# 045
[13•01]

[verlag]

[house] über das fremde & die peripherie


Die Informationsgesellschaft
und die Krise der Universität

Von Wolf Rauch

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...Die Krise, mit der sich die Universitäten derzeit konfrontiert sehen, kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden, weil sie Ausdruck eines tiefen kulturellen Umbruches ist: Der Ablösung unserer Schriftkultur durch eine Multi-Media-Kultur.
Eine vergleichbare Entwicklung hat es vor ca. 2 500 Jahren schon einmal gegeben, als die heutige Schriftkultur die damals vorherrschende Sprechkultur abgelöst hat: Etwa um das Jahr 500 v. Chr. wurde im antiken Griechenland die Schrift zu einem allgemein gebräuchlichen Kulturgut (bei uns in Mitteleuropa wurde diese Entwicklung erst um 1200 nachvollzogen). Damit wurde das vorher gesellschaftlich dominierende Kommunikationsmittel, die gesprochene Sprache, durch eine neue Form, die schriftliche Aufzeichnung, abgelöst.
Diese Entwicklung ging sehr rasch vor sich: Es benötigte nur zwei Generationen, um das primäre Kommunikationsmittel der Gesellschaft durch ein neues zu ersetzen. An den griechischen Philosophen läßt sich das schön zeigen (2): Sokrates war noch fest in der Sprechkultur verankert. Er schrieb - so weit wir wissen - keine Zeile. Sein Schüler Platon schreibt schon. Er verwendet dazu allerdings die der Sprechkultur entlehnte Form des Dialogs. Platons Schüler Aristoteles wiederum verwendet Schrift und Buch bereits als selbstverständliche Werkzeuge.

Daß der Wechsel vom mündlich tradierten Wissen zur schriftlichen Aufzeichnung eine soziale Revolution darstellte, war den Zeitgenossen durchaus bewußt. Gerade Sokrates und Platon haben diese Entwicklung heftig kritisiert und vor ihr gewarnt. So läßt etwa Platon den Sokrates im Dialog "Phaidros" sagen, daß wir durch die Schrift das Gedächtnis vernachlässigen würden und dann zwar vielerlei wüßten, aber nicht die wesentlichen Zusammenhänge: "doxosophoi", Scheingebildete, würden wir werden, anstatt "sophoi", Weise.
Platon weist auch darauf hin, daß beim geschriebenen Wort die Gefahr von Mißbrauch und Mißverstehen viel größer wäre, als beim gesprochenen, weil man als schreibender Autor, anders als ein Redner, weder sein Publikum kenne, noch die konkrete Situation des Lesenden.
Die in unseren Tagen ablaufende Ablösung der Schriftkultur durch eine multi-mediale Informationskultur birgt ähnliche Gefahren. So wie der Verlust des mündlich tradierten Wissens in der Schriftkultur schneller und gründlicher eingetreten ist, als selbst die pessimistischsten Kritiker es geahnt haben, so könnten wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch Methoden des Wissenserwerbes und der Wissensabsicherung, die mit der Schriftkultur eng verbunden sind, in der multi-medialen Informationsgesellschaft rasch verloren gehen.

Damit ist keineswegs nur die Form der Aufzeichnungen gemeint. Das Wesen der Schriftkultur dringt viel tiefer: Unsere Universitäten, unsere Wissenschaft, ja das Konzept der Rationalität selbst sind aufs engste mit der Schriftkultur verbunden:
- Die lineare, sequentielle Argumentation und Beweisführung,
- der Zwang zur Verschriftlichung von Aussagen, um diese nachprüfbar bzw. widerlegbar zu machen,
- die Akkumulation von Wissen über Verweise und Zitate und damit auch das Herausbilden von Schulen und Paradigmen,
all das sind Wesenselemente unseres Denkens und der Wissenschaft und eng mit der Schrift als Kommunikationsmittel verbunden.

Diese Abhängigkeit unserer fundamentalen Denkstrukturen von Schrift und Buch trifft übrigens nicht nur die Wissenschaft, sondern gilt auch für viele andere wichtige gesellschaftliche Bereiche: Die großen monotheistischen Weltreligionen sind durch Bücher geprägt, die Rechtsprechung folgt der Auslegung von Schriften, die Kunstformen von Literatur und Musik sind von sequentiellen Texten bzw. Noten geprägt.

Wenn die Einführung der Informationsgesellschaft ähnlich verlaufen wird, wie seinerzeit die Ablösung der Sprechkultur durch die Schriftkultur, dann könnten die Fundamente unserer zweitausendjährigen Wissenschaft und unsere fast tausendjährige Universitätstradition binnen ein bis zwei Generationen verloren gehen. Es könnte der heutigen Wissenschaft ergehen, wie den mündlich tradierten Sagen, Mythen und Märchen: Sie könnte nur in Bruchstücken, verzerrt oder aus dem Zusammenhang gerissen in die neuen Kommunikationsformen hinübergerettet werden.

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Portrait Wolf Rauch [HIER]
Institut für Informationswissenschaft [HIER]



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