Das jugoslawische LabyrinthLiteratursymposion 1995Vorab-Statements Ales
Debeljak |
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Wer erinnert sich heute noch an Vukovar? An das
Städtchen, das mit seinem barocken Eltz-Schloß, seinem verarmten Adel und seinen
Sachertorten der östlichste Außenposten der mitteleuropäischen Kultur gewesen war?
Niemand. Als seien inzwischen etliche Winter ins Land gegangen, seit die Armee der
Krajina-Serben, unterstützt von Belgrader Generälen, dieses kroatische Städtchen im
November 1991 dem Erdboden gleichgemacht hat. Für die verwirrte, empörte und auch schon
ein wenig gelangweilte westliche Öffentlichkeit ist diese zum Himmel schreiende Ruine,
wegen der die westlichen Politker widerwillig die kroatische Unabhängigkeit anerkannt
haben, angeblich nur noch eine "kalte Pfeife", wie sich meine Freundin und
Autorenkollegin Kaca Celan, eine Sarajevoer Serbin, die von ihren Landsleuten mit ihrem
Kind im Arm aus ihrer Heimatstadt ins deutsche Exil vertrieben wurde, bildhaft
ausgedrückt hat. Wenn kein Wunder geschieht, wird auch Sarajevo für die westlichen
politischen Mächte zu einer "kalten Pfeife", und dann auch für die westliche
Öffentlichkeit, die in ihren empörten Reaktionen auf den serbischen Völkermord an allen
Nichtserben ihren Führern immerhin einen Schritt voraus ist. Dieser Schritt trennt die
Politik von der Moral. Doch die Moral kann nur die Seele retten. Schüler empfinden die
Besichtigung der Räume in den KZs in Dachau, Auschwitz und Treblinka, wo sich eine Rasse
nach dem Willen einer anderen in Luft und Asche auflöste, eher als "lästige
Pflicht" denn als eine Lektion, die ihnen die Geschichte erteilt. Die Geschichte ist
schließlich nur eine Lampe im Heck, wie Coleridge sagt. Sie weist nicht nach vorn. Sie
zeigt nur an, wo man war. Wer sich nicht umdreht, erfährt nicht einmal das. Und bleibt
vom Alptraum Geschichte verschont. Und aus Angst vor Alpträumen ist auch das "Nie
wieder Völkermord", das der Grundstein des europäischen politischen Bewußtseins
sein müßte, heute mehr denn je eine hohle Phrase, die sinnentleert einmal im Jahr
gedankenlos wiederholt wird. Wenn das 20. Jahrhundert in Sarajevo gestorben ist, so bin
ich zugleich fest davon überzeugt, daß sich jeder von uns darum bemühen muß, daß der
Völkermord auf dem Balkan nicht in Vergessenheit gerät. Übersetzung:
Fabjan Hafner |
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