Das jugoslawische Labyrinth

Literatursymposion 1995


Das "jugoslawische" Labyrinth

Von Walter Grond

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Textauszug!

"Vor drei Jahren war ich zur selben Zeit hier, und ich war damals ebenso traurig. Damals wegen einer Trennung, und heute - wegen vieler Trennungen, wegen fremder Trennungen ... denn ich trenne mich von keinem und von nichts mehr ... Alles, was ich verloren habe, gehört mir, mir ganz allein ... oder, wie Borges sagen würde: 'Ich weiß, ich habe so viele Dinge verloren, daß ich sie nicht aufzählen kann, und eigentlich sind gerade diese Verluste jetzt das, was mir gehört' ", schrieb Radmila Lazic 1992 in einem Brief aus Djurdjevac, der in dem Sammelband Briefe von Frauen über Krieg und Nationalismus veröffentlicht ist.

Ich begrüße Sie herzlich im Forum Stadtpark, unsere Gäste aus Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien und all die, die dieser Krieg heimatlos gemacht hat und die jetzt im Exil leben.

1988 veranstaltete das Literaturreferat im Forum Stadtpark das Symposion Das Jugoslawische Labyrinth, ein damals ziemlich einzigartiges Zusammentreffen von Autorinnen und Autoren aus den meisten jugoslawischen Kulturen. Möglich war dieses gemeinsame Auftreten, wie die Teilnehmer damals versicherten, nur auf dem exterritorialen, aber doch nicht ganz fremden Boden von Graz und unter der einigenden, nicht nur politisch, sondern vor allem ästhetisch verstandenen Metapher vom "jugoslawischen Labyrinth". So hat damals Aleksandar Flaker, der das Symposion programmierte, das Labyrinthische im Sinn von Borges als Auswahlkriterium vorgeschlagen und unter diesem Deckmantel des "Labyrinths" vor allem postmoderne Autoren, also Autoren mit selbstreflexiven Erzählweisen eingeladen.  Nicht gemeint war mit der Metapher des Labyrinths das Pulverfaß Jugoslawien, im Gegenteil gingen wir damals davon aus, daß es sich beim "Modell Jugoslawien" um eine besonders geglückte Kultur der sozialen und intellektuellen Komplexität handle.

Ich hatte Nenad Popovic 1986 kennengelernt, und zwar  bei einer Lesung in Zagreb, die der Trigonidee gemäß vom steirischen herbst veranstaltet worden war, zeitgleich mit Lesungen in Triest, Venedig, Ljubljana. Daß ich in Zagreb gelesen hatte, war nichts außergewöhnliches, gerade der Kontakt zu jugoslawischen Literaturen prägt seit den 60er Jahren das Verständnis des Forum Stadtpark, sich selbst in internationaler, was auch bedeutete mitteleuropäischer Auseinandersetzung zu erproben. Daß es zugleich einen Drang zur euphemistischen Betrachtung des gesamten Kuturraumes, den wir den mitteleuropäischen nennen, gab, ist unbestreitbar. Ja, ich denke heute sogar, daß unsere Überzeugung, es in Jugoslawien mit einer homogenen Kultur zu tun gehabt zu haben, und die hatten wir, als wir 1988 das Symposion planten, etwas mit dem kolonialen Wunschdenken des ehemaligen Herrscherlandes über Mitteleuropa zu tun hatte. Wir sind immer gern nach Istrien und Dalmatien gefahren, waren angetan von den  gastfreundlichen   mediterranen Dichtern und im übrigen auch ein wenig stolz darauf, überall derselben Habsburgerarchitektur zu begegnen. Jener Euphemismus, wenn wir vom Modell Jugoslawien sprachen, war auch die Kehrseite der Scham über die Ausgrenzung, Verfolgung und Unterdrückung der "jugoslawischen" Minderheiten in Österreich, der Kroaten, Slowenen und auch der Roma, die alle gern diffus als Balkanvölker bezeichnet werden.

Die Kehrseite solchen  Euphemismus scheint heute die Paralysierung Europas mit Blick auf das Sterben Jugoslawiens zu sein, die der slowenische Philosoph Slavoj Zizek folgend analysierte:

"Im ehemaligen Jugoslawien sind wir nicht verloren aufgrund unserer eigenen Träume und Mythen, die uns womöglich daran hindern, die aufgeklärte Sprache Europas zu sprechen, sondern weil wir in Fleisch und Blut dafür zahlen, der Stoff der Träume der anderen zu sein. Für die demokratische Linke bedeutet Jugoslawien die Täuschung des dritten, selbstverwalteten Weges; für die routinierten selbstherrlichen Kulturmenschen ist es das exotische Land mit der erfrischenden folkloristischen Vielfalt; für Milan Kundera ist es der Ort, an dem die Idylle Mitteleuropa der orientalischen Barbarei begegnet; für die westliche Realpolitik funktionierte die Auflösung Jugoslawiens lange Zeit als Metapher für das, was in der Sowjetunion passieren und als Metastase, die den gesamten Balkan befallen könnte. Hinter all dem steht natürlich das Trauma von Sarajewo, vom Balkan als Pulverfaß, das droht, ganz Europa in Flammen zu setzen. Weit entfernt, das Andere Europas zu sein, war das ehemalige Jugoslawien eher Europa in seinem Anderen, der Schirm, auf den Europa seine verdrängte Kehrseite projiziert und auf dem es sie lebt."

Ich erinnere mich gut an die damals das Symposion abschließende Podiums- und Publikumsdiskussion. Nach Tagen exzellenter literarischer Lesungen (zum Beispiel war Dzevad Karahasan zum ersten Mal mit einer deutschen Übersetzung seiner Dichtung aufgetreten) herrschte Harmonie. Nenad Popovic fragte mich vom Podium aus, ob ich diesen Eindruck bestätigen könne, und ich widersprach, irritiert von einem Erlebnis, das ich ein halbes Jahr zuvor in Lipica bei einer Veranstaltung des slowenischen Schriftstellerverbandes hatte. Dort waren mir die Animositäten zwischen den slowenischen und kroatischen Autoren aufgefallen, die in einer Unterschriftenliste zur Rettung der einen vor der anderen Sprache gipfelten. Mir kam das damals  lächerlich vor. Diesem meinem Eindruck wurde widersprochen, aber beim Hinausgehen sagte im Vorbeigehen Irena Vrkljan zu mir, "Sie haben recht, aber das ist ein unangenehmes Thema".

Wie nun hat sich unser Bild von Jugoslawien seit damals verändert? Ist dieses Bild vom "jugoslawischen" Labyrinth zerschlagen worden, ein Fall von Komplexitätsreduktion? Oder ist es vielmehr brutal Wirklichkeit geworden? Hat das Bild aus heutiger Sicht jemals gestimmt oder ist es nur die folkloristische Kehrseite jenes heute anderen Jugoslawienbildes vom "Pulverfaß Europas"? Ist Jugoslawien verkörperte Literatur? Ist es eine geopolitische Metapher? Ist es die Verwirklichung eines europäischen Alptraumes, wie es Intellektuelle aus dem früheren Jugoslawien vorgeschlagen haben? Oder straft die Wirklichkeit solche Bilder Lügen? Wenn der fortgesetzte Krieg ein Krieg der Bilder und Worte ist, was ist der Anteil der Schriftsteller und Intellektuellen daran?

Das sind einige der Fragen, die uns brennend interessieren, und die Wilfried Prantner und mich den Vorschlag von Dzevad Karahasan und Nenad Popovic aufgreifen ließen, das Symposion des Jahres 1988 als Symposion des steirischen herbstes 1995 zu wiederholen.

Was hat sich an unserer eigenen Sicht geändert? Wir reden nicht mehr von Jugoslawien, setzen es unter Anführungszeichen, um die Autoren aus Slowenien, Kroatien und Bosnien nicht zu beleidigen. Und wir kennen heute, da es Jugoslawien nicht mehr gibt, sondern wir von einem Restjugoslawien, Kroatien, Mazedonien, Slowenien, Bosnien sprechen, soviele Autorinnen und Autoren, die wir ständig in Gefahr sind, "jugoslawische" zu nennen, wie wir sie vorher niemals gekannt hatten. Wir fragen uns, ob die Bedingung noch gilt, daß bei aller Heterogenität der  eingeladenen  Autoren  sie alle hier im Forum ästhetisch aufgehoben sind, daß es also auch unter den Bedingungen des Krieges eine gemeinsame Welt der Literatur gibt.  Und wir wollen von den Geschichten, den Formen des Widerstandes erfahren, die nicht ins gereinigte, politisch opportune Bild passen, um zu verstehen, wie sich Literatur unter Bedingungen des tatsächlichen Blutvergießens verhalten kann.

Ich denke, wir können nur dann solche Fragen stellen, wenn wir zugleich damit beginnen, darüber zu sprechen, was sich hier verändert hat. 1988, ein Jahr vor dem Fall des Eisernen Vorhangs,  sprach das Forum Stadtpark die Einladung in einer gesellschaftlichen Atmosphäre aus, die weitgehend von einem liberalen Konsens geprägt war, der zum Beispiel die Freiheit der Kunst und die Existenzmöglichkeiten für Künstler für zu verteidigende Werte einer Zivilisation hielt. Daß dies heute bedroht ist,   daß Menschen anderer Kulturen und Menschen, die sich für die Menschen anderer Kulturen stark machen, von faschistischem Terror bedroht sind, hat auch damit zu tun, daß mit dem Sturz des Kommunismus unserer kapitalistischen Gesellschaft das  Feindbild abhanden kam, das es zu Liberalität, Sozialität und Minderheitenpolitik zwang. Ja, daß wir heute in einer Diktatur der Einschaltquoten und des Leistungs- und Konsumszwangs leben, ja, daß die amerikanische Zweidrittelgesellschaft sehr nahe ist, sich die Widersprüche also derart verschärft haben, läßt uns andererseits heute bitter erkennen, zum Beispiel nach dem Mord an vier Roma im burgenländischen Oberwart, auf welch dünnem Boden der Verdrängung das demokratische Bewußtsein Österreichs gebaut ist.

Wenn wir das ab heute versuchen, dann nicht als Tribunal über die jugoslawische Tragödie, sondern weil wir den AutorInnen und Autoren die Gelegenheit schaffen wollen, hier in Graz im Forum Stadtpark auch über dieses Symposion hinaus einen Ort der Begegnung und Auseinandersetzung zu schaffen, und weil wir uns fragen, was uns, die "Nachbarn", daran betrifft, was uns das in unseren eigenen   Scharmützeln zum Beispiel in dieser sogenannten Kulturstadt Graz an Erfahrung helfen kann?


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