Das jugoslawische Labyrinth

Literatursymposion 1995


Über das Exil 

Von Dragan Velikic

   
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Textauszug!

 

 

1. 

Unter der Idee des Exils versteht man in erster Linie das Verlassen eines Landes, was allerdings auch freiwillig geschehen kann. Doch, wenn der Schriftsteller von der Stille in seinem Land umringt ist, wenn ihn das Regime totschweigt, dann führt er auch eine Art Exilexistenz. Der Schriftsteller kann Bücher in seinem Land veröffentlichen, er kann auch Vorlesungen halten, aber das Zentrum der Macht hält ihn fern von den wichtigen Ereignissen. Es wäre naiv zu erwarten, daß der Schriftsteller heute wegen seines literarischen Werks verhaftet wird. Das Regime in Jugoslawien war schon immer perverser, als es in anderen Ländern Osteuropas der Fall war. Es kreierte seine Dissidenten selbst. Ins Gefängnis zu kommen, bedeutete meiner Erfahrung nach, vom Regime auserwählt zu sein. Wenn das Regime auf diese Weise jemanden in der Öffentlichkeit bekannt macht, muß das nicht heißen, daß es ihn vernichten, sondern lediglich, daß es ihn ausnützen will. Und für diese Rolle soll der Auserwählte belohnt werden.

 

2.

Meine persönliche Abneigung gegen den Gebrauch des Wortes Exil ist eigentlich die Abneigung gegen ein Klischee. Es scheint mir, das Exil ist eine Qualität an sich geworden. Mit dem Krieg in Kroatien und Bosnien verließen hunderttausende vorwiegend junge und gebildete Menschen das Land, weil sie mit diesem Krieg nichts zu tun haben wollten. Unter ihnen waren auch viele Künstler, deren Existenz zerstört wurde, weil sie am Anfang ihrer Karriere waren. Doch heute gibt es viele Schriftsteller, die das Exil gewählt haben, weil ihnen schien, auf diese Weise einen schnellen Erfolg erzielen zu können. Da meine ich vor allem solche Künstler, die ein Teil des jugoslawischen Regimes gewesen waren. Und als sie in der Auseinandersetzung mit Milosevic an Bedeutung verloren hatten, wählten sie das Exil als eine neue Form der Werbung. Sie erzählen vor allem das, was das Publikum im Ausland hören möchte. Auf diese Weise vernebeln sie die Tatsachen, ohne die man die Krise auf dem Gebiet des Balkans nicht verstehen kann. Der Westen ist nicht gut genug über Jugoslawien informiert, das heißt, er weiß besser über Generäle als über die Kultur Bescheid.

 

3.

Mein Verhältnis zum Phänomen des Exils ist natürlich durch meine spezifische Erfahrung bestimmt. Im Laufe dieser Kriegsjahre weilte ich oft in Österreich und Deutschland, weil ich meinen übersetzten Büchern gefolgt bin. Obwohl ich regelmäßig politische Essays in der Zeitschrift Vreme veröffentlichte, kann ich nicht sagen, bis jetzt große Probleme gehabt zu haben. Das heißt auf keinen Fall, das serbische Regime sei human. Das bedeutet nur, daß der Schriftsteller, der keine politische Rolle hat, überhaupt nicht wichtig ist. Und wenn ich "politische Rolle" sage, dann meine ich die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Den Kampf eines Schriftstellers für die Wahrheit empfand ich immer mehr als einen "physiologischen" und weniger als einen ethischen Impuls.

 

4.

Ich fühle mich irgendwo dazwischen, stets im Zug "Avala" zwischen Belgrad und Wien. Das höchste, was ein Schriftsteller erreichen kann, ist, eine authentische Welt zu schaffen. Für das serbische Regime ist es viel gefährlicher, wenn die Opposition eine parallele Kultur installiert, als wenn sie das Regime kritisiert. Manchmal, nach einem langen Kampf, wird die Sache, die wir vernichten wollten, zu unserem zweiten Namen. Ich meine dabei vor allem den komischen "Unterschied" zwischen Kommunisten und Antikommunisten. Wahrscheinlich gibt es da einen Unterschied, doch die Leidenschaft ist die gleiche geblieben.

 

5.

Der langen Rede kurzer Sinn, ich fühle mich wie eine Fliege im Zwischenraum eines Doppelfensters. Meine Erfahrung ermöglicht mir, beiden Seiten nachzuempfinden, denen ich nur teilweise angehöre. Seit meiner Kindheit lebe ich an zwei Ufern, ein Serbe in Istrien, ein Mediterraner in Belgrad. Der einzige feste Boden ist für mich die Literatur. Meine Helden leben im Exil. Und der Schriftsteller kann keine Helden und Situationen schaffen, die er nicht als sein eigenes Schicksal empfindet.

Übersetzung: Andrej Ivanji


 
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