Das jugoslawische Labyrinth

Literatursymposion 1995


Vorab-Statements 

Pavao Pavlicic

   
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Im April 1988 veranstalteten wir hier ein Symposium unter dem Titel Das jugoslawische Labyrinth. Wie provokativ der Titel auch geklungen haben mag, er implizierte keinen politischen Inhalt. Er bezog sich vielmehr auf eine spezifische Variante einer manierierten, "gebildeten" Literatur. Wenige Monate später schrieb ich einen Roman, der dieser Richtung zugeordnet werden kann. Er trug den Titel Sretan kraj (Happy End) und handelte vom Vorhersagen der Zukunft. In diesem Roman thematisierte ich auch die Zukunft des Landes, in dem ich lebte, und legte einer der Figuren die Behauptung in den Mund, es würde dort in Kürze zu heftigen Schießereien kommen. Das geschah dann auch bald, was weniger von meinem Weitblick zeugt, als davon, daß sich in dem Raum, in dem ich lebe, das Phantastische leicht in Realität verwandelt. Es wurde also geschossen, und der Begriff "Jugoslawisches Labyrinth" erhielt ganz neue Bedeutung. So kam auch ich in die Lage, seine Bedeutung zu hinterfragen, zu fragen, was Literatur in einer solchen Situation kann und was sie darf. Meine Antwort war folgende: Im Frühjahr 1991 schrieb ich den Roman Nevidljivo pismo (Der unsichtbare Brief), in dem meine Heimatstadt langsam abzurutschen beginnt und in der Donau zu versinken droht. Ein junger Mann versucht sie zu retten, indem er alles aufzuschreiben beginnt, was er über sie weiß: die ältesten Gegenstände, die Menschen und schließlich die Geschichte selbst. Auch dies trat dann tatsächlich ein. Vukovar versank, und das, was von der Stadt blieb, war vor allem das, was uns gelungen war, über sie aufzuschreiben. Doch das, was uns gelungen war aufzuschreiben, und war es noch so phantastisch, wird die Grundlage bilden, auf der wir aufbauen können, wenn ich in absehbarer Zeit nach Vukovar zurückkehre. Sollte ich aus alldem eine Lehre gezogen haben, dann ist es folgende: das Bauen literarischer Labyrinthe, wiewohl Ausprägung des "Manierismus" oder der "Postmoderne", ist eine ausgesprochen verantwortungsvolle Aufgabe, und gerade das Bewußtsein um diese Verantwortung ist das, was ich zur Zeit in vielen heutigen Gesprächen über Literatur am meisten vermisse. Und was die zweite Aussage des Titels anbelangt, so muß ich sagen, daß ich glücklich bin, daß das Labyrinth kein jugoslawisches mehr ist. 

 

 

Übersetzung: Nadja Grbic


 
       
   


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