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Zuflucht
Autoren im Exil




Zum Gerücht einer
zweiten Vertreibung

Von Walter Grond

Meine Mitarbeit am Aufbau einer österreichischen Partnerschaft am "Netzwerk der Zufluchtstädte" geht auf einen Anruf eines österreichischen Kulturbeamten zurück. Ministerialrat Norbert Riedl lud mich 1995 ein, in Straßburg am Kongreß des "Internationalen Schriftstellerparlamentes" teilzunehmen, das dieses Netzwerk damals gerade im Begriff war zu gründen. Für die Frage, ob Österreich gerade dabei ist, den aus seiner Heimat vertriebenen Autor Yodgor Obid ein zweites Mal zu vertreiben, verbirgt sich in dieser Einladung eines österreichischen Kulturbeamten ein nicht unwesentliches Detail. Waren nämlich die aus Nazi-Deutschland flüchtenden Intellektuellen hauptsächlich privat aufgenommen worden, ist das "Netzwerk der Zufluchtsstädte" ein kulturpolitisches Projekt. Das ist höchst positiv und macht zugleich die organisatorische Bewältigung doppelt kompliziert. Der höchst politische Anspruch dieser Initiative ist es nämlich, mit der Rettung einzelner Autoren zur Rettung von gefährdetem kulturellen Gedächtnis beizutragen. Das höchst private Problem der einzelnen Autoren im "Netzwerk der Zufluchsstädte" ist es, wirtschaftlich in ihren Gastländern zu überleben. Was hiemit die Politik durch die Finanzierung von Stipendien an verfolgte Autoren ermöglicht, kann in der Praxis nur funktionieren, wenn zum einen die Gesellschaft die exilierten Autoren tatsächlich aufnimmt, zum anderen der literarische und mediale Betrieb diese neuen "Mitarbeiter" als Stifter von Öffentlichkeit akzeptieren.

Franz-Paul Hammling aus Götzis, den Wole Soyinka per Brief aus dem "Netzwerk der Zufluchsstädte" verweist, ist einer der korrektesten und nachdenklichsten Mitarbeiter, die ich im "Netzwerk der Zufluchtsstädte" kenne. Er hat es ermöglicht, daß der usbekische Autor Yodgor Obid heute ein menschenwürdiges Leben führt, und hat es anscheinend gewagt, den Präsidenten des Schriftstellerparlamentes ratlos zu fragen, wie es finanziell mit Yodgor Obid weitergehen soll. Auch hinter dieser Bemerkung verbirgt sich ein wichtiges Detail. Die österreichische Partnerschaft entschied sich nämlich im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Städten, trotz vieler ungelöster Fragen sofort tHilfe zu leisten. Sofort Autoren aufzunehmen, weil bedrohte Autoren sofort Hilfe brauchen. Die Differenzen, die um die Struktur der internationalen Organisation dieses Netzwerkes bestehen, sollten also nicht die Aufnahme von Autoren verhindern. Der tragische Zynismus im Brief Wole Soyinkas an Franz Paul Hammling besteht darin, daß nur die kulturpolitische Konstruktion in Österreich den Aufenthalt Yodgor Obids so weitgehend reibungslos ermöglicht hat. Genau diese Konstruktion ist aber einigen Funktionären in Brüssel ein Dorn im Auge. Während viele europäischen Städte dem Netzwerk der Zufluchtsstädte bis heute nicht beigetreten sind, weil sie Einwände gegen verschiedene Vertragspunkte haben, hat es die österreichische Lösung bisher immerhin ermöglicht, schnell und unbürokratisch zu helfen. So unterzeichnete der Staatssekretär für Kultur eine Teilnehmeverpflichtung der vier Städte bis 2001, und zahlt das Bundeskanzleramt für Graz, Götzis, Wien und Salzburg die Organisationsgebühren nach Brüssel. Die Auseinandersetzung bleibt, welchen Buhmann man immer suchen wird: die Frage, ob ein Parlament der Autoren und Intellektuellen zentralistisch mit seinen Partnern verfahren darf oder das "Netzwerk der Zufluchtsstädte" nicht vielmehr auf subsidiärer Basis funktionieren muß. Wenn Wole Soyinka Götzis als Partnerstadt von sich weist, vergißt er, unter welchen Umständen der usbekische Dichter Yodgor Obid nach Österreich kam. Obid kam nach Österreich auf einen Aufschrei des russischen PEN-Präsidenten Alexander Tatschenkovs hin, der beklagte, daß eine Einreise des höchst bedrohten Dichters nach Spanien und den Vereinigten Staaten an den dortigen Bürokratien gescheitert war. Obid kam nach Österreich, weil hier einzelne Menschen nicht wenig riskierten, und hat in Österreich inzwischen politisches Asyl auf unbestimmte Zeit zugesprochen bekommen.

Ich halte das "Netzwerk der Zufluchtsstädte" nachwie vor für eines der wichtigsten kulturpolitischen Projekte der Gegenwart. Es wird uns allerdings auch nicht ersparen, uns zu fragen, was dieses Europa sein soll. Dzevad Karahasan, der Exilant aus Sarajevo, konstatiert Westeuropa eine Art Rassismus, der sukzessive nach dem Osten und Süden weitergereich wird: die Franzosen halten die Deutschen für minderwertig, die Deutschen die Österreicher, die Österreicher die Slowenen, die Slowenen die Bosnier, für die Bosnier die Albaner, die Albaner ich weiß nicht. Von solchen Vorurteilen ist auch das Internationale Schriftstellerparlament nicht frei. Wenn die Anwesenheit von Autoren anderer Kulturen dazu beiträgt, diesen groben Unsinn zu thematisieren, ist einiges getan.

Ich kenne die Situation in Graz, Wien und Götzis und halte die Offenheit dieser Partnerstädte gegenüber dem Schriftstellerparlament, aber auch gegenüber anderen Organisationen wie dem "Writer in prison-Komitee" des PEN, das schon lange über ein weltweites Informationsnetz und Erfahrung mit verfolgten Autoren verfügt, für richtig.

Aus den Erfahrungen der ersten Jahre gilt es aus meiner Sicht zu schließen, daß Integration von Autoren aus anderen Kulturen nur möglich ist, wenn man produktive Arbeitsverhältnisse schafft. Stipendien können nur Hilfe zum Einstieg in ein neues Leben sein. Ein neues Leben zu führen, bedarf öffentlicher wie privater Unterstützung, aber nicht zuletzt des Willens der Gäste. Den Nachteil, den sie gegenüber österreichischen Autoren haben, kann man mildern, aber ich halte es nicht für produktiv, darüber aufzuhören, sich zu fragen, unter welchen Bedingungen österreichische Autoren leben.

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