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DER STANDARD, 28. Oktober 2000 |
Am Nullpunkt des RealismusAm Nullpunkt des Realismus
Der Autor tritt aus der kalten Dusche, die er abgekriegt hat, als er kein Kultur-Soldat mehr sein wollte in der altvatrisch-schicken Grazer Untergrundarmee des literarischen Heils - dort, wo eine verlebte "Avantgarde" den Filz kommandiert (siehe Walter Grond, Der Soldat und das Schöne, 1998). Der geduschte Autor sieht: Bosnien und Moskau, Rave-Parties, Computer und das Internet. Im niederösterreichischen Exil schreibt er einen versierten Essayband, der Alles mit Jedem vernetzt (Der Erzähler und der Cybers pace, 1999) und einen Schlüsselroman, der böser, als der Semmeringtunnel es je vermöchte, die Steiermark penetriert (siehe oben). So in etwa jedenfalls lässt sich die Position Walter Gronds (geboren 1957), des gefallenen Erzengels der GAV, im literarischen Feld Österreichs beschreiben, einer Anbaufläche, die er selbst oft kritisiert hat. Sein neuester Roman handelt von der Midlife-Krise des Wiener Quantenphysikers Johan Nichol, mit ausgelöst durch die Nachricht vom Tod des bosnischen Physiker Sahli. Nichol fährt ins Sarajewo der neuen Nachkriegszeit und sieht das zerstörte Old Danube House, wo Sahlis Vater mit Adoptivkindern verschiedener Nationalitäten multikulturelles Zusammenleben trainierte. Nach dem Besuch einer örtlichen Rave-Party und einer Schamanin, diversen Inlog-Manövern im Netz und einer netten Affäre ("Amra war um den Bauch etwas weich, ihre Brüste schaukelten, und alles war schön") beginnt Nichol mit seelischem Beistand seiner angestammten Freundin Marina (!) auf der Adria ein neues Leben. So kompakt will es freilich nur der Klappentext. Liest man Gronds Roman wirklich, so bringt er auch Rezensenten in Verlegenheit, die ihm prinzipiell gewogen waren. Gronds Erzählstil befleißigt sich nämlich eines matten Realismus, der die banale Abfolge von Ereignissen wiedergibt, um damit auf der Rolltreppe des Klischees fast bis zum Niveau von Illustriertenromanen hinunterzufahren. Als Film kann man sich die ganze Handlung gut vorstellen, allein, die Sprache versagt vor ihr, und man wünscht sich unwillkürlich den frühen Grond zurück. Den noch nicht kalt geduschten, zart hochnäsigen Jungguru, der zum Beispiel eine ganze Lebensgeschichte virtuos im Rückwärtsgang erzählte (Labrys, 1989). "Er wollte keine Energie mehr für eine Welt aufbringen, die auf Stillstand bedacht war" - heißt es hingegen symptomatisch in Old Danube House. Es finden sich weitere Sätze wie: "Der süße Rosenduft der Frauen stieg Nichol in die Nase, und die Männer rauchten Zigaretten." Auch ein Hauch von Karl May kommt auf, wenn Moslems Wodka trinken und dazu "Bei Allah" sagen. Wirklich peinlich aber ist mitunter das literarisierte Jugo-Deutsch der Figuren, das sie eher erniedrigt, als ihnen ein eigenes Profil zu geben, begleitet von Formulierungen, die deutlich als Ausrutscher zu werten sind. So heißt es etwa in einer Beschreibung: "Die slawischen Gesichter hingegen hatten einen demütigen Ausdruck angenommen." Hier kippt das gut Gemeinte schroff ins schlecht Formulierte; der Er-Zähler entblößt sich stilistisch. Da nützt es auch nichts, dass Grond offenkundig versucht hat, einem im Grazer Exil lebenden bosnischen Kollegen in der Figur des Faruk Karafani ein literarisches Denkmal zu errichten. Ob seine abgegriffene Schreibe indes geeignet ist, das Leben in einem cyberrealen und internetten Zeitalters diesseits und jenseits des Körpers zu erzählen , darf bezweifelt werden. Andere sind jenem Projekt viel näher gekommen, so etwa der Laborjargon, den der französische Autor Michel Houellebecq souverän ungut umgesetzt hat; ja sogar dem neo-impressionistischen Sprachmüll-Projekt des dienstältesten Rave-Jungen Deutschlands (Rainald Götz, Abfall für alle) sind gewisse Meriten nicht abzusprechen. Und auch Josef Haslinger, den ähnliche Realismusvorwürfe treffen mögen wie Grond - so etwa die minutiös sinnlose Abschilderung eines Überholmanövers -, auch dieser Autor geht viel cooler und vor allem spannender mit den Malaisen und Computergestellen seines Protagonisten um. Der Vorwurf der verfehlten Sprache bleibt also aufrecht, so klug auch Gronds Überlegungen zum literarischen Kanon waren: In Der Erzähler und der Cyberspace wurde folgerichtig die ästhetische Vorbildfunktion einer sanktionierten Avantgarde kritisiert. Der Kanon sei im Wesentlichen keine Einrichtung der Leser, sondern der Literaturinstitutionen (Kritik, Schule, Universität). Vor allem eine professionelle Literaturkritik habe die Geschmacksdiktatur einer hohl gewordenen, abgehobenen "Experimentalliteratur" etabliert, die quasi mit Lorbeeren am Leben vorbeischreibt und auf neorealistische Schreibweisen als ästhetische Prolls arrogant herabblicke. Hier irrt Grond keineswegs, und man ist um weitere passende Beispiele kaum verlegen: der frühe Franzobel etwa, der eine post-avantgardistische Literatur für Jury-Mitglieder machte und damit Preise lukrierte. Aber selbst dieses Beispiel falsifiziert sich auf Dauer; immerhin macht Franzobel inzwischen in Literatur für junge Leser/innen, die ganz offenkundig Gefallen finden an seinen Sprachspielchen und Blödeleien (Scala Santa). Bei Grond freilich wird der verschleppte zweite Realismusstreit in der österreichischen Literatur mit untauglichen Mitteln ausgetragen. Man könnte auch seine Avantgarde-Feindlichkeit auf den Kopf stellen und behaupten: Nur eine mutierte Sprache ist in der Lage, die elektronische Jahrhundertwende zu erzählen. Grond hätte hier mal ruhig nach Deutschland surfen können und sich theoretische Konzepte einer neuen Literatur ansehen, wie sie etwa der Berliner Autor (und Ex-Broker) Alban Nikolai Herbst entwickelt hat. Andererseits gilt: Wem ein Simmel recht ist, dem muss ein
Grond billig sein. Und so sei es auch. Aber der Vorteil von Trivialliteratur ist eben,
dass sie ganz unbekümmert trivial sein kann. Wir hoffen also aufrichtig, dass Grond
seinen Stil weiterentwickelt. [] © DER STANDARD, 28./29. Oktober
2000 |