|
|
Front
WALTER GROND
Reflexionen zum neuen Erz�hlen
Zerst�ren die neuen Medien die Phantasie und damit das
Bed�rfnis nach Erz�hlungen? Nein, meint Walter Grond.
BEAT MAZENAUER
Mit �Der Erz�hler und der Cyberspace� hat Walter Grond vor zwei
Jahren einen Essay vorgelegt, in dem er �ber das schwierige Verh�ltnis von Literatur und
neuen Medien nachdachte. Kein leichtes Unterfangen f�r einen, der von der speziellen
Kraft des Buches �berzeugt war. Doch die Auseinandersetzung lohnte sich, der Autor hat
sich damit von Vorurteilen befreit. Heute besetzt Grond nicht nur literarisches Terrain,
wie der bald erscheinende neue Roman belegt, sondern auch mediales mit seinem
�house-salon� im Internet (www.house-salon.net), einem exquisiten
sprach�berschreitenden Diskussions- und Geschichtenforum. Seine �berlegungen zu den
Schnittstellen von Buch und neuen Medien f�hrt Grond in diesem zweiten Essayband weiter.
Hier die bibliophile Gutenberg-Kultur, da die technoide Welt der neuen Medien. Diese
Dualit�t l�sst Grond nicht l�nger gelten. Richtig ist, dass unter den Bedingungen der
neuen Medien sich das Erz�hlen ver�ndert, doch nicht nur zum Schlechten. Es wird ein
neues Erz�hlen entstehen, das auf die Fragmentierung der Welt antwortet. Die grossen
Meta- erz�hlungen sind abgesetzt worden zu Gunsten von Tausenden von kleinen Geschichten,
die gerade auch im Internet eine Plattform finden. �Ein Erz�hlen ohne Zentrum, ohne
ideologische und ohne formale Mitte.� Es geht dabei keinesfalls um ein Entweder-oder,
sondern um das Sowohl-als-auch. Gerade die virtuellen Welten rufen nach Erz�hlungen: Der
virtuelle Raum ist ein Erz�hlraum und damit ein Freiraum. Dies war er schon immer, seit
den Tagen der Homerischen Epen. Die Mehrsprachigkeit und die Grenz�berschreitung weisen
aber auf die neuen M�glichkeiten hin, die sich dem Erz�hlen mit dem Medium Internet
er�ffnen.
Gipfelst�rmer und Flachlandgeher
Dass dies nicht ohne Gefahr ist, zeigt die Untertitelmetapher von den Gipfelst�rmern
und den Flachlandgehern: der Erfahrung des Erhabenen und ihrer Einebnung in der
Beliebigkeit. Doch dieser Wandel ist gedeckt von der allt�glichen Erfahrung, dass es
keine einheitliche Welt mehr gibt. Sie hat sich zerstreut, und so sucht auch das
schreibende Ich nicht mehr nach dem einen wirklichen, sondern nach den vielen m�glichen
Welten. Was w�re, wenn ...? lautet die wunderbare konjunktivische Maxime.
Nebst f�nf Essays umfasst der Band vor allem auch einige scharfsinnige Gespr�che und
E-Mail-Dialoge, die, so unglaublich es klingen mag, substanziell wirklich Neues und
Originelles zu Tage f�rdern. Unter anderem zeigen sie auf bemerkenswerte Weise auf, wie
mit den neuen Kommunikationsmitteln eine Poetik �ber die Grenzen hinweg entstehen kann,
die dem �Kampf der Kulturen� spottet. Der Kairoer Schriftsteller Tarik A. Bary bezeugt
die folgenschwere, ambivalente Bedeutung des Internets in der arabischen Welt: als
Herausforderung an die eigene Kultur wie als M�glichkeit, ihren Zw�ngen zu entkommen.
Solche Statements zur dialogischen Kultur des Internets gilt es wahrzunehmen, bevor �ber
den Einfluss der neuen Medien geklagt und gerichtet wird. Auch wenn diese dialogischen
Auseinandersetzungen alles andere als ersch�pfend und in sich abgerundet sind, bieten sie
eine reiche F�lle an Fragen, Irritationen, Neuigkeiten, Sichtweisen dar, welche zu
weiterem Nachdenken anleitet. Literatur ver�ndert sich unter den neuen Bedingungen, doch
sie geht erst unter, wenn sie sich selbst in der Gesellschaft keine Rolle mehr zutraut.
Walter Grond: Vom neuen Erz�hlen. Gipfelst�rmer und Flachlandgeher. Haymon Verlag,
Innsbruck 2001. 180 S., Fr. 39..
|
|