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Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace
[Inhalt]

 

5) Generation X, Cyberpunk, Club

Der Cyberspace schafft nicht nur eine andere Vorstellung von Räumlichkeit, indem er für online-Partner Distanzen von Tausenden von Kilometern aufhebt, sondern auch, was J. T. Fraser das Grauwerden des Kalenders nennt: Im Cyberspace besteht keine Abgrenzung zwischen der Tageszeit als der Zeit für Arbeit, Aktion, Reden und Denken und der Nachtzeit als der Zeit für den Schlaf, die Ruhe und Stille; in ihm verschwindet die Unterscheidung zwischen Wochentagen und Jahreszeiten.

So entspricht die Cyberspace-Raumzeit nicht mehr unserer herkömmlichen Erfahrung, wie sich Öffentlichkeit herstellt. Der Kontaktverlust mit der wirklichen Welt, ihren Räumen und ihren Zeiten, begünstigt ein zunehmend um sich greifendes Chaos, und die Anonymität und Körperlosigkeit legen ein Ende der großen politischen Optionen nahe. Hingegen sehen sich soziale Gruppen, die Anerkennung für ihr Anderssein fordern, aufgewertet; ethnische Minderheiten, Schwule und Lesben, Alleinerzieher, Drogensüchtige, Alkoholiker, Sadomasochisten, Aidsinfizierte oder Behinderte finden im Cyberspace eine Matrix für ihre Anliegen. Rushdies Mischmasch der Kulturen findet im Cyberspace eine technische Entsprechung.

Erst das WorldWideWeb, eine multimediale benutzerfreundliche Computeroberfläche, machte Anfang der neunziger Jahre das Internet populär. Noch bevor durch diese zufällige Erfindung im Schweizer Forschungszentrum CERN das massenweise Einloggen in den Cyberspace begann, war die Debatte um einen gegenwärtigen Kulturwandel aufgetaucht, in der zunächst ein neuer Generationenkonflikt im Vordergrund stand. Douglas Couplands Roman Generation X stiftete eine Auseinandersetzung, von der man gemeint hatte, die Revolte von 1968 hätte sie endgültig beendet.

Dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte 1989 die weltweite Entwicklung eines telematischen Kapitalismus. Der Impuls zur Globalisierung der Märkte und zur Deregulierung der nationalen Gesellschaften ging von einer Politik aus, die sich nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes ihrer sozialen und kulturellen Verpflichtungen zu entledigen suchte. Damit brach auch die Generationenordnung der Nachkriegszeit zusammen.

1968 hatte den Wiederanschluß an den Modernismus bedeutet, sodaß ihre Protagonisten nicht nur als eine neue Generation erschienen, sondern zugleich auch als Verkörperung eines weltgeschichtlichen Ablaufs in Richtung einer aufgeklärten Existenz. Auch die künstlerische Moderne der sechziger Jahre hatte ihre Normen als Muster zukünftiger Gesellschaftsordnung beansprucht, als ein Muster, das von den Nachfolgenden zwar weiterentwickelt, nicht aber mehr verändert werden sollte. Die Achtundsechziger schienen die von Brüchen gekennzeichneten Generationenfolgen beendet zu haben.

Das Bild einer Generation X, wie es Coupland zeichnet, fand bald seine Gleichsetzung mit der Altersgruppe der Neunundachtziger, die sich, statt um die Erneuerung der gesellschaftlichen Zentren zu sorgen, ins Privatleben zurückzog, die elterliche Wohnung mehr als die Eroberung der politischen Macht schätzte und die praktische, handlungsorientierte Vernunft vor die Entwicklung neuer, solidarischer Gesellschaftsentwürfe stellte. Als schließlich das Gerücht um eine Digital Generation auftauchte, fand sich die Debatte um einen neuen Generationenkonflikt angereichert. Die Techno Generation behielt zwar Eigenschaften der Neunundachtziger bei, hatte aber als Network Generation die anfängliche Unsicherheit durch Selbstbewußtsein, egomanische Coolness und Lust an der Leistung ausgetauscht.

Mit der explosionsartigen Verbreitung der Netzwerkmedien und Multimediasysteme wurde offenkundig, wie eine mit Medien aufgewachsene Generation ihre Denklogik verändert hatte. Newsgroups, E-Mail, Chatbox, Hypertexte sind Diskursformen, die Wissensherstellung vom klassischen Autor abkoppeln. Sie übertragen sie an ein nicht vollständig analysiertes System, das Wissensordnungen erzeugt, die niemand deutlich plant. Das System Netzwerk ähnelt der unsichtbaren Hand namens Markt in der ökonomischen Welt. Anstelle von Büchern entstehen selbstorganisierte Fragment-Gefüge, und letztlich bringen die neuen Medien jene Journal- und Artikelpraxis zur vollen Entwicklung, die die Naturwissenschaft und der Journalismus seit über hundert Jahren praktizieren.

In den elektronischen Netzwerken herrscht nicht mehr die Autoren-Vernunft vor, und Praxis erscheint nicht mehr als Umsetzung einer zuvor erarbeiteten Theorie. Für die neuen Pragmatiker baut Denken Informationen in ein umfassendes Handeln ein, das sich weder als Verwirklichung eines Ideenstreites sieht, noch Theorien feindlich gegenübersteht. Es ist die Vernunft der praktischen Ökonomie, die sich in der Informationsgesellschaft breitmacht, eine Vernunft, in der sich Spontaneität, stilles und analytisches Wissen vermischen. Für Norbert Bolz ist der Einzelne in solchen Netzwerken mehr Schaltmoment als federführender Autor. Wo nicht mehr die Vernunft der Buchkultur regiert, wo also der Bildungshumanismus durch Information und umfassendes Agieren ersetzt wird, steht die Alltagsbewältigung vor dem großen gesellschaftlichen Entwurf.

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Das vollständige Kapitel
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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)

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