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Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace
[Inhalt]

 

12) Frauensprache, Privatsprache, durchmischte Patterns

In die Debatte um das Matriarchat drängte 1975 ein Buch, das von Erfahrungen in Frauengruppen erzählt. Verena Stefans Häutungen versammelt autobiographische Aufzeichnungen, Gedichte, Träume und Analysen und zeichnet ein Bild von Frauen, die sich als Feministinnen wahrnehmen und politische Ziele formulieren. Häutungen ist ein Selbsterfahrungstext und zielt ebenso auf Befreiung wie die Frauengruppen, die nicht auf Eroberung aus waren, sondern auf Abgrenzung, auf die Möglichkeit von männerunabhängiger weiblicher Erfahrung. Frauensprache stellte sich Männersprache gegenüber.

Mit Der weibliche Name des Widerstands legte Marie- Thérèse Kerschbaumer wenig später den Grundstein für ein Werk, das in seiner Vielstimmigkeit und Verdichtung wie der weibliche Entwurf von Joyces Prosa wirkt. Perspektivenwechsel, Montage, innerer Monolog, szenische Auflösungen, dokumentarische Sachlichkeit und assoziatives Schreiben bilden ein literarisches Portrait, das die Sprache des Romans als ein System von Sprachen versteht, die sich gegenseitig animieren. Ein Zentrum des Bewußtseins, die innewohnende Autorin, organisiert dabei die Vielstimmigkeit und hält sie zusammen.

Die Wiederentdeckung von Djuna Barnes oder Sylvia Plath, von Gertrude Stein oder Ilse Aichinger ließ ein weibliches Schreiben in eine breitere Öffentlichkeit treten, das sich den Errungenschaften der männlichen Moderne ebenbürtig wußte. Elfriede Jelinek und Elfriede Czurda schufen Poetiken, die an die experimentelle Literatur anschließen und Geschlechterdifferenz in sprachlichen Feldern vorführen, die sich als Gipfelliteratur außerhalb von Gender-Bedingtheit gewähnt hatten. Spätestens mit Jelinek und Czurda brach die Unterscheidung zwischen Realismus und Sprachkunstwerk zusammen.

Eva Meyer nennt das Wissen, daß jeder etwas weiß, daß es aber kein universales Wissen gibt, den Anfang des Erzählens von Gertrude Stein. Deren hermetische Sprache war in den zwanziger Jahren aus einer kompletten Desillusionierung im Leben entstanden, aus der Einsicht, daß der andere nur verstehen könnte, was er selbst erlebt habe, also erfahrend wiederholt. Eine solche Literatur ist ständig dabei herauszufinden, wie niemand je mit jemand anderem in irgendeiner Sache wirklich völlig übereinstimmen kann. Friederike Mayröcker treibt ein solches Schreiben vehement voran, ein Schreiben, das ein wiederholtes Austauschen der Techniken des Enthüllens und Verhüllens erfordert, um nicht mehr agieren zu müssen, um also jedem Handeln im Leben und jeder Handlung in der Literatur zuvorzukommen. Leben verweist dann auf die Machart, auf die Bedingungen und den Ablauf des Gemachtwerdens von Literatur. Durch Lebensverzicht, der freilich nicht mehr als Verzicht erscheint, bildet sich ein magischer Erzählraum. Das Private stellt in diesem Blickwinkel keinen Verlust dar, es ist das, was nicht gesehen und gehört werden kann. Gelebt wird nur, damit geschrieben werden kann. Privatsprache kennt keinen Einschnitt, keine Pausen; sie muß sich ausufernd behaupten und zu ihrer eigenen Konvention werden.

Der Feminismus zog in den achtziger Jahren eine Aufwertung des Privaten zum Politischen nach sich. Entsprechend nennt Bodo Hell Mayröckers Literatur eine heilige Schrift im weltlichen Verständnis: Leben und Schreibexistenz sind darin deckungsgleich, und Literatur ist die Mitschrift eines Lebens, das hinter der Biographie verschwindet. Autobiographie und Pseudo-Autobiographie fallen zusammen und dünnen die Biographie aus. Die Lust des Schreibens und die Lust des Gelesenwerdens brechen völlig auseinander. Weil jeder Satz einer ersten und letzten Ohrenbeichte gleichkommt, fordert er eine Entscheidung über Leben und Tod. Mayröckers Sprache meint keine Erfahrung mehr, die von Mund zu Mund geht; sie erzählt nicht.

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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)

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