Das jugoslawische LabyrinthLiteratursymposion 1995Vorab-Statements Dragan Velikic |
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"Krieg" ist ein Wort, das sich in den
vergangenen fünf Jahren im Bewußtsein von Millionen Menschen wie ein finsterer Schleier
auf das Territorium des ehemaligen Jugoslawien legt. Es ist das wichtigste Ereignis im
Gebiet meiner ehemaligen Heimat. Obwohl ich nicht dachte, daß sie durch einen Krieg
zerfällt, ahnte ich das Verschwinden Jugoslawiens, zumindest in der Form, in der es fast
ein halbes Jahrhundert existiert hatte. Der Krieg in Kroatien, und später auch in Bosnien, schnitt
mich von dem Raum, in dem ich großgeworden bin, ab. All das aufzuzählen, was ich durch
diesen Krieg verloren habe, wäre heuchlerisch, solange ich die Verluste nicht mit den
Leben meiner Nächsten aufwiegen muß. Wenn ich auf dem Bildschirm die fassungslosen Gesichter der
Flüchtlinge, Tote und Verwundete sehe, frage ich mich immer, was könnte ich tun? Seit
dem Ende der achtziger Jahre beobachte ich wunderliche Metamorphosen vieler
"gescheiter Menschen", die aus meiner ehemaligen Heimat stammen, und es
erscheint mir sehr wichtig, immun gegen die Viren zu bleiben, die ein Individuum in einen
kopflosen Krieger verwandeln. 1988 war für mich ein bedeutendes Jahr. Mit diesem Jahr
beginnt meine "offizielle" literarische Biographie. In diesem Jahr
veröffentlichte ich meinen ersten Roman, Via Pula. Drei Jahre später begann der
Krieg, und ich ging mit der Belastung, ein serbischer Schriftsteller zu sein, in die Welt.
Und wenn ich die Welt sage, dann meine ich vor allem Österreich und Deutschland, ferner
Holland, England und Irland. Auch heute kann ich reinen Gewissens alle Texte
unterschreiben, die ich vor vier Jahren mit der Absicht geschrieben hatte, zum möglichen
Verständnis des Chaos in Jugoslawien beizutragen. Eine andere Sache ist, daß ich ein ziemlich unerwünschtes
Exemplar darstellte. Ich glaube, ich mache mir selbst kein großes Kompliment, wenn ich
sage, daß ich normal bin, und aus eigener Erfahrung weiß ich, daß in den vergangenen
fünf Jahren das Unerwünschteste im Westen ein normaler Serbe, der gegen den Krieg ist
und sich als solcher im kriegerischen Serbien erhalten konnte, gewesen ist. Ein normaler
Serbe störte ein bestimmtes Klischee, das mit Grund in der Welt, vor allem im Westen
geschaffen wurde. Und die Welt ist des balkanischen Irrgangs schon müde und verlangt nach
irgendeiner Lösung. Was ich öffentlich über die Natur des serbischen Regimes und seine
Verantwortung für die Katastrophe Jugoslawiens und die Kriege, in denen es verschwunden
war, sagte und schrieb, das will ich jetzt nicht wiederholen. Meine Bücher und Dutzende
politische Texte sind auch in deutscher Sprache erschienen. Da ich niemals einer politischen Partei oder einer
Institution, deren politischer Nenner wie ein Schirm eine individuelle Meinung beschattet,
angehört hatte, sah ich mich weder verpflichtet, noch verspürte ich die Lust, die
Währung, die Moral heißt, zu wechseln. Ich war Zeuge, oft nur ein stummer Beobachter,
verwunderlicher Metamorphosen von Kreaturen, die Uniformen wechselten. Bei vielen
Versammlungen im Ausland, die sich mit dem Krieg in Jugoslawien befaßten (der Krieg war
in Kroatien und Bosnien), saßen neben mir ehemalige Apparatschiks, die die Partitur des
Kommunismus für den Nationalsozialismus eingetauscht hatten. Die Realität sind neue Staaten, die auf dem Gebiet des
ehemaligen Jugoslawien entstanden und im Entstehen sind. Wären das demokratische Gebilde,
dann ließen mich auch Fahnen und Wappen kalt. Wo immer auch die Grenzen sein sollten,
bleibt der Raum, in dem ich groß geworden bin, unteilbar. Doch die Wirklichkeit, zu der
es nicht gekommen ist, zu der es wahrscheinlich nie kommen wird, und die ich mir ersehnt
habe, siedelt langsam in die Literatur, die ich schreibe über. Muß ich hier feststellen,
daß die Realität des Krieges auch die Themen meiner Romane wesentlich bestimmt hat?
Wahrscheinlich ist es so. Und ich hatte gedacht, daß der Krieg für meine Generation nur
ein Ereignis auf einem fernen Meridian bleiben wird. Erfahrungen? Irgendwelche Schlußfolgerungen? Jetzt sehe ich klarer, daß das Übel und der Haß, die
Grundlagen der Ungerechtigkeiten, die neue Kriege verursachen, im Unwissen entstehen, und
daß der erbärmliche menschliche "Trost", das Übel des anderen könne ein
Alibi für das eigene Übel sein, sehr beständig ist. |
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