Das jugoslawische Labyrinth

Literatursymposion 1995


Die Würde einer Literatur 

Von Aleksandar Flaker

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Textauszug!

 

Noch im Jahre 1990 hat eine jüngere kroatische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin ein kurzes Essay veröffentlicht. Den Anlaß für diesen Text gab Van Eycks Bildnis der Heiligen Barbara. Sie stand vor dem Bild und dachte über die Heilige als "Beschützerin des persönlichen Schreibens" nach, die das Schrifttum vor der Zensur hütet. Aber als sie Bücher zu dieser Frage durchblätterte, erwies sich, daß die Heilige eine andere Rolle spielen sollte. Sie sollte eine Patronin der Artillerie, der Soldaten und der Feuerwehr sein! Die Hoffnungen der Autorin erwiesen sich als völlig illusorisch und doch wendete sie sich an die Heilige aus der Kölner Domkirche: "Befreie uns von diesem Donner, von diesem Pfeil, befreie uns von dem Kanonengießer, der Feuerwehr, den Blitzen und den Soldaten" (Andrea Zlatar, "Die dritte Erscheinung der Heiligen Barbara").

 

Es war ein literarischer "Vorschein". Nach der Befreiung von den Bedrohungen der "schriftstellerischen Freiheit", besonders von der Verdrängung der nationalen Tradition, befand sich die kroatische Literatur sehr bald in der Lage einer Tätigkeit, die den neuen Bedrohungen, die diesmal das ganze nationale Wesen und die Kultur in Frage stellten, Widerstand leisten sollte. Im Jahre 1991 erkrankte der kroatische Schriftsteller am Kellersyndrom. Die Städte Osijek, Zadar, Dubrovnik oder Karlovac erlebten eine unmittelbare Belagerung und standen monatelang unter Beschuß, das Staatszentrum Zagreb wurde zum Opfer des Luftangriffs und lebte von einem Alarm bis zum anderen, die Mehrheit der Einwohner der kroatischen Städte lebte tage- oder wochenlang in improvisierten Schutzkellern. In so einem Keller ist die Sicht verengt, den Feind sieht man nicht, und es bleibt nur ein harter Wille zum Überleben und der Selbsterhaltungsinstinkt eines Volkes. Man hat die Tradition herbeigerufen, man hat sich der nationalen und christlichen Symbole des Leidens und der Hoffnung bedient, martiale Texte wurden geschrieben und komponiert, aber sehr früh hat man auch die Gefahr des Kommunikationsbruches mit der so nahe lebenden und schaffenden Welt der europäischen Zivilisation und Kultur bemerkt.


Den Volltext können Sie

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