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Wiener Zeitung (extra)  20.10.2000

Moderne Welt für Mittvierziger

Roman der Themenvielfalt: „Old Danube House“ von Walter Grond

Von Linda Stift

Er war ein Mann, davon besessen, die Gesetze des Elektromagnetismus und der Thermodynamik zu widerlegen. Es geht um Nikola Sahli, einen durchgeknallten Physiker vom Typ charismatischer Sektengründer. Schade, dass man nicht viel mehr von ihm erfährt. Im Laufe von Walter Gronds neuen Roman „Old Danube House“ verliert die Figur des verrückten Wissenschafters kontinuierlich an Bedeutung. Sie stellt lediglich ein Vehikel für die kleine Midlifecrisis des eigentlichen Protagonisten, des etwas fabrlosen Johan Nichol, 42 Jahre alt und Professor an der Technischen Universität Wien, dar.

Nichol wird durch den Selbstmord von Nikola Sahli auf dessen physikalisches Weltbild aufmerksam. Nach 30-jähriger Forschungsarbeit musste Sahli akzeptieren, dass die Gesetze von Ampére leider doch zutreffen – woraufhin er sich umbrachte. Trotzdem behauptet er in einem öffentlichen Testament, ein Perpetuum mobile gefunden und einige prototypen entwickelt zu haben; in der Hoffnung, dass sie nach seinem Tod seriell produziert würden, Nichol, der nichts Besseres zu tun hat, weil Ferien sind und seine Frau Marina gerade in Ägypten unter Anleitung eines geldgierigen Gurus ihre Wurzeln sucht, begibt sich halbherzig auf sahlis Sahlis Spuren.

Im Nachkriegs-Sarajevo lernt er Amra Sahli kennen, eine Schwester des Physikers. Sie zeigt ihm das vom Krieg ramponierte Old Danube House, wo Nikola Sahli mit seinen Schwestern gewohnt hatte. Eine andere Schwester betätigt sich dort zwischen verkohlten Wänden und eingeknicktem Dachstuhl als windige Schamanin. Nichols Affäre mit Amra endet genau zu den Zeitpunkt, als Gattin Marina (Stichwort Feng Shui) überraschenderweise in Sarajevo eintrifft.  Die beiden unternehmen eine Bootsfahrt, werden vom Scirocco an eine Felsenküste gespült und durch moderne Technologie (dem „Satellitennavigations-Computer für den Segeltörn“) rasch gerettet. Nebenwirkung: Die Entfremdung zwischen Nichol und seiner Frau scheint beseitigt.

Walter Grond versucht der Unüberschaubarkeit des ausgehenden 20.Jahrhunderts in „Old danube House“ mit Themenvielfalt beizukommen. Internet-Generation (Stichwort Linux), obskure Sektenaktivität eines vom konventionellen Weg abgekommenen Physikers, die gepflegte Langeweile eines Intellekektuellen, Quantencomputer (Stichwort beamen), Balkanflair in Österreich – das alles wird zu einer pseudomodernen Mischung, die ein wenig schleppend daherkommt. Man erfährt nichts Neues, Grond referiert seine Stichwörter mit dem Enthusiasmus eines Volkshochschullehrers (Seminartikel: „Moderne Welt für Mitvierziger“). Dennoch gelingen dem Autor in vielen Fällen witzige Konstellationen. Durchaus selbstironisch und klarsichtig ist etwa das Gespräch zwischen zwei Männern, die befürchten, zu früh ins Klimakterium zu kommen.

Walter Grond besitzt auch einen exakten Blick für Details. Und seine Szenerien charakterisiert er mit wenigen, treffenden Worten: „1991 habe jemand mit Sprühlack ‚Das ist Serbien’ auf die Mauer des Postamtes geschrieben, in der Nacht darauf habe man daneben groß ‚Das ist nur ein Postamt’ gesprüht.“

Zwischen die realen Schauplätze Wien und Sarajevo montiert er mittels Rückblenden und dem  E-Mail-Kontakt zwischen Nichol und seiner russischen Ex-Geliebten ein überzeugend atmosphärisches Moskau, in der Zeit vor und nach dem Kommunismus. Die unbestimmte Sehnsucht nach der momantan nicht verfügbaren und somit nicht nur im philosophioschen Sinne unerreichbaren Frau ist treffend geschildert. Wenn der fadisierte Professor sich allerdings Gedanken darüber macht, ob es eine „biologische Erklärung“ für sein machistisches Verhalten gibt, passt das zwar gut zu dessen Charakter, klingt aber äußerst antiquiert. Dementsprechend unangenehm bieten sich die sexuellen Erfahrungen des Protagonisten sowohl in der Aktion als auch auf sprachlicher Ebene dar: „Brüllte er, wurde sie weit offen, geriet außer sich, und er er grob in sie eindrang, wurde sie immer noch lauter.“ Wahrscheinlich vor Schmerz, vermutet der Leser.

Vom Sex sollte dieser Autor überhaupt die Finger lassen: „Sie umklammerte ihn mit den Beinen, und während sich ihre Scham rhythmisch zusammenzog, schoß es aus ihr heraus.“ Was bitte?

Die Verbindung zu den neuen Medien und zur Jugendkultur, die dem Autor so sehr am Herzen zu liegen scheint, aber professor Nichol schon ziemlich schwer fällt, besorgt der Student Hofer. Er ist ein genialer Computerfreak, der sich zu Hause die Pizzaschachteln von einem selbstgebauten Haushalts-Roboter abservieren lässt. Auch nimmt er den Wissenschaftler zu einem Rave am alten Wiener Industriehafen mit. Dieser beschreibt das Rave und seine Besucher mit dennaiv-staunenden Blick eines Vaters, der heimlich seine Kinder beobachtet und es nicht fassen kann: welch fremde Welt wächst um uns herum nach!

Alle, die sich nicht trauen, ein solches Event zu besuchen, können es nun an dieser Stelle nachlesen.

Walter Grond
Old Danube House

Haymon Verlag 2000