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Zuflucht
Autoren im Exil

languages: english
 

Dolmetsch: Magda Assem


Esam Abou Seif
im Gespräch mit Walter Grond

WALTER GROND: Als Tourist ist mir die außerordentliche Gastfreundschaft in Ägypten aufgefallen. Spielt die Gastfreundschaft in der Selbstwahrnehmung eines Ägypters eine Rolle?

ESAM ABOU SEIF: Gastfreundschaft ist ein Teil der arabisch-islamischen Kultur, die es in Ägypten gibt, und ist auch eine Säule der alten landwirtschaftlichen Kultur. In Ägypten haben sich beide miteinander verflochten, dies zusätzlich zur Kultur der Beduinen, und das führte zu dieser besonderen Gastfreundschaft der Ägypter. Wenn Sie Ägypten kennen, werden Sie erfahren haben, daß das ägyptische Volk selbst sehr sehr arm ist, mit sehr viel Alltagszwängen und -problemen zu kämpfen hat, und trotzdem sind gerade diese menschlichen Züge sehr weit verbreitet. Ich meine, daß man in Ägypten das Menschliche auch deswegen so besonders pflegt, um die Armut zu verdrängen. Mit der Gastfreundschaft verteidigen sich die Ägypter gegen ihren schweren Alltag.

GROND: Waren Sie vor Ihrer Flucht aus Ägypten schon in Europa gewesen?

SEIF: Nein. Das war das erste Mal, das ich überhaupt überlegte zu verreisen.

GROND: Haben Sie bei Ihrer Ankunft einen Kulturschock erlebt?

SEIF: Nein, aber das hat einen ganz einfachen Grund. Ich gehörte zu den gebildeten Menschen in Ägypten und wußte wahrscheinlich vor meiner Ankunft mehr über Europa als so mancher Europäer.

GROND: Was fiel Ihnen am europäischen Leben zuallererst auf?

SEIF: Was mich sehr verwunderte und was ich inzwischen auch zu bewundern lernte, ist diese genaue, praktische Umsetzung einer Theorie. Zum Beispiel die Städteplanung; es hat mich verwundert, daß hier in einem Bezirk alle Häuser gleich aussehen, in jedem Bezirk die Fassaden die fast gleichen Farben haben, die Häuser ähnlich hoch sind, und kein Haus aus dem Rahmen fällt. Genauso ist das mit den Straßen, und so hat jeder Bezirk einen eigenen Typus und unterscheidet sich vom nächsten, aber innerhalb des Bezirkes wird darauf geachtet, daß der Typ gleich bleibt. Die Symmetrie und das Zusammenspiel der Bauten hat mir Bewunderung gekostet.

GROND: Der materielle Lebensstandard wird Ihnen aufgefallen sein.

SEIF: Mich hat verwundert, wie sehr sich der hohe Lebensstandard im Alltagsverhalten der Menschen widerspiegelt. Ich konnte sehen, daß sich die Leute besser benehmen, ruhiger sind, miteinander ruhiger umgehen als in Ländern der Dritten Welt, wo die Menschen in der Regel sehr impulsiv und sehr aggressiv sind. Ein weiter wichtiger Punkt ist die Demokratie, die nicht nur blanke Theorie ist, sondern praktisch gelebt wird. Ich bewundere das immer wieder, daß bei Wahlen die Meinung öffentlich geäußert werden kann, daß sogar bei den Präsidentenwahlen mehr als ein Kandidat antreten darf, daß sich die Kandidaten persönlich und politisch attackieren dürfen, daß die Kritiker von Politikern nicht sofort verhaftet werden, wie das anderswo Sitte ist. Ich bin mir schon bewußt, daß es da Mißstände gibt, aber trotzdem erlebe ich hier eine Demokratie, die ich nur theoretisch kannte, praktisch geübt.

GROND: Sind Sie inzwischen in Österreich herumgereist?

SEIF: Ja, ich machte schon einige Reisen. Ich bewundere die ideale Ausnützung der ganzen Fläche Österreichs. Ich weiß nicht, ob das vorgegeben wird durch Gesetze, die dem Volk aufgezwungen werden, oder ob das Volk selbst so vernünftig mit dem Land umgeht. Aber es ist mir aufgefallen, daß hier sehr genau geplant wird, wo Grünflächen bleiben und wo gebaut werden darf. In Ägypten ist das ganz anders, da ist es ganz leicht, ein absolut häßliches Gebäude an den Meeresstrand hinzustellen, niemand würde dagegen etwas sagen, geschweige unternehmen. Mir fällt auf, das die Menschen hier die Natur respektieren. Was mir auch ganz neu war, ist die Existenz einer Zivilgesellschaft. Also daß es da zivile Organisationen gibt, und das all diese Vereine frei leben können. Man kann dort Mitglied werden, und es steht diesen Mitgliedern frei, sich überall und immer zu treffen. Es steht ihnen wie dem PEN-Club frei, Leute zu unterstützen, und es ist sogar so, daß die Regierung selbst diese Vereine unterstützt. In Ägypten wäre das undenkbar. Da können Sie zwar einen Verein gründen, aber dann werden Sie sofort observiert und mit Klagen überschüttet, aufgrund von Oppositionstätigkeit und mit der Begründung, Verrat am Heimatland zu üben und vom Ausland subventioniert zu werden, verhaftet usw.

GROND: Nun existieren ja mannigfaltige europäische Projektionen, was den Orient betrifft, und die meisten davon sind kolonial geprägt. Diese Projektionen betreffen auch das Selbstbild der Europäer. Während sich die Europäer selbst für liberal, vernünftig, tolerant usw. halten, halten sie die Orientalen für chaotisch, totalitär, pervers usw. Entdecken Sie hier in Europa Momente, die solche Gegenüberstellungen in Frage stellen?

SEIF: Der Machismo fällt mir ein.

GROND: Als europäisches Signum?

SEIF: Als Signum Europas wie des Orients. Ich hatte immer den Eindruck von der westlichen Kultur, daß die Frau hier viel freier ist, emanzipierter. Hier im Alltag fiel mir aber auf, daß die Frauen nicht so frei sind, und daß das Leben hier in Europa auch eine sehr männlich geprägte Kultur ist.

GROND: Finden Sie in Wien orientalische Momente?

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