[1•2000]

Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace
[Inhalt]

 

15) Die Geburt des Autors nach dem Tod des Autors

Eine umfassende Theorie der Gesellschaft, wie Niklas Luhmann sie erstmals hundertfünfzig Jahre nach Hegel wieder in Angriff nahm, fand die Welt so verändert vor, daß Luhmann für die Beschreibung der heutigen Wirklichkeit neue Begriffe erfinden mußte. Im Entwurf der Gesellschaft als Kommunikationssystem hat sich der Mensch als Ordnungshüter verbraucht; auch Roland Barthes’ Attest vom Tod des Autors, der im hochentwickelten System der Schrift weniger Schöpfer als Medium ist, war und bleibt von großem Einfluß auf das Schreiben in der Postmoderne.
Der Begriff des Postmodernismus ist so verwirrend wie seine Infragestellungen von Festschreibungen der Moderne, die seit den sechziger Jahren im angloamerikanischen Raum und seit den achtziger Jahren in Europa immer wieder neue Dekonstruktionen des Wahren und Schönen auslösen. Wer immer sich daran versucht, wünscht sich, daß mit dem Stand seiner Dekonstruktionen mit dem Dekonstruieren Schluß sei. In immer kürzeren Abständen scheinen die Erneuerer überholt, sieht der im Denken eben noch Jüngste alt aus. Die elektronische Revolution läßt manchen die Nerven verlieren. Inzwischen ruft der Simulations-Philosoph Jean Baudrillard zur echten Hingabe für ein wahres Kunstwerk auf, und selbst für viele Verfechter des französischen Poststrukturalismus, die vor zehn Jahren noch gegen den Absolutismus der Aufklärung angeschrieben hatten, scheint die technische und soziale Wirklichkeit ihre Forderung nach Vieldeutigkeit zu wörtlich genommen zu haben und zu unübersichtlich geworden zu sein.
Die neuen Formen von Netz, Gender, Culture und Pop mögen seit den neunziger Jahren wie ein Spuk an der literarischen Ordnung vorbeiziehen. Entscheidend ist, daß sich gegenwärtig nicht nur eine neue vom Kapitalismus geprägte Kultur-Matrix herausbildet, die weltumfassend agiert, sondern daß für die jungen Generationen die Postmoderne selbstverständlich geworden ist. Jugendliche der Gegenwart erkennen im Postmodernismus nicht nur eine anspruchsvolle Ästhetik und ein akademisches Thema, sondern auch Form und Struktur ihres alltäglichen Lebens. Jugendzeit wurde zur Medienzeit; jugendliche Kulturen erleben sich selbst als durch Medien vermittelt; und damit vollzieht sich eine gewaltige Umgestaltung von Normalität.
Der Gestus der Empörung läuft gegen die Klugheit ins Leere, mit der heute Popmusiker, Fußballer, Entertainer oder Literaturkritiker in bezug auf die mediale Verfaßtheit ihrer Existenz reagieren. Wie ihr Publikum treten sie als Medienbenutzer auf, wobei die Stars verfügbar zu sein haben. Auf das Inferno der totalen Mediengesellschaft, in der – wie in Peter Weirs Truman Show – das Leben in einem rund um die Uhr kontrollierten und veröffentlichten Schauspiel angelegt ist, mag ein neuer Realismus folgen. Auf die Generation X eine, so Trendforscher Don Tapscott, Generation N, die – unbehindert vernetzt und ständig lernend – Unabhängigkeit und Autonomie genauso wie emotionale und intellektuelle Offenheit fordern wird. Der allwissende Autor, der Autor als Schöpfer, der Autor als Demiurg nimmt jedenfalls seinen Abschied. Daß junge Leute heute über Wissen und Erfahrung verfügen, die sie den Älteren voraushaben, stellt eine neue Situation dar. Die reflexhafte Abwehr von Zeitgeistigkeit lenkt davon ab, daß die Alten von den Jungen den Umgang mit den neuen Kulturtechniken werden lernen müssen.
Mit Autorschaft und Managment betitelte Felix Philipp Ingold Ende der achtziger Jahre den Umbruch unserer Wissensordnung, in der sich der Schriftsteller zunehmend zum Archivierer und Katalogisierer wandelt. Autorschaft führe nunmehr nicht anders als das neue Management zur Manipulation von Mythen, Symbolen und Etiketten, von Denk-, Sprach- und Interpretationsmustern. Ein moderner Manager tritt eher als Wanderprediger auf denn als Buchhalter, eher als Sprachwissenschafter denn als Maschinist. Herrschaft ist unter seiner Würde, er vertraut sich dem betrieblichen System an und macht sich dienstbar, um auf diese Weise sein Überleben zu sichern.
Im nachindustriellen Kapitalismus entwickelte sich das Wissensmanagement zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig. Consulting zählt zu den wichtigsten neuen Dienstleistungen; Wissensmanager unterstützen in Unternehmen die Wissensspirale.
Vergeblich aber sucht man nach einer umfassenden Management-Theorie. In der Praxis erweist sich Wissensmanagement als das Arbeiten mit Fallbeispielen, die von Praktikern und ihrem Tun erzählen: Es ist ein Story-Telling, das im Unternehmen erforderlich ist, um genau beobachten und schildern, also zeigen zu können, wie andere vorgehen. Anhand von illustrierenden Geschichten, heißt es, lerne und begreife man schneller einen Sachverhalt als durch das Studium abstrakter Theorie; so ließen sich vielschichtige Inhalte in einer Alltagssprache transportieren, die die ganze Person herausfordern und zum Zuhören, zum Mitdenken anregen.
So setzt zum Beispiel die amerikanische Niederlassung des Versicherungsdienstleisters Skandia auf eine Wissens-Sharing-Kultur und etablierte zu diesem Zweck das Programm Meet the Cabinet. Alle sechs Wochen treffen sich vier Mitglieder des Managements mit 25 Angestellten zu einem Round-Table-Gespräch, wobei an jedem Tisch je ein Manager mit sechs Angestellten diskutiert. Nach 15 Minuten wechseln die Angestellten den Tisch, sodaß sie mit jeder Führungskraft reden können. Unklarheiten, die es im Unternehmen gibt, stehen genauso an der Tagesordnung wie Ideen, die man in die Firma einbringen möchte. Durch wechselseitiges Lernen soll sich das Wissen des Unternehmens besser verteilen, zugleich aber auch vernetzt und damit am Ende vergrößert werden.

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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)

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