind wurde, sowohl an den Wirtshaustischen in einem kleinen Landdorf, wo ich aufgewachsen bin, als auch zu Hause bei meiner Mutter, immer von den Russen gesprochen die kommen. Und ich erinnere mich auch, dass ich so als Halbwüchsiger im Internat, in der Klosterschule einmal nachgefragt habe, wann denn die Russen jemals gekommen seien, wissend vom Geschichtsunterricht, dass Napoleon dorthin ging und nicht die Russen nach Europa, dass Hitler dorthin ging und nicht die Russen nach Europa, aber als so feststehender Angsttopos hat sich das eingegraben irgendwie historisch und offensichtlich über Propaganda. Ein zweites wird wohl sein, dass durch die Auflösung oder das Niederreissen des Eisernen Vorhangs 89 sehr viele Österreicher, die ja 40 Jahre nach dem Krieg an so etwas wie einer österreichischen Identität zu knabbern und zu bauen hatten, nun für sich in den familiären Verhältnissen draufgekommen sind, dass sie eigentlich viel weniger deutsch sind, sondern sehr viele Spuren in diesen slawisch-ungarischen Ostraum an der Ost-Grenze Österreichs hatten.
Und ein Stück Selbstleugnung der Geschichte, von eigener Geschichte, ist auch dieses Vonsichweisen einer Vergangenheit, die ja, würde ich sagen, in der Monarchie eine sehr hierachische gewesen ist. Also die Zuwanderer aus diesen Räumen der Donaumonarchie sind meistens Untergebene gewesen. Ganz ähnlich wie die meisten Migranten, die heute von den westeuropäischen Zentren und Zentralen und Metropolen, ja auch über den gesteigerten Dienstleistungsbedarf angelockt werden.
Und ein drittes ist, gerade was Jugoslawien betrifft, glaube ich, dass die linken fortschrittlichen sowohl links-katholischen als auch link- marxistischen als auch links-liberalen Kreise in Europa in diesem dritten Modell Jugoslawiens, in diesem sogenannten dritten Modell Jugoslawiens also zwischen den beiden Frontsystemen im kalten Krieg sehr viel hineinprojiziert haben.

Zizek hat ja 92 bei Ausbruch des Kriegs in Bosnien davon gesprochen, dass der Krieg in Jugoslawien der Krieg der Fantasmen der Westeuropäer ist. Der Fantasmen eben von ihren eigenen Träumen von einem anderen Weg. Also dieses Slawische hat ja immer diese Ambivalenz in sich gehabt: einerseits das gefürchtete wilde unbekannte und andererseits das anarchische, erotische, zum Teil auch südliche.

Walter Grond lebte zwei Monate in Sarajevo. Ist der Unterschied zwischen der Menschen, die in Westeuropa leben und den Menschen in Ost- bzw. Südosteuropa wirklich so groß, dass sie aufeinander vorbereitet werden müssen?
Ich hab ja eigentlich Sarajevo in Österreich kennengelernt. Weil ich 93, als Dzevad Karahasan und seine Frau Dragana nach Österreich kamen, an einem der ersten Tage, die sie hier waren, kennengelernt habe. Zwei sehr nervöse, zerrüttete Menschen, die gerade aus dem Krieg kamen und wir wurden sehr bald Freunde. Die beiden sind dann bald nach Göttingen gegangen, weil er dort Lehraufträge bekam und ich sah, dass sie auf irgendeiner Weise unglücklich gewesen sind. Und sie erzählten mir, sie würden gerne nach Graz kommen weil das Leben in Graz ihnen sehr ähnlich erschiene zu dem in Sarajevo. Die beiden kamen dann nach Graz und es ist eine tiefe Freundschaft entstanden. Ich habe im Grunde dieses Stück Sarajevo, das sie – oder dieses Stück Bosnien, das sie in ihre Emigration mitgenommen haben, als etwas kennengelernt, was tatsächlich sehr viele Spuren in meinem eigenen Leben hat, also sowohl, was meine Familiengeschichte betrifft, als auch sehr viele Kulturgewohnheiten, wie wir sie hier tagtäglich vorfinden, parallel gingen. Also von daher hab ich diesen Blick Karahasans auf seine Heimatstadt, die er verlassen hat und der sicher auch ein sentimentaler, verträumter gewesen ist also einer der sich nicht immer der Realität dieser verlorengegangenen Stadt gestellt hat. Das war es also, was mich ohne jegliche Ressentiments nach Sarajevo gehen liess.

... Textauszug!



Den Volltext dieses Beitrags als RTF-Download.



top | feedback | [MI.] core | [MI.] home