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Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace
[Inhalt]

 

11) Erzählung, Intertextualität, Autorenfilm

Steckt nicht im Kern des Erzählens etwas, das der Dekonstruktion – dem Abbau von Hierarchien – sehr nahe kommt? Bedeutet es nicht ein Heraustreten aus der Geschichte, Abstandschaffen, das – wie die Technik des Dorf-Tratsches – die Möglichkeit zur Wiedereingliederung nach sich zieht? Erzählen meint nicht Labor und bezeichnet kein Experiment; die Erzähler sind keine Helden, denn, wie der Chansonnier Herman van Veen singt, echte Helden erzählen selten.

Mit Franz Innerhofer kehrte im Österreich der siebziger Jahre ein Erzähler in die Literatur ein, der die Subjektivität und die persönliche Auffassung als Voraussetzung für Erinnerung vorstellte. Nach der Sprachkritik der Konkreten Poesie drängte eine erneute Suche nach der verlorenen Zeit und die Frage nach der Geschichtslosigkeit des Experiments in die literarische Debatte. Innerhofer schilderte das Leiden unter der Wirklichkeit des bäuerlichen Alltags der fünfziger und sechziger Jahre. Seine Romane bezogen sich auf das Proustsche Unternehmen und entstanden aus einem ähnlichen autobiographischen Erzähl-Verfahren, mit dem heute Naturwissenschafter ihre Ansichten über die großen Technik-Experimente der letzten Jahrzehnte behandeln.

Im Experiment verselbständigen sich die Mitteilungen über die Welt, verringern sie sich zum Material für Versuchsanordnungen. Sprache wird zum Sprachmaterial und das Schreiben von Literatur zur ausschließlichen Arbeit am Sprachspiel. Alles wird zur Literatur, die Welt zur Kolonie künstlerischer Experimente, in der alles passiert und nichts auf Verständigung angelegt ist.

Innerhofers Frage nach der sozialen Bedingtheit der großen Wörter, sein Weg zur Autorschaft, seine Entwicklung vom sprachlosen Leibeigenen zum Schriftsteller, richtete die Proustsche Suche auf eine zukünftige, zu erreichende Zeit aus. Der Erfolg solchen Erzählens begründete sich in der geglückten Nachahmung; so wurde es, da es Kunstanspruch stellte, zum gegenkolonisatorischen Akt. Es war nicht nur ein Erzählen, das sich ein Ausgeschlossener angeeignet hatte, sondern eines, das den Kunstanspruch verschob, insofern es seine territorialen Ansprüche offenlegte. Was Innerhofer fand, war die totale Negativität. Gleichwohl blieb er Prousts Hinwendung zur Kunst des Erinnerns verpflichtet, etwas, das ihn dazu bewog, das Zukünftige nicht zu verurteilen.

Die Romane Innerhofers erzählen, wie Sprachlosigkeit entsteht und wie man darin befangen bleibt. Die patriarchalen Peiniger teilen Befehle aus, und wenn sie mit dem Befehlen aufhören, prügeln sie. Sein Held Holl entschließt sich mit siebzehn, sich von zu Hause abzusetzen und bei einem Schmied in die Lehre zu gehen; über den zweiten Bildungsweg gelangt er dann an die Universität und studiert Germanistik. Eine Erzählung Innerhofers heißt Der Emporkömmling; seine Geschichte endet in Ernüchterung und Enttäuschung. Die Entwicklung, schreibt Wendelin Schmidt-Dengler, ist bei Innerhofer bedingt durch die Verweigerung; Verweigerung ist aber nicht nur die Strategie des Romanhelden, um der Unterdrückung zu entkommen, sondern wird auch auf die Betrachtung der Welt ausgeweitet. Die Menschen sind gegen die Gesetze der Natur konstruiert, es gibt keine Harmonie und keine Naturschönheit. Die Vertreibung der Natürlichkeit erscheint als die Voraussetzung für ein solches Erzählen, die Mobilisierung der Künstlichkeit gegen die Natürlichkeit. Was in einer Welt der fortdauernden Unterdrückung und Katastrophe als offene Möglichkeit bleibt, ist die Befreiung im Akt des Schreibens, eines Schreibens, das wiederum Verweigerung einer eingeforderten sozialen Rolle bedeutet.

Die Literaturwelt feierte 1974 Innerhofers schonungsloses Erinnern und bedachte es mit dem Schauder über die beschriebene Brutalität des Bauern- und Arbeiterlebens. Mit Franz Innerhofer war der echte Zeuge in das literarische Feld eingekehrt, dessen Berufsmerkmal nicht die Schreibmaschine, sondern der von einer Kreissäge verstümmelte Finger war. Das autobiographische Phantasma seiner Romane deutete auch die Begrenzheit der Möglichkeit des Weiterschreibens an. Im Milieu der Literatur angekommen, kann Schreiben aus Verweigerung nur noch Mitschreiben bedeuten, und als Mitschreiben nur noch Lebensverweigerung, eine Konsequenz, die paradoxerweise nicht mehr Negativität voraussetzt, sondern Überhöhung nach sich zieht.

Innerhofers politisches Erzählen versuchte sich der Vereinnahmung durch Politik zu entziehen. Franz Innerhofer erinnert an den kritischen, organischen Katalytiker, an eine Person, die durch ihre Anwesenheit etwas verändert, ohne selbst diese Veränderung mitzumachen, eine Person, die kein Gebiet erobern will, sondern aus dem Mittendrin beobachtet, wie sich die Dinge weiterentwickeln.

In den siebziger Jahren übte Innerhofer auf das literarische wie auf das Milieu der studentischen Linken die Anziehung des Exotischen aus. Damals ging die Entstehung des linken Terrorismus, eine Folge der Militarisierung von Teilen der Achtundsechziger-Bewegung, mit der Aufrüstung der europäischen Demokratien zu Kontrollgesellschaften einher. Das linke Literaturmilieu verlangte, den Avantgardebegriff entlang der Stadtguerilla-Konzepte der RAF und der Brigate Rosse zu politisieren. Ihrerseits nahmen dann die Achtundsiebziger vorweg, was Umberto Eco die semiotische Guerilla nennen sollte, eine Avantgarde, die sich als Kommunikations- und Informationsguerilla versteht und Piraterie, Randale und Störaktionen in Medien betreibt, ebenso wie Hacker und Computerfreaks Anti-Copyright-Systeme verbreiten, Undergroundradios betreiben, Fanzines und Zeitschriften herausgeben werden. Auch die Achtundsiebziger hatten die Schaffung von Gegenöffentlichkeit zum Programm erhoben, einen umfassenden Mediengebrauch ausgerufen und die etablierten Institutionen der Literatur mit subversiven Aktionen gestört. Literaturzeitungen, Dokumente der Videobewegung und die damals aufgebauten Offkinos sind davon verbliebene Spuren.

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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)

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