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15) Die Geburt des Autors nach dem Tod des Autors
Eine umfassende Theorie der Gesellschaft, wie Niklas
Luhmann sie erstmals hundertfünfzig Jahre nach Hegel wieder in Angriff nahm, fand die
Welt so verändert vor, daß Luhmann für die Beschreibung der heutigen Wirklichkeit neue
Begriffe erfinden mußte. Im Entwurf der Gesellschaft als Kommunikationssystem hat sich
der Mensch als Ordnungshüter verbraucht; auch Roland Barthes Attest vom Tod des
Autors, der im hochentwickelten System der Schrift weniger Schöpfer als Medium ist, war
und bleibt von großem Einfluß auf das Schreiben in der Postmoderne.
Der Begriff des Postmodernismus ist so verwirrend wie seine Infragestellungen von
Festschreibungen der Moderne, die seit den sechziger Jahren im angloamerikanischen Raum
und seit den achtziger Jahren in Europa immer wieder neue Dekonstruktionen des Wahren und
Schönen auslösen. Wer immer sich daran versucht, wünscht sich, daß mit dem Stand
seiner Dekonstruktionen mit dem Dekonstruieren Schluß sei. In immer kürzeren Abständen
scheinen die Erneuerer überholt, sieht der im Denken eben noch Jüngste alt aus. Die
elektronische Revolution läßt manchen die Nerven verlieren. Inzwischen ruft der
Simulations-Philosoph Jean Baudrillard zur echten Hingabe für ein wahres Kunstwerk auf,
und selbst für viele Verfechter des französischen Poststrukturalismus, die vor zehn
Jahren noch gegen den Absolutismus der Aufklärung angeschrieben hatten, scheint die
technische und soziale Wirklichkeit ihre Forderung nach Vieldeutigkeit zu wörtlich
genommen zu haben und zu unübersichtlich geworden zu sein.
Die neuen Formen von Netz, Gender, Culture und Pop mögen seit den neunziger Jahren wie
ein Spuk an der literarischen Ordnung vorbeiziehen. Entscheidend ist, daß sich
gegenwärtig nicht nur eine neue vom Kapitalismus geprägte Kultur-Matrix herausbildet,
die weltumfassend agiert, sondern daß für die jungen Generationen die Postmoderne
selbstverständlich geworden ist. Jugendliche der Gegenwart erkennen im Postmodernismus
nicht nur eine anspruchsvolle Ästhetik und ein akademisches Thema, sondern auch Form und
Struktur ihres alltäglichen Lebens. Jugendzeit wurde zur Medienzeit; jugendliche Kulturen
erleben sich selbst als durch Medien vermittelt; und damit vollzieht sich eine gewaltige
Umgestaltung von Normalität.
Der Gestus der Empörung läuft gegen die Klugheit ins Leere, mit der heute Popmusiker,
Fußballer, Entertainer oder Literaturkritiker in bezug auf die mediale Verfaßtheit ihrer
Existenz reagieren. Wie ihr Publikum treten sie als Medienbenutzer auf, wobei die Stars
verfügbar zu sein haben. Auf das Inferno der totalen Mediengesellschaft, in der
wie in Peter Weirs Truman Show das Leben in einem rund um die Uhr kontrollierten
und veröffentlichten Schauspiel angelegt ist, mag ein neuer Realismus folgen. Auf die
Generation X eine, so Trendforscher Don Tapscott, Generation N, die unbehindert
vernetzt und ständig lernend Unabhängigkeit und Autonomie genauso wie emotionale
und intellektuelle Offenheit fordern wird. Der allwissende Autor, der Autor als Schöpfer,
der Autor als Demiurg nimmt jedenfalls seinen Abschied. Daß junge Leute heute über
Wissen und Erfahrung verfügen, die sie den Älteren voraushaben, stellt eine neue
Situation dar. Die reflexhafte Abwehr von Zeitgeistigkeit lenkt davon ab, daß die Alten
von den Jungen den Umgang mit den neuen Kulturtechniken werden lernen müssen.
Mit Autorschaft und Managment betitelte Felix Philipp Ingold Ende der achtziger Jahre den
Umbruch unserer Wissensordnung, in der sich der Schriftsteller zunehmend zum Archivierer
und Katalogisierer wandelt. Autorschaft führe nunmehr nicht anders als das neue
Management zur Manipulation von Mythen, Symbolen und Etiketten, von Denk-, Sprach- und
Interpretationsmustern. Ein moderner Manager tritt eher als Wanderprediger auf denn als
Buchhalter, eher als Sprachwissenschafter denn als Maschinist. Herrschaft ist unter seiner
Würde, er vertraut sich dem betrieblichen System an und macht sich dienstbar, um auf
diese Weise sein Überleben zu sichern.
Im nachindustriellen Kapitalismus entwickelte sich das Wissensmanagement zu einem
bedeutenden Wirtschaftszweig. Consulting zählt zu den wichtigsten neuen Dienstleistungen;
Wissensmanager unterstützen in Unternehmen die Wissensspirale.
Vergeblich aber sucht man nach einer umfassenden Management-Theorie. In der Praxis erweist
sich Wissensmanagement als das Arbeiten mit Fallbeispielen, die von Praktikern und ihrem
Tun erzählen: Es ist ein Story-Telling, das im Unternehmen erforderlich ist, um genau
beobachten und schildern, also zeigen zu können, wie andere vorgehen. Anhand von
illustrierenden Geschichten, heißt es, lerne und begreife man schneller einen Sachverhalt
als durch das Studium abstrakter Theorie; so ließen sich vielschichtige Inhalte in einer
Alltagssprache transportieren, die die ganze Person herausfordern und zum Zuhören, zum
Mitdenken anregen.
So setzt zum Beispiel die amerikanische Niederlassung des Versicherungsdienstleisters
Skandia auf eine Wissens-Sharing-Kultur und etablierte zu diesem Zweck das Programm Meet
the Cabinet. Alle sechs Wochen treffen sich vier Mitglieder des Managements mit 25
Angestellten zu einem Round-Table-Gespräch, wobei an jedem Tisch je ein Manager mit sechs
Angestellten diskutiert. Nach 15 Minuten wechseln die Angestellten den Tisch, sodaß sie
mit jeder Führungskraft reden können. Unklarheiten, die es im Unternehmen gibt, stehen
genauso an der Tagesordnung wie Ideen, die man in die Firma einbringen möchte. Durch
wechselseitiges Lernen soll sich das Wissen des Unternehmens besser verteilen, zugleich
aber auch vernetzt und damit am Ende vergrößert werden.
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Dies ist ein Textauszug!
Das vollständige Kapitel
können Sie HIER
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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)
Respektieren Sie bitte die Rechte des Autors und des Verlages. Diese
online-Fassung ist nur zur privaten Lektüre verfügbar.
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