[5•2000]

Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace
[Inhalt]

 

16) Robert Menasse: Herr Bundeskanzler, treten Sie zurück!

Von Robert Menasse las ich im Lauf des Herbstes und Frühwinters 1997 vier Texte. Im ersten, im Wiener Falter publiziert, kritisiert Menasse das kursierende Lob für die Demontage der Gießkannenprinzip-Förderung des früheren Kunstministers Scholten, wie sie der neue Kunst-Staatssekretär Peter Wittmann ankündigte. Menasse bringt die Erleichterung über die Verabschiedung des Ideologieressorts Kunst in einen Zusammenhang mit Kulturkampfparolen von Verteidigungsminister Fasslabend. Der rief in Broschüren das Ende der politischen Widersprüche aus und legte, der rassistischen Kulturkreistheorie des amerikanischen Bestsellerautors Samuel P. Huntington folgend, die Aufgabe der Neutralität und den Beitritt zur NATO mit dem Argument nahe, die unversöhnlichen Gegensätze zwischen den Kulturkreisen Orient und Abendland ließen sich als die bestimmenden Faktoren der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts voraussehen. Eine Mobilisierung gegen das Fremde, in seiner sanfteren Version mit dem Argument, man müsse Migrationen verhindern, um dem Fremden die Identität zu sichern, ist, stellt Menasse fest, längst politische Handlungswirklichkeit. Deren Konsequenz sei eine Politik der Ausschließung, und Ausschließung offenbar auch das Ziel einer sogenannten entpolitisierten Kulturpolitik.
Einige Zeit später las ich wieder einen Text von Robert Menasse, diesmal in der Tageszeitung Der Standard. Menasse fordert darin Bundeskanzler Klima zum Rücktritt auf, weil der die Politik der Ausschließung zu verantworten habe. Viktor Klima selbst habe den Populismus und den Stammtisch zum Maßstab seines politischen Handelns erhoben. Menasses Aufforderung Treten Sie zurück! war im Ton von Zolas Ich klage an gehalten, im Duktus eines Aufklärers und kritischen Intellektuellen. Aufhorchen ließ mich Menasses moralischer Imperativ, den er Viktor Klima als einem sozialdemokratischen Politiker abverlangte. Die Forderung nach Rücktritt von Klima, und nicht etwa von Verteidigungsminister Fasslabend, bestand also auf politische Differenz und auf Haltung in der Politik, die Menasse von einem Sozialdemokraten eher verlangt als von einem Konservativen.
Wenige Wochen später, noch während der öffentlichen Aufregungen um jene Rücktrittsaufforderung, las ich in der Titelschlagzeile der Grazer Kleinen Zeitung etwas über das Verhältnis Robert Menasses zu Lady Diana und dann, auf der Kulturseite, Menasses Darlegung der Gründe, warum er sich zu seinem mit Spannung erwarteten Märchenbuch über Prinzessin Diana durchgerungen habe. Er, Menasse, interessiere sich nämlich nicht für Boulevard, seine Frau und seine Tochter indes hätten ihn für Dianas Leidensweg sensibilisiert, und er habe daher, sozusagen von der Stimme des Volkes im eigenen Haus überzeugt, diesem Thema Aufmerksamkeit geschenkt, ja im Auto, von der Stadtwohnung zum Landhaus fahrend, mit seiner Tochter das Märchen als ein oral poem gedichtet.
Gibt es, fragte ich mich, einen Zusammenhang zwischen der Rücktrittsforderung Menasses an Bundeskanzler Klima und der Inszenierung Menasses um Lady Diana, zu der dann auch noch Menasses Familie in der Talkshow Schiejok täglich auftrat? Hatte nicht Menasse gerade die Denkfigur des kritischen Künstler-Intellektuellen in der Popmoderne thematisiert? War er nicht dabei, einen neuen Stil für Autoren zu erfinden? Diese Denkfigur mimt zwar wie Handke die elitäre Übersteigerung als Authentizität und hat keine Scheu mehr davor, den eigenen Körper als Marketing-Mittel zu begreifen, übt sich aber nicht mehr im Überbieten der Provokation nach rechts, sondern als Avantgarde der eigenen Abschaffung.

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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)

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