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[verlag][house] über das fremde & die peripherieDie
Informationsgesellschaft Von Wolf
Rauch |
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...Die Krise, mit der sich die Universitäten derzeit konfrontiert sehen, kann in
ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden, weil sie Ausdruck eines tiefen kulturellen
Umbruches ist: Der Ablösung unserer Schriftkultur durch eine Multi-Media-Kultur. Eine vergleichbare Entwicklung hat es vor ca. 2 500 Jahren schon einmal gegeben, als die heutige Schriftkultur die damals vorherrschende Sprechkultur abgelöst hat: Etwa um das Jahr 500 v. Chr. wurde im antiken Griechenland die Schrift zu einem allgemein gebräuchlichen Kulturgut (bei uns in Mitteleuropa wurde diese Entwicklung erst um 1200 nachvollzogen). Damit wurde das vorher gesellschaftlich dominierende Kommunikationsmittel, die gesprochene Sprache, durch eine neue Form, die schriftliche Aufzeichnung, abgelöst. Diese Entwicklung ging sehr rasch vor sich: Es benötigte nur zwei Generationen, um das primäre Kommunikationsmittel der Gesellschaft durch ein neues zu ersetzen. An den griechischen Philosophen läßt sich das schön zeigen (2): Sokrates war noch fest in der Sprechkultur verankert. Er schrieb - so weit wir wissen - keine Zeile. Sein Schüler Platon schreibt schon. Er verwendet dazu allerdings die der Sprechkultur entlehnte Form des Dialogs. Platons Schüler Aristoteles wiederum verwendet Schrift und Buch bereits als selbstverständliche Werkzeuge. Daß der Wechsel vom
mündlich tradierten Wissen zur schriftlichen Aufzeichnung eine soziale Revolution
darstellte, war den Zeitgenossen durchaus bewußt. Gerade Sokrates und Platon haben diese
Entwicklung heftig kritisiert und vor ihr gewarnt. So läßt etwa Platon den Sokrates im
Dialog "Phaidros" sagen, daß wir durch die Schrift das Gedächtnis
vernachlässigen würden und dann zwar vielerlei wüßten, aber nicht die wesentlichen
Zusammenhänge: "doxosophoi", Scheingebildete, würden wir werden, anstatt
"sophoi", Weise. Damit ist keineswegs nur die Form der Aufzeichnungen
gemeint. Das Wesen der Schriftkultur dringt viel tiefer: Unsere Universitäten, unsere
Wissenschaft, ja das Konzept der Rationalität selbst sind aufs engste mit der
Schriftkultur verbunden: Diese Abhängigkeit unserer fundamentalen Denkstrukturen von Schrift und Buch trifft übrigens nicht nur die Wissenschaft, sondern gilt auch für viele andere wichtige gesellschaftliche Bereiche: Die großen monotheistischen Weltreligionen sind durch Bücher geprägt, die Rechtsprechung folgt der Auslegung von Schriften, die Kunstformen von Literatur und Musik sind von sequentiellen Texten bzw. Noten geprägt. Wenn die Einführung der Informationsgesellschaft ähnlich verlaufen wird, wie seinerzeit die Ablösung der Sprechkultur durch die Schriftkultur, dann könnten die Fundamente unserer zweitausendjährigen Wissenschaft und unsere fast tausendjährige Universitätstradition binnen ein bis zwei Generationen verloren gehen. Es könnte der heutigen Wissenschaft ergehen, wie den mündlich tradierten Sagen, Mythen und Märchen: Sie könnte nur in Bruchstücken, verzerrt oder aus dem Zusammenhang gerissen in die neuen Kommunikationsformen hinübergerettet werden. ... Portrait Wolf Rauch [HIER] |
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