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14) Die Geburt des Publikums
Der weltweit wohl populärste Science-Fiction-Autor Douglas
Adams erklärte im Oktober 1998, die traditionelle Literatur habe ausgedient;
Schriftsteller verfügten über keine gegenwärtig wichtigen Kenntnisse.
Die entlang des naturwissenschaftlichen Fortschritts verkündigte Krise der Literatur
besitzt eine lange Tradition in der literarischen Debatte selbst; neu ist Adams
Behauptung jedoch wegen des Zusammenhanges, in dem er sie aufstellte. Er moderierte
nämlich ein Podiumsgespräch über den Digitalen Planeten, eine Veranstaltung, die Natur-
und Kulturwissenschafter zu einem, so die Presseaussendung, Woodstock der Masters of
Sciences in München versammelte. John Brockman, Autor des Bestsellers Die dritte Kultur
und New Yorker Agent für wissenschaftliche Populär-Literatur, hatte mit dem Biologen
Richard Dawkins, dem Philosophen Daniel C. Dennett, dem Psychologen Stephen Pinker und dem
Evolutionsforscher Jared Diamond vier der gegenwärtig erfolgreichsten
Wissenschaftsautoren zu einer Show auf eine Bühne gebracht. Diese Talkshow führte
Wissenschaftspop als publikumswirksames Event vor, nach allen Regeln erfolgreichen
Marketings und mit allen Zutaten professioneller Unterhaltung.
Als Brennpunkt der Wissenschaftseuphorie wie des Kulturpessimismus läßt sich die
Interdisziplinarität ausmachen, also die Arbeit von Wissenschaftern verschiedener
Disziplinen an einem gemeinsamen Projekt. Nach der postmodernen französischen Philosophie
und den angloamerikanischen Cultural Studies errang in den neunziger Jahren mit dem Erfolg
von Stephen Hawkings Kurzer Geschichte der Zeit naturwissenschaftliche Literatur
Kultstatus.
Der Begriff der dritten Kultur, wie ihn Brockman verwendet, geht auf einen Vortrag des
englischen Physikers und Romanschriftstellers C. P. Snow aus dem Jahr 1959 zurück, in dem
er sich besorgt über die Aufspaltung des geistigen Lebens in zwei Kulturen äußerte. Der
literarisch gebildeten geisteswissenschaftlichen Intelligenz stünden in westlichen
Gesellschaften Naturwissenschafter und Techniker gegenüber: Während die Literaten und
Geisteswissenschafter an den Werten der Tradition und einer inzwischen überkommenen
Kultur festhielten, hätten die Naturwissenschafter die Zukunft im Blut. Mit dem Entwurf
einer dritten Kultur gab Snow seiner Hoffnung auf naturwissenschaftlich gebildete Geistes-
und Literaturmenschen Ausdruck, eine Vision, die Brockman mit Events wie jener Talkshow in
München verbreitet.
Der Krieg der Wissenschaften, den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschafter seit Jahren
ausfechten, eskalierte 1996 durch eine Mystifikation des amerikanischen Physikers Alan
Sokal in einer publikumswirksamen Zuspitzung. Seit dieser Affäre wird in Amerika und
Frankreich nicht nur ein heftiger Streit um eine einheitliche Interpretation der Welt
ausgetragen ein Streit, der nicht zuletzt die Frage nach der Autonomie der
Wissenschaften stellt , sondern es erfährt auch dieser Science War eine
massenmediale Aufmerksamkeit.
Alan Sokal veröffentlichte 1996 einen Artikel in der Zeitschrift Social Text, in dem er
behauptete, die physikalische sei ebenso wie die gesellschaftliche Wirklichkeit ein
sprachliches Gebilde. Unmittelbar nachdem der Artikel erschienen war, enthüllte Sokal in
einer anderen Zeitschrift, daß sein Text eine Parodie und ein Experiment mit den Cultural
Studies darstelle. Mit Andrew Ross, dem Herausgeber von Social Text und einem der
wichtigsten Cultural-Studies-Forscher, war eine ganze Wissenschaftsdisziplin Spott und
Hohn ausgesetzt.
Sokal kritisiert wie viele Naturwissenschafter den postmodernen Relativismus, insbesondere
die Idee, auf Tatsachen gegründete Behauptungen sogar über die naturgesetzliche Welt
könnten nur in einer Beziehung zu ihrer jeweiligen Kultur wahr oder falsch sein. Dem
Relativismus zufolge hätte es keine Bedeutung zu sagen, eine Aussage sei wahr oder falsch
in einem objektiven Sinn. Der Relativismus behandle naturwissenschaftliche Erkenntnisse
wie Erzählungen oder als eine von vielen sozialen Konstruktionen. Darüber hinaus wirft
Sokal französischen Denkern wie Jacques Lacan, Gilles Deleuze und Julia Kristeva vor,
mißbräuchlich naturwissenschaftliche Begriffe und Konzepte zu entlehnen und mit ihrer
Befreiung der Sprache Grenzen in Gebiete zu überschreiten, von denen sie nichts
verstünden.
Auf die Pflege der Wissenschaft in der Gesellschaft, die in Frankreich eine lange
Tradition besitzt, pochten denn auch viele Kulturwissenschafter in ihrer Antwort auf
Sokals Vorwürfe. Der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour verwies darauf,
daß der Wandel, den die Gesellschaft als Ganzes durchlebe, gegenwärtig von einer Kultur
der Wissenschaft hin zu einer Kultur der Forschung führe. An die Stelle einer autonomen
und abgesonderten Wissenschaft, deren sakrosanktes Wissen es im kalten Krieg erlaubt habe,
den Brand der politischen Leidenschaften und der Subjektivität zu löschen, trete ein
neues Zeitalter: Zu den politischen Kontroversen komme wissenschaftliche
Auseinandersetzung hinzu; anstatt eine Wissenschaft durch ihre Losgelöstheit zu
definieren, wünsche man heute die Verbundenheit mit ihrer Umwelt. Der Relativismus sei
die Fähigkeit, den Blickwinkel zu verändern und Verbindungen zwischen nicht
vergleichbaren Welten herzustellen diese Tugend habe nur einen Gegner, den
Absolutismus.
Mit dem Science War hängt die Auffassung von einer klaren Sprache zusammen, die Frage, ob
Experten sich um verständliche Mitteilung bemühen sollen oder nicht.
Kulturwissenschaftliche Texte sind zumeist an ihrem komplizierten und verschachtelten
Satzbau erkennbar; ihnen zu eigen ist auch ein übermäßiger Gebrauch von
Wortschöpfungen, die aus dem Altgriechischen und Lateinischen entlehnt sind. Diese
Expertensprache gilt als Eintrittsformel in ein Welterklärungsfeld, das ein bestimmtes
internes Wissen voraussetzt. Wer Zizek liest, muß Lacan gelesen haben, muß Freud gelesen
haben und so fort.
Naturwissenschaftliches Wissen scheint hingegen durch die ungeheure Fakten- und Datenmenge
so kompliziert geworden zu sein, daß sich Naturwissenschafter in einer an
Alltagserfahrungen angelehnten Sprache verständigen, um selbst noch zu verstehen, was sie
erforschen. Die einfachen grafischen Oberflächen im Cyberspace bezeichnen zum Beispiel,
wie man sich die Doppelhelix der DNA vorstellen kann, und ermöglichten damit viele
weitere Erkenntnisse in der Biologie es bestehen also Zusammenhänge zwischen den
kindlichen Schnittstellen von Mensch und Maschine und dem Fortschritt
naturwissenschaftlicher Forschung.
...
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Das vollständige Kapitel
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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)
Respektieren Sie bitte die Rechte des Autors und des Verlages. Diese
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