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Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace
[Inhalt]

 

4) Copyright

Die neuen elektronischen Medien ermöglichen die Hinwendung zum Handwerk und zum Prozeßhaften. Das Ausloten technischer Möglichkeiten erfordert Basteln, und dies wiederum verlangt Techniker, die die Fähigkeit besitzen, mit anderen in einer Gruppenarbeit zu experimentieren. Basteln bedeutet auch, daß die Entwicklung und die Erkenntnisse, die eine Entwicklung liefert, womöglich interessanter sind als das Endergebnis, das Erreichen eines vorgegebenen Zieles.

Während in der Alltagswelt tradierte Lebensformen zerfallen, macht die Kulturkritik die Angst der Autoren vor dem Verlust des Copyrights fest. Dabei hatten viele Autoren den Computer als Textverarbeitungsgerät begrüßt; und noch die Kritik an der Moderne durch die Postmoderne war in den achtziger Jahren als literarische Bewegung aufgetreten und hatte den Widerstreit gegen den Glauben an eine einfache Vernunft, an Gleichförmigkeit, Standardisierung und Massenproduktion in sich getragen. Und gewiß werden heute mehr Bücher gedruckt, und LeserInnen sind im Computerzeitalter gefragter denn je.

Was meint also die Angst vor dem Verlust des Copyrights? Der Cyberspace löst die Vorstellung eines geschlossenen unveränderbaren Werkes auf, und so mutiert in der Netzwerkkultur auch das Autorenbild, und im übrigen in eine Richtung, die Vorbilder in der historischen Avantgarde kennt. In den Debatten um eine Rechtschreibreform schimmert durch, warum der Wandel zur Informationsgesellschaft von vielen Autoren als so katastrophal empfunden wird: Mit ihrem aristokratischen Vorrecht auf Sprache macht die Computerkultur Schluß. Zuvor wurden Texte endgültig gespeichert; sie konnten zwar kopiert werden, Veränderungen waren jedoch nur zwischen den Zeilen und am Rand möglich. Man konnte Texte zerstören oder durchstreichen, die Eingriffe blieben aber immer kenntlich.

In der Buchkultur sind die Autoren Individuen und keine anonymen Konstrukteure; Computerspeicher fixieren hingegen Informationen nur virtuell, sind also grundsätzlich nur der Möglichkeit nach vorhanden und nicht endgültig. In der Buchkultur besitzt Ernst Jandl als Sprachfragmentierer, der Sprache durch Regelbruch anreichert, ein verbrieftes Recht darauf, das wiederum ein Recht auf Interpretation nach sich zieht. In der Computerkultur hingegen ersteht konkrete Poesie im Tratsch unzähliger Benutzer. Der Computer legt offen, daß die Dauerhaftigkeit von Information nur eine von vielen Möglichkeiten darstellt, deren Wahrnehmung bloß geschieht, weil ein kanonisierter Schutz vor Überschreibung besteht. Computertechnik folgt dem Prinzip der andauernden Erneuerung. In der Informationsgesellschaft wird das Schaffen, Übermitteln, Speichern, Verarbeiten und Ändern von Information zur mächtigen Wirtschaftsbranche. Computerumgebungen tendieren auch dazu, immer kleiner zu werden und letztlich hinter der Oberfläche zu verschwinden, um überall eingesetzt werden zu können. Sie schmiegen sich immer mehr den Sinnes- und Bewegungsorganen ihrer Benutzer an, bis zur Vorstellung von technischen Implantaten im Gehirn.

In Zeros and Ones nennt Sadie Plant das Netz eine postkoloniale Matrix und besetzt es weiblich, weil Frauen mit unstrukturierten Informationen besser umgingen. Sie erinnert an Ada Lovelace und Charles Babbage, die im 19. Jahrhundert die erste programmierbare Rechenmaschine entwickelt und deren Form einem Webstuhl nachempfunden hatten. Als Programmiererinnen, Telefonistinnen und Sekretärinnen seien Frauen der Technologie immer schon näher gewesen und hätten dabei selbstorganisierte Netzwerke unterhalb der Kommandoebene bilden müssen. Die Struktur des Internets gründe sich auf solch auftragsloser Kontaktaufnahme. Während Männer in den Machtpositionen informiert wurden, mußten Frauen improvisieren und könnten sich daher nunmehr im Internet, das voll ist von Informationen ohne exakte Quellenangabe, leichter zurechtfinden.

Der Verlust der Originalität im Netz entspreche dem Ende männlichen Schöpferwahns. Als der Ort lustvollen Kopierens mache das Internet Schluß mit dem Copyright, das für Produkte von Frauen wie die mit dem Webstuhl hergestellte Kleidung ohnehin nie gegolten hatte. Mit Simulation, Imitation, mit Lügen und Intrigen breche die männliche Originalität zusammen, und mit der Schaffung von multiplen Identitäten im Netz würden auch die Grenzen des Geschlechtes gesprengt.

Das Kapitel
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Mit freundlicher Genehmigung des Haymonverlages
Aus: Walter Grond Der Erzähler und der Cyberspace, Essays, Haymonverlag
(Hardcover mit Schutzumschlag / ATS 291,00 / ISBN 3-85218-294-8)

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