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19) Die Kunst jenseits der Künste
Die Ängste vieler Künstler, der Staat würde, wenn er
aufhört, ein Sozialstaat zu sein, auch aufhören, ein Kulturstaat sein zu wollen, sind
weniger von der Sorge der Künstler um die Existenz des Kulturstaates getragen als von der
Sorge um die Gefährdung ihrer Existenz. Sie machen sich Sorgen, ihre Miete nicht mehr
bezahlen zu können, und viele von ihnen leben in bestehender oder drohender Not. Darüber
nachzudenken, welche sozialen Netze eine Gesellschaft für ihr sogenanntes Humankapital
bereithält, ist eine vordringliche Aufgabe, und im übrigen nicht nur aus moralischen,
sondern auch aus Gründen distributiver Vernunft. Die Felder der Wissenschaft und der
Kunst überlappen sich längst; der soziale Standard, den Wissenschafter genießen, steht
Künstlern ebenso zu.
Soziale Sicherheit für Künstler kann indes nur sinnvoll bedacht werden, wenn die
Künstlergemeinschaft dazu bereit ist, eine Debatte über die Zeitgemäßheit ihres
Berufsbildes zu führen. Die Frage, was ein Künstler im Jahr 2010 sein wird, welche
Zukunft also heute junge Künstler haben, wird immer noch reflexhaft abgewehrt. Die
wachsenden Ängste führen zu einem Rückschritt des Bewußtseins über das Künstlertum,
und insofern sie ein Nachdenken über das Berufsbild Künstler in einer nachindustriellen
Gesellschaft eher behindern als fördern, verhindern sie nicht, wovor sich Künstler heute
fürchten, nämlich von einer verwissenschaftlichten Welt wegrationalisiert zu werden.
Das verbreitetste Selbstbild beziehen Künstler immer noch aus einer vorromantischen
Wirklichkeit, jener einer vorindustriellen Gesellschaft. Damit verbunden ist eine
bestimmte Versorgungsmentalität und Unselbständigkeit, damit wiederum verbunden ein
Ablehnen einer Festschreibung ihres Berufsbildes. Vorstellungen von geschützten Arealen,
in denen Künstler im Auftrag von Gönnern ihren Begabungen nachgehen, und das damit
verbundene Modell des geborenen Genies, das sein Leben lang der Welt Kunst schenkt, nicht
arbeitet und im übrigen von allem Weltlichen ferngehalten werden muß, spiegeln sich in
der gesellschaftlichen Isoliertheit des Kunstbetriebes und nicht zuletzt im Modell der
Meisterklassen im Bereich der Künstlerausbildung wider. Fragen der beruflichen Mobilität
und der Berufsfelderweiterung werden gern als solche, die die Kunst entweihen, empfunden.
Paradoxerweise hinken heute Künstler in ihrem Selbstbild sehr oft den Entwicklungen der
Kunst hinterher. Die Kunst nämlich trägt in ihren neuesten Prägungen längst die
Zeichen der technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Die Kunst eilt also den Künstlern voraus, denn sie ist an ihr eigenes Ende gekommen; an
ihr Ende gekommen, heißt nicht, daß nicht weiter produziert, und auch nicht, daß dies
nicht erfolgreich getan werden würde. Und an ihr Ende gekommen bedeutet auch nicht, daß
nicht etwas Anderes, etwas jenseits dessen, was Kunst war, existieren wird. Hingegen
bedeutet die Kunst ist an ihr Ende gekommen, daß sich für viele zeitgemäße
künstlerische Arbeiten solche Kriterien wie Genialität, Einzigartigkeit, Originalität
oder Authentizismus überlebt haben und es produktiver geworden ist, darüber
nachzudenken, welches Kalkül, welches Organisationstalent, welche Fähigkeit zu
strukturellem Denken man als Kompetenzen hinter diesem Werk ausfindig machen kann.
Erweiterter Kunstbegriff nannte Joseph Beuys sein Konzept einer Kunst als sozialer
Plastik, bei der jeder Mensch ein Künstler ist, insofern er teilhat am gesellschaftlichen
Ganzen. Spätestens damit war Erneuerung nicht mehr als Überbietungsformel zu denken und
hat das Publikum eine neue Autorität als Instanz für Kunst gewonnen.
Rainer Metzger schloß an den Begriff des erweiterten Kunstbegriffs an und ersann für die
neunziger Jahre den der Kunst jenseits der Künste, also jenseits der Einzelkünste,
jenseits der Gattungen, die als Kriterium unwichtig geworden sind. Für Metzger sind
künstlerische Akte heute voraussetzungslose Statements und haben einen paradoxen Status
als zum einen Präzedenzfälle, zum anderen, nach dem Tod des Autors, als
Dienstleistungen. Wenn die Gattungen keinen Rahmen liefern, treten andere, heiklere
Beglaubigungen an ihre Stelle. Als zwei besonders wichtige nennt Metzger die Bereiche
Philosophie-Theorie-Wissenschaft und all die Phänomene, in denen sich Trends zeigen:
Werbung, Mode, Pop-Arten, der Mainstream im allgemeinen.
Nun scheint es sinnvoll, von einem möglichen zeitgemäßen und zukünftigen Künstler als
einem Cultural Worker zu sprechen. Er wäre in der Lage, so zu denken und zu handeln, daß
er immer weiß, in welchem Zusammenhang er sich entfaltet. Notwendigerweise ist er als ein
Generalist vorzustellen. Seine künstlerische Arbeit wäre, so Metzger, keine
Eingeweideschau und kein Psychotrip. Der Cultural Worker wüßte um konkrete Aufgaben
oder, wo sie fehlen, um ein konkretes Bezugsfeld innerhalb jener Ökonomie der
Aufmerksamkeit, die seinen Status bestimmt. Aufmerksamkeit zu erringen, ohne einerseits
der reinen Spektakelkunst zu verfallen und sich andererseits in Vorstellungen von
Verkanntheit und von Provokation zu verlieren, wäre seine zentrale Fähigkeit innerhalb
der Mechanismen von Kultur- und Bewußtseinsindustrie.
Was nun ließe sich über die Berufsfelder eines "Cultural Workers" sagen? In
Bezugnahme auf die Rolle der Cultural Studies müßten sich emanzipatorisch gedachte
künstlerische Berufsfelder gegen eine Vertreibung von Theorie und Forschung aus dem
Kunst-Zusammenhang entwerfen.
...
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Das vollständige Kapitel
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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)
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