Das jugoslawische LabyrinthLiteratursymposion 1995Eröffnungsvortrag Von Dzevad
Karahasan |
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Textauszug! |
Im April 1988 versammelten wir uns hier in Graz, ein Dutzend Schriftsteller, um aus unseren Werken zu lesen und im Rahmen des Symposions Das jugoslawische Labyrinth zu diskutieren. Die Kollegen kamen aus Ljubljana, Zagreb, Belgrad, und ich kam aus Sarajevo. Wir sollten Jugoslawien repräsentieren. Wir konnten das natürlich nicht, denn Mazedonien und Montenegro waren nicht vertreten, aber das war mir damals nicht bewußt, denn wir alle sind zum Teufel nochmal aus Jugoslawien und all das ist letztendlich egal. Es kam mir nicht in den Sinn, daß solch ausgewählte Menschen Jugoslawien nicht repräsentieren könnten, denn für liberale Intellektuelle, genauso wie für Politiker, war und blieb Jugoslawien vor allem eine Vereinbarung zwischen Ljubljana, Zagreb und Belgrad. Die Übrigen, die in diesem Raum leben, sind Geiseln dieser Vereinbarung und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Jugoslawe zu sein und sich in gleich welcher Vertretung repräsentiert zu fühlen. So war es, und deshalb kam es mir nicht in den Sinn, wir würden Jugoslawien nicht repräsentieren. Ich weiß, ich wollte nicht, daß es so sei aber es ist so gewesen, und zwar so ganz und gar, daß wir nicht einmal merkten, daß es nicht so sein sollte. Wir kommunizierten damals gut miteinander. Ich weiß nicht, ob wir eine oder vier Sprachen gesprochen haben. Ich habe mich das auch nicht gefragt, genausowenig, wie ich mich gefragt habe, ob wir Jugoslawien repräsentieren können. Ich habe den Eindruck gehabt, wir verstehen uns, und das genügte mir. Wenn ich mich recht erinnere, sprachen die Kollegen aus Ljubljana im Gespräch mit uns Übrigen liebenswürdiger Weise die "Sprache der Mehrheit", aber ich hätte auch keine Probleme gehabt, wenn sie Slowenisch gesprochen hätten, denn diese Sprache verstehe ich. Was sprachen wir Übrigen? Serbo-kroatisch? Serbo-kroato-bosnisch? Serbisch, Kroatisch und Bosnisch? Kroatisch, oder Bosnisch, oder Serbisch? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht, das habe ich mich einfach nicht gefragt. Ich hatte den Eindruck, wir verstehen uns, und das genügte mir. Damals lernte ich den Kollegen Filip David kennen, und dieser Mensch gefiel mir sehr. Dies wäre nicht der Fall gewesen, nehme ich an, hätten wir uns nicht verstanden. Wir hatten viele gemeinsame Wörter, und diese Wörter bedeuteten größtenteils dasselbe in seiner und in meiner Sprache. Und der Sinn war, glaube ich, identisch oder ähnlich. |
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