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Debatte 4

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[house] ein projekt über das fremde & die peripherie


Dokumentarische Techniken
(Der Film ist das wirkungsvollste Mittel, um der Masse sich selbst zu zeigen. [Walter Benjamin])

Von Ruth Anderwald und Leonhard Grond

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Zusammenfassung eines Vortrags über NS-Filmtheorie und Dokumentation, gehalten im April 2000 in Auschwitz.

Die ersten Filme, von Marey und Mybridge, entstanden Ende des letzten Jahrhunderts. Ihr Interesse galt der Dokumentation der Bewegung. Mit den ersten Filmen bereits wird der Mythos der wertfreien Dokumentation geboren. Sowohl der Produzent als auch der Konsument stellt an eine Dokumentation bestimmte Erwartungen: Wertfrei soll sie sein, neutral und unverfälscht wird das Wesen aller Dinge ans Licht gebracht.
Der Film hat mehr als alle anderen Medien die Hoffnung auf Objektivität bestärkt. Getäuscht durch die technische Apparatur, übersah man, daß trotz allem das menschliche Auge die Aufnahme lenkt und montiert. Sowohl der Blick durch die Kamera, als auch der Blick auf die Leinwand wird beeinflußt, und verändert das Gesehene. Wissen, Vorurteile, Moralvorstellungen, persönliche Anteilnahme und allgemeines Verständnis des Themas verändern die filmische Einstellung und Rezension.
Für jede Zeit gab es verschiedene filmerische Ausdrucksformen. Die Auswahl der Möglichkeiten wurde durch gesellschaftliche Klischees und die vorherrschenden Ideologien eingegrenzt. Das bildet den ästhetischen Rahmen, indem sich Film und Kunst einer Zeit bewegen. Ein Filmemacher vertritt bewußt und unbewußt bestimmte Normen und Wertvorstellungen.

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Eine Dokumentation ist eine Montage von Theorien und Szenerien. Durch die Montage wird das Publikum in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Daraus stellen sich folgende Fragen: Wer manipuliert? Welchen ideologischen Standpunkt dieser Zeit nimmt der Filmemacher ein? Welche Standpunkte sind ihm bewußt?
Wenn dem Filmer sein persönlicher Standpunkt unklar ist, mag die Information im Film undeutlich sein, geht aber dennoch in eine bestimmte Richtung.
Natürlich bewertet auch das Publikum das Gesehene im Kontext seiner Kultur und Erfahrung.

Die Schwierigkeiten des Erfassen der unmittelbaren Wirklichkeit im Dokumentarfilm hat sehr früh zu zwei grundsätzlichen Standpunkten geführt.
Die eine Richtung vertritt der sowjetische Dokumentarfilmer, Dziga Vertov, ein überzeugter Kommunist. Seiner Überzeugung nach, hat der Dokumentarfilm die Aufgabe das Leben zu entziffern, wie es ist. Vertov schreibt: "Jeder ohne Inszenierung aufgenommene Lebensaugenblick, jede einzelne Einstellung, die im Leben so aufgenommen ist, wie sie ist, mit versteckter Kamera, unverhoffter Aufnahme oder mit einem anderen analogen technischen Verfahren, ist ein auf Film fixiertes Faktum, ein Filmfaktum, wie wir es nennen."
Diese Fakten wurden danach parteilich organisiert und montiert.
Die zweite Richtung startete den Versuch ein Ereignis mit dem Maximum an Ausdruckskraft zu filmen. Danach könnten alle Szenen eines Dokumentarfilmes wiederholt werden.

Die Nationalsozialisten waren in ihren großen Dokumentarfilmen an der momentanen Wirklichkeit nur begrenzt interessiert. Sie versuchten einen Dokumentarfilm im wörtlichen, lateinischen Sinn, des Wortes documendum, daß das zur Belehrung dienen muß.
Der Leiter der Kulturfilmherstellung der Ufa, Dr. med Nikolaus Kaufmann lobte in den Vierzigern: "Bei uns in Deutschland dient der dokumentarische Film jeden Abend in tausenden Theatern Millionen von Menschen, die doch eigentlich nur Unterhaltung suchen, so ganz nebenbei zur Fortbildung, Belehrung und geistigen Entwicklung."
Archivaufnahmen mischten sich in eben diesen Filmen mit aktuellen Szenen und eventuell erbeutetem Material.

Die wichtigste Persönlichkeit, vorallem in bezug auf NS-Filmtheorie, war Reichsfilmintendant Dr. Fritz Hippler. Hipplers theoretische Ausführungen ergeben sich zum Großteil aus den filmtheoretischen Ansätzen Goebbels. Die gesamte NS-Filmtheorie stützt sich historisch auf Lessing. Obwohl "Nathan der Weise" mit einem Aufführverbot belegt war, konnten die Nationalsozialisten den Werken "Die Hamburger Dramaturgie" und "Laokoon" inhaltlich einiges abgewinnen. Daran läßt auch Goebbels in drei programmatischen Reden über das Filmschaffen vor der Reichsfilmkammer, 1933, 1937 und 1941 keinen Zweifel.

Fritz Hippler war bereits als Schüler Mitglied der NSDAP. Während seines Jusstudiums beteiligte er sich an Bücherverbrennungen und zeigte reges Interesse an Philosophie. Nach seinem Doktorat der Philosophie verfaßte er das Buch "Jugend fordert", in dem er für die mittlerweile entarteten, expressionistischen Künstler kämpfte. Da das Buch dem Geschmack der NSDAP zu marxistisch erschien, war er in seiner Berufswahl eingeschränkt und begann ein Medizinstudium. Freunde vermittelten ihm einen Halbtagsjob bei der Wochenschau. 1936 brach er sein Medizinstudium ab und machte schnelle Karriere beim Film. 1939 stieg Hippler zum Leiter der Abteilung Film im Reichsministerium Goebbels auf. Am 28.2.1942 ernannte ihn Goebbels zum Reichsfilmintnedanten. Da am gleichen Tag durch einen Erlaß durch Goebbels die großen Filmgesellschaften verstaatlicht, "reichsmittelbar", und unter einer Dachgesellschaft zusammen gefaßt wurden, der Ufa Film GmbH, avancierte Hippler nach Goebbels zum wichtigsten politischen Funktionär für den Film. Hippler muß in seiner Funktion die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten ausgleichen.

Interventionen einzelner Industrien, zum Beispiel der Kaffee-Ersatz produzierenden Firma, wegen kritischer Äußerungen im Film über dieses Produkt, werden zurückgewiesen, weil damit nicht grundsätzlich diese Industrie diffamiert werde. Außerdem seien ohne realistische Dialoge und Darstellungen (also auch kritische Äußerungen und Abbildungen) zeitnahe Filme nicht möglich. Das gleiche gelte für kritisch gesehene Vertreter bestimmter Berufe. Hier sei immer nur der einzelne gemeint, nicht der gesamte Berufsstand.
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